Porträt:Mensch, Audrey!

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Entrückt und doch nahbar: Audrey Hepburn war die meistfotografierte Schauspielerin ihrer Generation. Eine Ausstellung in London zeigt, wie der Filmstar zur stilbildenden Ikone wurde.

Von Alexander Menden

Audrey Hepburn war 1948 unbekannt, aber sehr gut beschäftigt: Zweimal täglich trat die damals Zwanzigjährige als Tänzerin in der Revue "Sauce Tartare" am Londoner Cambridge Theatre auf, danach meist noch mit einer Kurzversion desselben Programms im "Ciro's", einem populären Nachtclub. Dort bemerkte sie eines Abends der britische Fotograf Anthony Beauchamp: "Alles, was ich sah", erinnerte er sich später, "waren die tanzenden Augen dieser Elfe in der Chorus Line, und den Rest des Abends konnte ich meinen Blick kaum von ihrem Gesicht abwenden. Ich schaute immer wieder diese erstaunlichen Augen an, die nie stillstanden, und die vor überschwänglicher, heiterer Freude überzugehen schienen." Beauchamp stellte sich nach der Show vor und fragte, ob sie sich von ihm fotografieren lassen wolle. "Das kann ich doch gar nicht bezahlen", sagte Audrey Hepburn.

So sei seine Mutter gewesen, sagt Lucca Dotti: "Sie war völlig uneitel und hat wirklich nicht erwartet, berühmt zu werden." Dotti, jüngster Sohn der Schauspielerin, ist zur Eröffnung der Ausstellung "Audrey Hepburn - Porträts einer Ikone" nach London gereist. Die National Portrait Gallery zeigt mehr als 60 Bilder, die im Laufe ihres Lebens entstanden, viele davon nie öffentlich gezeigt. Die Auswahl reicht von Kinderfotos und Dokumenten aus ihrer Zeit am Broadway, über den Aufstieg zu einem der größten Filmstars der Fünfziger und Sechziger bis zu ihren letzten Lebensjahren als Unicef-Botschafterin. Das Museum am Trafalgar Square ist schon deshalb ein passender Ort für diese fantastische Ausstellung, weil heute das Gebäude, in dem früher das "Ciro's" war, das Archiv der Portrait Gallery beherbergt.

Gefragt, welches das bedeutendste Foto in der Londoner Auswahl sei, sagt Luca Dotti, das könne er nicht beantworten: "Aber ich weiß, welches den bedeutendsten Moment einfängt: das Bild mit Colette." Die Begegnung mit der legendären französischen Autorin war für den weiteren Werdegang der Schauspielerin entscheidend. Während der Dreharbeiten zu "Monte Carlo Baby" wohnte Audrey Hepburn im Hotel de Paris in Monte Carlo. Dort war auch Colette abgestiegen, die mit dem Produzenten Gilbert Miller eine Bühnenversion ihrer Novelle "Gigi" plante. Was fehlte, war eine geeignete Besetzung für die Titelrolle. Eines Tages sah Colette zufällig Audrey Hepburn in der Hotellobby - und wusste sofort, dass sie Gigi gefunden hatte: "Welcher Autor erwartet schon, eines seiner Geistesprodukte plötzlich leibhaftig vor sich stehen zu sehen? Diese mir unbekannte junge Frau war die Inkarnation meiner eigenen, ganz und gar französischen Gigi."

Jeder Fotograf empfand es als Herausforderung, seine Version dieser Frau zu finden

Warum sie zum Inbegriff glamouröser Schönheit und eine der meistfotografierten Schauspielerinnen ihrer Generation wurde, hat Audrey Hepburn angeblich nie so recht verstanden. Ihr Profil ist mit dem der Nofretete-Büste verglichen worden, aber die Tochter eines anglo-irischen Bankiers und einer niederländischen Baroness sah sich als "erfolgreiche Mischung von Unvollkommenheiten". Ihre Nase und Füße fand sie zu groß, ihre Brüste zu klein, ihren Körper zu dünn.

Tatsächlich war die katzenhafte, androgyne Eleganz Hepburns in der Epoche der Atombusen eine Anomalie. Nicht umsonst prophezeite Billy Wilder, sie werde "den Busen noch ganz aus der Mode bringen". Was sie aber vor allem heraushob, war eine große Wandelbarkeit, die mit der Begabung einherging, stets erkennbar Audrey Hepburn zu bleiben. Sie wurde von den bekanntesten Fotografen ihrer Zeit porträtiert, darunter Richard Avedon, Cecil Beaton, Irving Penn und Norman Parkinson. Es spricht Bände, dass diese Porträts oft zum berühmtesten, zum stilprägenden Werk der Künstler wurden: Jeder empfand es als Herausforderung, seine eigene Version dieser Frau zu finden, die zugleich zerbrechlich und robust, unschuldig und verführerisch erschien.

Avedons berühmtes Dreiviertelporträt von 1953 etwa löst Hepburns Physiognomie durch starke Hell-Dunkel-Kontraste in geometrische Flächen auf. Im selben Jahr entstand in Beverly Hills während der Dreharbeiten zu "Sabrina" ein von Mark Shaw wie ein Schnappschuss gestaltetes Foto. Darauf scheint sie sich vom Betrachter zu entfernen, wirft den Blick aber neckisch über die Schulter zurück. Norman Parkinson zeigt sie zwei Jahre später im Garten der Villa Rolli nahe Rom mit einem Esel, dem sie den Nacken krault. Avedons Audrey wirkt entrückt und ätherisch, Shaws verlockend und kokett, Parkinsons nahbar und bodenständig. Alle drei sind durch und durch Audrey Hepburn.

Man muss der Einschätzung ihres Sohnes (und ihrer eigenen Behauptung) sie habe nie mit ihrem Ruhm gerechnet, nicht folgen, um zu bewundern, mit welcher Bestimmtheit sie sich zu inszenieren wusste. Dabei war das, was sie repräsentierte, natürlich selten deckungsgleich mit dem, was in ihrem Privatleben geschah. Bis in die späten Fünfzigerjahre war der Anschein reizender Naivität, von dem Filme wie "Sabrina" und "Ein süßer Fratz" zehrten, fester Bestandteil ihrer öffentlichen Rolle. Cecil Beaton begleitete das wunderbare Porträt, dass er 1960 über den Dächern Roms von ihr machte, mit dem Kommentar, sie habe nun "eine fraulichere Schönheit" entwickelt. Hepburn war damals immerhin schon 30 Jahre alt und hatte drei Fehlgeburten durchgestanden.

Trotz mancher ästhetischer Registerwechsel - die übergroßen Sonnenbrillen, die Ballerinas, die weiten Röcke - musste Audrey Hepburn sich aber nicht ständig von Grund auf neu erfinden, um bis zum Ende der Sechzigerjahre souverän und stilbildend zu bleiben. Auch wenn einem bewusst ist, dass ihre Porträts zahllose Facetten und hochstilisierte Posen präsentieren, hat man dennoch kaum das Bedürfnis, einen Blick auf die "echte" Audrey Hepburn zu erhaschen - anders als bei späteren Stil-Chamäleons wie David Bowie oder Madonna. Zwar wusste sie, wie Marilyn Monroe vor ihr, Mode und Filmrollen zu Formung und Kontrolle des von ihr verkörperten Weiblichkeitsideals zu nutzen. Aber anders als Monroe wirkte sie nie wie eine Sklavin dieses Images - ein Eindruck, den die Abwendung vom Filmgeschäft Anfang der Siebziger nur zu bestätigen scheint.

Nicht jedem erschloss sich Audrey Hepburns Anziehungskraft auf den ersten Blick. Hubert de Givenchy, dessen Muse sie wurde, hatte vor seinem ersten Treffen mit Audrey jemanden vom herberen Typ ihrer Namensvetterin Katharine Hepburn erwartet. Er war eher enttäuscht von dem Mädchen, das er 1953 kennenlernte. Doch bald begann er die Bestimmtheit zu bewundern, mit der sie den Look der Kostüme modifizierte, die er für "Sabrina" gestaltet hatte. Die Ausschnittform eines schulterfreien Abendkleides, das ihrem Wunsch gemäß die Vertiefungen hinter ihren Schlüsselbeinen verbarg, wurde so populär, dass er sie "Dekolleté Sabrina" nannte.

Das vielleicht aufschlussreichste Bild in der Ausstellung ist übrigens kein durchkomponiertes Porträt, sondern ein Produktionsfoto, das 1953 während der Dreharbeiten zu "Ein Herz und eine Krone" entstand. Es ist die Szene, in der Prinzessin Ann davon schwärmt, einmal im Leben das tun zu dürfen, was sie möchte. Sie sitzt mit Gregory Peck auf der Spanischen Treppe, ihr Gesicht vom Betrachtet abgewandt. Das Interessanteste an diesem Bild ist weniger sie selbst als die Reaktion der Umstehenden, vor allem die William Wylers. Der Regisseur sitzt neben der Kamera und betrachtet Hepburn mit seligem Lächeln. An seinem Gesicht ist abzulesen, wie bezaubert er von seiner Hauptdarstellerin ist, wie vollendet ihr Charisma in diesem Moment seine Wirkung entfaltet.

Wyler hatte zweifellos mit begabteren Schauspielerinnen zusammengearbeitet; Hepburn selbst sagte von sich mit typischer Klarsichtigkeit, sie sei Schauspielerin geworden, obwohl sie nicht richtig spielen könne. Aber es ist eben nicht diese Art von Talent, das einen Star ausmacht. Ein Star muss nicht schauspielern, er muss einfach nur da sein und seine Aura verströmen. Und nur wenige Stars taten das mit solcher Selbstverständlichkeit und Eleganz wie Audrey Hepburn.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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