Outdoor-Design:Alles muss raus!

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Die Stadtbewohner haben ihren Hang zum Abenteuer entdeckt. Die Hersteller reagieren mit Produkten, die die Wildnis urbaner und die Stadt ein bisschen wilder machen.

Von Titus Arnu

Wie viele Dinge braucht ein Mensch, um glücklich zu sein? Oder besser gefragt: Wie wenige Dinge reichen aus, um nicht unglücklich zu werden? "Den Reichtum eines Menschen kann man an den Dingen messen, die er entbehren kann, ohne seine gute Laune zu verlieren", schrieb Henry David Thoreau, Urvater aller Aussteiger und Minimalisten, in seinem Buch "Walden oder das Leben in den Wäldern". In seiner kargen Hütte standen drei einfache Stühle, ein Tisch, eine Kommode, ein Bett - und sonst war die Bude fast leer.

Am 4. Juli 1845, dem amerikanischen Nationalfeiertag vor 170 Jahren, zog der Sohn eines Bleistiftfabrikanten in eine winzige Hütte am Walden-See im US-Bundesstaat Massachusetts. Der Philosoph und Schriftsteller hatte ein Experiment geplant, das heutzutage "Downshifting" genannt wird und wieder topmodern ist. Thoreau wollte herausfinden, ob ein Leben im Einklang mit der Natur möglich ist, und ob der Geist freier fließt, wenn man auf zivilisatorischen Ballast verzichtet. Zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage lebte er in der winzigen Holzhütte. Seine Berichte aus der Wildnis gelten als ideeller Ursprung der Outdoor-Bewegung. Wenn moderne Großstadtbewohner eine Designer-Axt bei Manufactum kaufen, sich einen Vollbart stehen lassen und mit Holzfällerhemd ins Büro gehen, ist das auch als Spätfolge seines Schaffens zu deuten.

Vor Kurzem hat der Hamburger Verlag Gruner + Jahr ein schönes Lifestylemagazin mit dem Titel Walden herausgebracht, das im Geist von Thoreau das schlichte (in Wirklichkeit aber ziemlich teure und anstrengende) Leben in der Natur preist. Darin werden exquisite Taschenmesser, Edelholzkescher, Gaskocher und Eigenbau-Kanus vorgestellt, angeblich alles ausgewählt getreu Thoreaus Motto: "Vereinfache dein Leben. Tu, was du wirklich liebst." Doch der ursprüngliche Gedanke Thoreaus, durch Verzicht auf Komfort und moderne Technik zu einem natürlicheren und gesünderen Lebensstil zu finden, hat sich deutlich weiterentwickelt und diversifiziert. Es geht nur noch teilweise um Minimalismus.

"Der Mensch ist umso reicher, je mehr Dinge er liegen lassen kann."

Wer über die Friedrichshafener Outdoor-Messe wandert, der größten Veranstaltung ihrer Art in Europa, stellt zunächst mal fest: Der grundsätzlich konsumkritische Ansatz Thoreaus ist zu einer riesigen Freizeitindustrie mit Milliardenumsätzen geworden. Es gibt zwar einen Trend zur ultraleichten Ausrüstung für Speed-Bergsteiger und Ultralight-Wanderer, deren Rucksäcke nur ein paar Hundert Gramm wiegen und deren Jacken so leicht sind, dass sie beim kleinsten Windhauch davon segeln. Doch es gibt auch eine fette Gegenbewegung: "glamorous Camping", kurz Glamping. So haben Trend-Scouts die Luxusvariante des Zeltens getauft. Eine Glamping-Ausrüstung sieht toll aus, passt aber leider nicht mehr in einen Rucksack, da braucht man dann schon einen SUV mit Glamping-Anhänger. Oder man reist mit dem Rollkoffer zu einem dieser neuartigen Glamping-Plätze, auf denen hotelartig ausgebaute Zelt-Unterkünfte bereits aufgestellt, vorgeheizt und mit Internetanschluss versehen sind. Mit Downshifting hat das kaum noch etwas zu tun. Das ist Upgrading ins Fünf-Sterne-Zelt.

Echtes Outfit

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(Foto: MASAHIRO NOGUCHI)

Gut aussehen beim Pilzesammeln: Mit dem Anorak "Scout" des New Yorker Labels Battenwear.

Echtes Outfit

Wasserabweisenden "Commuter"-Jeans von Levi's.

Echtes Outfit

Aus Spezialgarn gestricktem "Super Leggera"-Leichtschuh von Dachstein.

Echtes Outfit

Daypack von Bowndling, wo Outdoor-Wear von Frauen für Frauen entwickelt wird.

Für Angeber

Das Camping-Beil "Compadre" von Buck, macht sich auch indoor dekorativ.

Für Angeber

Dazu passt ein Glas Anty Gin, bei dem jede Flasche ein Destillat aus 62 Waldameisen enthält.

Für Angeber

Für urbanen Komfort sorgt der "Buckshot Pro" - als mobiler Lautsprecher, Lampe und Energiereserve fürs Smartphone.

Schöner Wohnen

Der "Chelan"- Klappstuhl des US-Traditionsherstellers Filson, der auch bei Festivals und auf kleinen Balkonen eine gute Figur macht.

Leichte Küche

Nützlich beim Überleben ist wahrscheinlich der ultraleichte Kocher "Glacier Stainless Minimalist" von GSI Outdoors.

Leichte Küche

Die neue Rucksack-Kaffeemaschine "Mountain Vacuum Coffee" vom Isolierspezialisten Stanley. Fotos: Hersteller

Der dänische Ausrüster Nordisk hat gerade die Cotton Tents herausgebracht, die eher an eine Luxus-Safari erinnern als an einen Camping-Ausflug. Das Baumwollzelt "Vanaheim", vom Hersteller als "das mit Abstand aristokratischste Zelt" angepriesen, ist 40 Quadratmeter groß, hat vier Doppelschlafkabinen und wiegt 58,5 Kilogramm. Ein tragbares Stoffschloss, das ausreichend Platz bietet für Sofas, Betten und edle Camping-Kücheneinrichtung. Passend dazu präsentiert Primus, bisher für expeditionstaugliche, leichte Klapp-Kocher bekannt, die Produktlinie "Primus Campfire". Mit den schweren Töpfen, Backformen und Kesseln will der Hersteller die Lücke zwischen dem Gasgrill im heimischen Garten und dem stilvollen Camping-Kocher schließen. Ravioli-Dosen auf einem wackeligen Minigaskocher aufwärmen, während man auf der harten Isomatte kauert? Das war vorgestern. Beim Glamping hat man einen massiven Profigrill dabei, auf dem die gusseiserne Pfanne erschütterungsfrei steht, damit das Dry-Aged-Steak auch ganz sicher gelingt, nachgewürzt wird mit der akkubetriebenen Camping-Pfeffermühle. Und hinterher kommen der Camping-Cocktailshaker und die kiloschwere Camping-Espressomaschine (neun Bar Druck! Echte Crema!) zu ihrem Einsatz. Zum Digestiv gibt es einen Schluck Anty Gin aus dem Camping-Schnapsbecher - der Gin wird aus Roten Waldameisen destilliert. Mehr Glamping-Dekadenz geht nicht.

Mit Stühlen, Tischen, Kühlbox, Hängematte, Moskitonetz, akkubetriebenem Bluetooth-Radio und tragbarer Dusche wird Camping dann zu einem möglichst kultivierten Event stilisiert, das sich kaum noch vom Aufenthalt zu Hause unterscheidet - bis auf die Tatsache, dass man eben draußen ist. Und dass man nach dem Aufenthalt im Glamping-Palast ein paar Hundert Euro weniger besitzt, dafür eine ganze Menge Glamping-Ballast mehr. Vielleicht sollten sich Outdoor-Enthusiasten wieder auf das besinnen, was Henry David Thoreau in seiner Blockhütte herausfand: "Der Mensch ist umso reicher, je mehr Dinge er liegen lassen kann."

© SZ vom 01.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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