Möbelmesse:Bitte schön oberflächlich!

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Wie sollen wir wohnen? Auf diese Frage gibt der Salone del Mobile in Mailand kommende Woche wieder Antworten. Im Trend liegt Einrichtung, die sich gut anfühlt.

Von Max Scharnigg

Das Ereignis, das pünktlich Mitte April die Stadt Mailand heimsucht, nimmt jedes Jahr erschreckendere Ausmaße an. Hotels, Restaurants und Flüge sind Monate vorher ausgebucht, schon im Februar bekommt man als Journalist ein staatstragendes "Salone Manifest" zugesandt, gefolgt von einer Flut an Einladungen auf zentimeterdicken Kartonagen und Jubeltelegrammen, in denen Hersteller aus der Auto-, Mode- und Heimelektronikbranche ihre überraschende Teilnahme an der diesjährigen Ausgabe des Salone del Mobile ankündigen.

Diese Zaungäste haben sich meist mit einem semiseriösen Architektur-Happening oder einer Installation in die große Möbel-Party eingekauft. Was genau sie zeigen, ist relativ egal, denn einziges Ziel aller in Mailand auftretenden Marken ist es in dieser Woche, eine Stunde lang ein Menschenknäuel auf einem Gehweg in der Innenstadt zu erzeugen, wo traditionell die Partys steigen. Es finden gefühlt immer 50 dieser sogenannten Cocktailempfänge gleichzeitig statt und man ernährt sich als Gast fünf Tage lang von Prosecco, Oliven und Zahnstochern.

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(Foto: Hersteller)

Brutalistisch bequem ist das Sofa "Barbican" von Konstantin Grcic für Established&Sons.

Lee Broom, der Lichtmeister aus London, wird in Mailand "Observatory" vorstellen, ein horizontales und vertikales Leuchtensystem.

Die Möbelhersteller und Designer haben sich dem Wahnsinn angepasst und benehmen sich eine Woche lang wie Popstars oder Formel-1-Bosse und nicht wie die Schrankbauer, Tischler und Leuchtenverkäufer, die sie eigentlich sind. Bei mehr als 2000 Ausstellern ist vor lauter Girlanden und Partys deshalb gar nicht mehr so einfach zu erkennen, was neu ist und wohin stilistisch die Reise gehen soll, aber ein paar große Richtungen sind auch dieses Jahr wieder absehbar. Ein Fokus wird auf irren Oberflächen liegen. Einfach nur haptisch-schön genügt nicht mehr, nein, zerstört, aufgerissen, erodiert sollen Tischplatten bestenfalls sein, spürbare Kräfte gewirkt haben - als maximaler Kontrast zu den glatten Bildschirmen vor unseren Augen.

In dieser Stimmung kann zum Beispiel ein kleiner Traditionsbetrieb wie Zanat aus Bosnien zu einem der Stars der Messe werden. Dort besinnt man sich auf eine Verknüpfung von überliefertem Schnitzhandwerk aus der Region und modernem Wohndesign. Das Ergebnis sind Möbel mit markanter Kerbenschnitzerei im Holz, über die man streicheln möchte und die jedes Stück individuell machen. Zusammen mit zeitgemäßen Gestaltern wie Monica Förster aus Stockholm schafft Zanat Produkte, wie sie alle gerade wollen: frisch, aber mit Geschichte, nachhaltig, aber trotzdem mondän, regional produziert, aber mit globaler Strahlkraft.,

Das Zuhause soll mit Tropenfarben und Safari-Chic ein Expeditionsclub werden

Einen ähnlichen Ansatz mit ganz anderem Ergebnis wird das hippe Label Ames in Mailand zeigen, das sich der alten Handarbeitstechnik in Kolumbien verschrieben hat. Zusammen mit Stardesigner Sebastian Herkner legte es zuletzt ein Sortiment an knalligen Outdoor-Möbeln auf. Die neue Serie entsteht in einem aufwendigen Handarbeitsprozess aus dem Naturmaterial Fique, einer Pflanzenfaser, die in Kolumbien von Kleinbauern seit Jahrhunderten hergestellt und verwendet wird. Was Herkner in Südamerika macht, ist Entwicklungsarbeit, von der beiden Seiten gleich stark profitieren. Am Ende steht, wie heuer überall, ein moderner Ethno-Chic: Das Zuhause soll mit Tropenfarben, Palmblatt-Tapete, Grünglas-Vasen, Safari-Chair ein Expeditionsclub werden. Wäre Weltmusik ein Stuhl, dann hätte sie in Mailand jedenfalls ein Publikum.

Nostalgische Oberflächen zeigen dieses Jahr die Traditionsschnitzer von Zanat ...

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(Foto: Hersteller)

... und die Eames Side Chairs, die Vitra wieder in klassischer Glasfiber produzieren lässt.

Von dem Oberflächen-Hype leitet sich auch eine exzessive Materiallust ab. Selbst eher gemächliche Branchenriesen wie Vitra trommeln mit Werkstoff-Details, statuiert an ihrem bekanntesten Klassiker: Der Eames Side Chair wird jetzt wieder in Fiberglas produziert, jenem Polyesterharz mit sicht- und fühlbaren Fasern, das sich Charles Eames 1950 aus dem Militärbereich abgeschaut hatte. Designfreunde konnten sich mit den Polypropylen-Sitzschalen nie recht anfreunden, mit denen Vitra die Stühle modernisiert hatte - von nächster Woche an dürfen sie aussehen wie früher, inklusive der Originalfarben. Als würde man den Porsche 911 wieder mit dem altem Chassis, Fuchsfelgen und "Entenbürzel"-Heckspoiler ausliefern.

Wiederauflagen, Heritage und Autorendesign liegen auch bei vielen anderen großen Herstellern im Trend. Neu-Entwürfe von Konstantin Grcic, Patricia Urquiola und Cecilie Manz werden hier vorab bejubelt, als wären sie schon die Klassiker, zu denen sie erst die Jahrzehnte machen können. Aber Möbel brauchen heute eben Geschichten und Gesichter. Sie müssen etwas erzählen, und man muss von ihnen erzählen können - am besten gleich bei Prosecco und Oliven auf dem Gehweg.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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