Modenschauen:Lage, Lage, Lage

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Santa Monica, Florenz, Kyoto: Warum große Modelabels ihre Cruise-Kollektionen vor immer spektakuläreren Kulissen inszenieren.

Von Dennis Braatz

Nur mal angenommen, jemand würde einen Tag lang die Uffizien in Florenz einnehmen, damit sein engster Kreis in Ruhe Selfies vor Botticellis Venus machen könnte. Und dieser jemand würde danach auch noch den Vasarikorridor öffnen, also den einstigen und sonst verschlossenen Geheimgang über den Ponte Vecchio von Cosimo de' Medici, damit die Gäste in aller Ruhe rüber zum Palazzo Pitti schlendern dürften. Wer könnte dieser jemand wohl sein? Der italienische Premierminister, ein Softwaremilliardär, der Papst? Von wegen. Es war Gucci.

Die Modemarke hat vorvergangene Woche ihre neue Kollektion in der Stadt gezeigt, vor etwa 400 ausgewählten Journalisten, Influencern und Kunden. Der Gang durch die ehrwürdigen Gemäuer wurde ihnen quasi als Voraberlebnis offeriert. Die eigentliche Schau fand danach in der Galerie Palatina des Palazzo Pitti statt. In einem einzigen Raum hängen dort schon mal 40 Gemälde von Caravaggio, Tizian, Manetti und Rubens, dicht und bis unter die Decke. Das Event war am Ende im doppelten Sinne historisch: So viel wertvolle Kunst hat es in einer einzelnen Modenschau und drumherum noch nie gegeben.

Dior schaffte in der Woche der Show über 124 000 Nennungen in den sozialen Medien

Anlass für die pompöse Kulisse war die Präsentation der Cruise-Linie. Zur Erinnerung: Das ist eine Zwischenkollektion, die im Mai gezeigt wird und im November in die Geschäfte kommt, ursprünglich gemacht für reiche Damen, die im Winter per Kreuzfahrtschiff in den Sommer flüchteten. Heute reisen die großen Designer mit diesen Kollektionen lieber selbst um die Welt. Sie zeigen sie an einem besonderen Ort, der gleichzeitig die Inspiration für die Mode vorgibt. Wer hat das spektakulärsten Setting? Um diese Frage ist inzwischen eine Art Wettrüsten entbrannt.

So präsentierte Louis Vuitton ein paar Tage vor Gucci nahe Kyoto im Miho-Museum, das von I. M. Pei erbaut wurde. Zum ersten Mal überhaupt zeigte auch Prada eine Cruise-Kollektion, auf einer eigens errichteten Ausstellungsfläche namens Osservatorio, oben auf dem Dach von Mailands berühmter Einkaufspassage, der Galleria Vittorio Emanuele II. Dior stampfte derweil in den Santa Monica Mountains eine Wüstenzeltstadt aus dem Boden.

Solche Austragungsorte müssen natürlich erst mal bezahlt werden. Hinzu kommen die Transferkosten für die Kollektion, das Atelier-Personal, Leute für Haare und Make-up, die Models und die Gäste. Auch ein Großteil des Publikums wird eingeflogen und ein paar Tage lang rundum versorgt. Der Modebranchendienst Business Of Fashion meldete vor Kurzem, dass das Investment für eine solche Show bei bis zu zehn Millionen Dollar liegen kann. Sogar Kenner fragten anschließend, ob sich der Aufwand überhaupt lohne - es sei schließlich "nur" die Cruise.

Die Zwischenkollektion ist für viele Marken aber längst zum Umsatzgaranten geworden. Erstens, weil sie meist besonders tragbar, also kommerziell entworfen ist und länger als jede Hauptkollektion im Geschäft hängt. Zweitens, weil die Präsentation der Hauptkollektion, als Programmpunkt einer klassischen Modewoche im Reigen von bis zu 80 anderen Shows, kaum noch auffällt. Genau darum geht es aber in den sozialen Medien. Während eines mehrtägigen Cruise-Trips lässt sich über digitale Kanäle und unter eigens kreierten Hashtags ganz einfach eine Menge Aufmerksamkeit generieren.

Die Social-Media-Analysten von Brandwatch haben berechnet, dass es Dior in der Woche der Santa-Monica-Show auf über 124 000 Nennungen auf Facebook, Twitter und Instagram gebracht hat; Beiträge mit #diorcruise und #diorcruise2018 wurden zusammen mehr als 160 Millionen Mal gesehen. Louis Vuitton kam mit #lvcruise auf etwa 128 Millionen Views. Ergebnisse, nach denen sich Marketingbosse anderer Branchen die Finger lecken.

Je mehr das anwesende Publikum mit spektakulären Programmpunkten überhäuft wird, desto mehr wird natürlich gepostet. Der Klassiker sind Promis: Bei Dior etwa liefen plötzlich Rihanna und Charlize Theron durch den Sand, bei Prada nahm Susan Sarandon Platz. Der größte Garant für Content scheint heute aber das Erlebnis einer einzigartigen Location zu sein. Frei nach dem Motto: "Schaut her! Ich bin da, wo sonst keiner hinkommt!"

Wann immer eine Marke in der Vergangenheit ein bedeutendes Bauwerk bespielte, gab es natürlich auch Kritik. Angefangen bei Fendi und der Chinesischen Mauer im Jahr 2007, der ersten Show überhaupt mit einer Location der Superlative, bis hin zu Chanels Aufschlag im sozialistischen Karibikstaat Kuba vergangenes Jahr. Nicht zu vergessen Gucci in der Westminster Abbey, dem wichtigsten Gotteshaus Großbritanniens. Von Machtdemonstrationen und pietätlosem Umgang mit geschichtsträchtigen Orten war zu lesen.

Viele Designer finanzieren die Instandhaltung des Ortes, an dem sie eine Kollektion zeigen

Bisher ist bei diesen Schauen allerdings nie etwas zu Schaden gekommen. Gegner der Spektakel dürfte auch besänftigen, dass viele Firmen inzwischen die Restauration des Ortes mitfinanzieren. Besonders eifrig sind die Italiener. Gucci (1921 in Florenz gegründet) will in den kommenden drei Jahren zwei Millionen Euro ausgeben für die Überholung des an den Palazzo Pitti grenzenden Boboli-Gartens. Dass der Vasarikorridor für die Gäste geöffnet wurde, ist Teil des Deals. Prada kümmerte sich vor ein paar Jahren um die Fassade der Galleria Vittorio Emanuele II. Der Gebäudeteil, auf dem die Show gezeigt wurde, liegt seitdem in der Hand des Unternehmens: unten ein Store, darüber das Marchesi-Restaurant, ganz oben die Fläche für Kunst und Kultur. Die Mode-Extravaganza soll trotzdem ein einmaliges Vergnügen bleiben - klar, sonst würde es ja auch langweilig. "Ich glaube nicht, dass das Osservatorio eine stetige Showlocation für uns wird", erklärt Stefano Cantino, Marketing-Direktor der Prada-Gruppe. "Nächstes Jahr werden wir vielleicht schon irgendwo anders zeigen."

Über den Erfolg eines Cruise-Events sollte natürlich nicht der Schauplatz allein, sondern auch die Kollektion entscheiden. Je geschickter sie in Beziehung zur Location gesetzt wird, desto besser. Diors Cowgirl-Chic (Fransen-Ponchos und Ledersandalen) war da vielleicht eine Nummer zu offensichtlich. Die beste Arbeit lieferte dieses Jahr Guccis Designer Alessandro Michele ab, sein überbordender Stil passte perfekt in die Renaissance-Kulisse: Harfen als Haarschmuck, Blumenranken auf Karohemden, dazu moderne Elemente der Streetstyle-Kultur wie Windbreaker, überlange Polos, gesteppte Hosen und "Guccy"-Schriftzüge als Anspielung auf den aktuellen Fälschungswahn. Die Mode war so voll von Referenzen, dass sie das Drumherum eigentlich gar nicht gebraucht hätte.

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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