Modelabels:Der Tod steht ihr gut

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Gucci zeigt seine Cruise Show auf einem römischen Friedhof in Arles. Das gab's noch nie - und das ist es, worauf es ankommt. Denn neben Mode müssen Marken heute vor allem Bildwelten produzieren.

Von Silke Wichert

Eulenrufe in der Dunkelheit, aufsteigender Nebel, der Geruch von feuchter Erde, aber um Schlag Zwölf steigen dann keine Toten aus den Steinsarkophagen, sondern es laufen ziemlich lebendige Gucci-Models über den Friedhof. Und was sie tragen, hat nur ansatzweise mit Trauerkleidern zu tun. Hier und da ist eine junge Witwe mit Schleier zu sehen, manche Models tragen langstielige Blumen in den Händen, als würden sie sich gleich auf ein Grab legen wollen, aber ansonsten wird hier eine frivole Messe gefeiert, mit smaragdgrünen Rüschenkleidern, üppig bestickten Jeansjacken, wallenden Mänteln und strassbesetzten Kappen und Sonnenbrillen. Was zur Hölle...?

Die Toten unter der Erde mögen zu Lebzeiten viel gesehen haben, aber so etwas eher nicht, womit sie zumindest eines mit dem geladenen Modepublikum gemeinsam haben. Denn das hat in den vergangenen Jahren auch schon viel gesehen, aber eine Modenschau auf einem Friedhof, das gab's noch nie.

Die italienische Marke Gucci hatte für seine diesjährige Cruise Show am vergangenen Mittwoch in die Nekropole Alyscamps am Rande der südfranzösischen Stadt Arles eingeladen. Cruise, das hat sich mittlerweile rumgesprochen, hat nichts mit Aida-Kreuzfahrtschiffen zu tun - so werden die riesigen Spektakel der großen Modefirmen genannt, die traditionell im Mai stattfinden. Dior zeigte vor ein paar Tagen außerhalb von Paris im Musée Vivant du Cheval à Chantilly, Louis Vuitton in der Fondation Maeght in Saint-Paul de Vence, vergangenes Jahr war man in Kyoto, davor in Rio. Es werden mehrere Hundert Gäste angekarrt mit einem Aufwand an schwarzen Limousinen, der den Einheimischen an den gewählten Orten wie ein gewaltiger Blech-Flashmob vorkommen muss. Mit After-Show-Party, bezahlten Prominenten und allem Drum-und-dran liegen die Kosten gern mal bei zehn Millionen Euro. "Go big or go home" nannte die Branchenseite Business of Fashion vergangenes Jahr die Devise. Trag richtig dick auf oder lass es bleiben, und das, was Gucci diesmal veranstaltete, nun ja, das war ziemlich groß. Die Platanenallee der antiken römischen Totenstadt war gesäumt von Hunderten von Kerzenständern, große Spiegelwände waren aufgestellt worden, kurz bevor das erste Model aus dem Nebel trat, entzündete sich in der Mitte ein brennender Streifen, der den Laufsteg teilte. Ein Fegefeuer inmitten der Eitelkeiten - was für eine Kulisse.

Im Netz kann heute jeder seine eigene Sensation schaffen. Die Firmen müssen mithalten

Denn die großen Marken produzieren zwar auch Kleider, mit ihren Shows vor allem aber Bilder und Geschichten, die in den Tagen danach um die Welt und durch die sozialen Kanäle gehen, womit dann am Ende hoffentlich doch wieder ein paar Kleider und Accessoires verkauft werden. 296 Millionen Mal wurde der Hashtag #guccicruise vorvergangenes Jahr innerhalb einer Woche registriert, und da wurde "nur" in der Westminster Abbey in London gezeigt. Dior erreichte vergangenes Jahr 160 Millionen mit einer spektakulären Show inklusive Logo-Heißluftballon in der Wüste vor Los Angeles. In Zeiten, in denen jeder einzelne via Twitter und Facebook seine eigene Sendestation betreibt und täglich Bilder und Instagram-Stories von sich inszeniert, strengen sich die Marken ordentlich an, um im Feed ihrer Kunden nicht unterzugehen.

Der ehemalige Lanvin-Designer Alber Elbaz formulierte das 2015 so: "Wir Designer haben als Couturiers angefangen. Dann wurden wir Creative Directors, jetzt müssen wir 'Image Maker' sein." Die Entwürfe müssten vor allem auf Bildern funktionieren und die Leute vom kleinen Bildschirm aus "anspringen." Mal ganz unabhängig davon, ob man das glauben will oder nicht oder gut findet oder nicht - zumindest ist Gucci aktuell bildgewaltig wie keine andere Marke.

Die Ästhetik, die der Designer Alessandro Michele seit seinem Antritt Anfang 2015 prägt, ist so durchgeknallt wie überbordend, so fantasiereich wie augenzwinkernd. Ein Clash aus Einflüssen verschiedenster Epochen, oder wie Michele es formuliert: "Ich bereite einen Fruchtsalat der Schönheit zu." In jedem Fall richtet er etwas an, das sich ganz wunderbar als Stoff für Bilder eignet, weil es bunt, extravagant, maximalistisch ist. Wurden früher zwei Anzeigenkampagnen, eine fürs Frühjahr, eine für den Herbst, vielleicht noch eine für Sonnenbrillen produziert, die dann in jedem relevanten Magazin über Monate abgedruckt wurden, müssen in unseren informationsüberfluteten Zeiten ständig neue Motive, neue Inszenierungen her. Aktuelle Bilanz bei Gucci: Knapp zehn Kampagnen; und es ist noch nicht mal das halbe Jahr rum. Selbst für den neuen DIY-Service, mit dem man sich Schuhe und Taschen personalisieren kann, wurde gerade ein aufwendiger Spot von der jungen Künstlerin Petra Collins gedreht. Für die Schmuckkollektion gibt es einen Film mit Tippi Hedren als Wahrsagerin - die Finger an der Glaskugel über und über mit Ringen geschmückt. Davor sorgte die Kampagne "Gucci dans les rues" für Aufsehen, eine Hommage an die 68er, lauter schöne Studenten, selbstredend von Kopf bis Fuß in Gucci gekleidet. Das alles wird auf Youtube und Instagram begeistert rauf und runter geklickt.

Am Ende kommt Elton John und spielt seine Klassiker. Auch das passt erstaunlich gut

"Marken versuchen heute, mit allem überall zu sein", sagt Ian Schatzberg, Chef der Digital-Agentur Wednesday, die auch Unternehmen wie Calvin Klein berät. "Aber es reicht nicht mehr, präsent zu sein - du musst verstehen, was die Träume der Kunden ausmacht." Alessandro Michele habe es geschafft, Gucci zu einer popkulturellen Autorität aufzubauen. Mit anderen Worten: Was Gucci produziert, geht längst über Gürteltaschen und Fell-Loafer hinaus: hier wird eine Haltung und Bilderwelt erschaffen, die als eigene Stimme verstanden, als "very gucci" wahrgenommen wird. Statt Stars, die mit Logo-Tasche in der Hand schön schummrig abgefilmt sind, werden in den Spots aufwendig Geschichten erzählt. Immer mit dem Subtext: Alles geht. In modischen Dingen sowieso (die Kostüme und Kombinationen sind ja meist abenteuerlich) aber auch darüberhinaus: Alles ist möglich. Michele ist selbst das beste Beispiel. Ein Designer, der zwölf Jahre Handtaschen entwarf, die keinen interessierten, und dann im selben Unternehmen Chefdesigner wird und die Mode entscheidend beeinflusst.

Diese Haltung kommt vor allem bei den Millennials gut an, die das Wachstum der Marke entscheidend treiben. In den vergangenen Jahren sind die Umsätze jeweils um rund 40 Prozent gestiegen, 2017 wurde zum ersten Mal die Sechs-Milliarden-Euro-Marke geknackt. Von so viel Vitalität können andere Häuser nur träumen, da kann man ruhig mal morbide werden. Denn auch das ist ja wiederum ein Thema, das die Jungen anspricht: Auf dem Friedhof abhängen, Feuerkreis anzünden, Gläser rücken, mal gucken, ob sich ein Untoter blicken lässt - ewige Teenagerfantasien. Und später ziehen sie mit schwarzumrandeten Augen in die Disco weiter.

Bei Gucci gab es natürlich auch eine After-Show-Party, neben einer alten Kirche am Ende der Allee. Im 17. Jahrhundert trafen sich hier Liebende, später hat van Gogh neben Gauguin in Alyscamps gemalt, jetzt trinkt das Modevolk Wodka. Auf einer kleinen Empore ist ein schwarzer Flügel aufgebaut, der ununterbrochen von einem Mitarbeiter poliert wird. Wer da noch kommen würde? Das war nicht schwer zu erraten: Sir Elton John ist das neue, heiß geliebte Mitglied in der Gucci-Familie. Ein Paradiesvogel vor dem Herrn. Alessandro Michele hat sich von ihm für seine aktuelle Sommer-Kollektion inspirieren lassen, jetzt entwirft der Designer die Garderobe für die Abschlusstournee. Auf gucci.com gibt es dazu ein "exklusives Interview" mit dem Sänger, Lesestoff vom Modeunternehmen. Jedenfalls tritt wenig später tatsächlich Elton John auf und spielt Klassiker wie "My Song" und "Rocketman". Man bleibt sich treu in seinem Stoff, auch da haben der 71-Jährige und die Marke einiges gemeinsam.

Nach zwanzig Minuten steht Elton John auf, lässt sich kurz von der Menge feiern, und spielt dann seinen letzten Song. "I'm still standing." Mitten auf dem Friedhof. Was für eine Geschichte.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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