Mobilität:Ein Auto wie ein Pferd

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Er ist Jahr für Jahr der beliebteste Oldtimer der Deutschen - und das völlig zu Recht! Eine Ode an den Ford Mustang.

Von Gerhard Matzig

Die Stunde der Rache ist gekommen. Denn der Mann ist tot. Ermordet. Und das kann Lieutenant Frank Bullitt vom San Francisco Police Department nicht hinnehmen. Bullitt hatte nur einen einzigen Job: auf den Zeugen im Kampf gegen das organisierte Verbrechen 48 Stunden lang gut aufzupassen. Bullitt, dargestellt im gleichnamigen Film aus dem Jahr 1968 vom grandios unterkühlt und gleichzeitig warmherzig agierenden Steve McQueen, bei dem man nie so genau weiß, ob er als Cop eher good oder bad sein will, er vermasselt es also. Weshalb er jetzt als Racheengel gefragt wäre. Er sagt: "Ich fahre ins Leichenschauhaus." Dann steigt er in seinen 68er Ford Mustang 390 GT in diesem besonders dunklen Dunkeldunkelgrün, diesem "Dark Highland Green", von dem man sich wünscht, diese Farbe (und nicht Mausgrau, Steingrau, Ich-bin-gar-keine-Farbe-Grau oder Winternieselgrau) wäre die Lieblingsfarbe der deutschen Dienstwagenfahrer.

Mehr Schein als Sein, mehr Wroaaaar als Ötlötlötl

Es geht jetzt also los, im Namen der Gerechtigkeit, erst mal ins Leichenschauhaus und dann auf die Jagd, auf die Straße ... aber Steve McQueen tut was? Er parkt den Mustang, dessen 6,4-Liter-Maschine sich so röhrend ungeduldig anhört, als wolle er sich gleich in Form von mehr als 300 Pferdestärken aufbäumen, in aller Ruhe am Straßenrand. Mit Blick auf die Golden Gate Bridge, dem Wahrzeichen von Frisco, stellt er sein Abenteuerversprechen auf Rädern ab, um erst mal im vollen Einklang mit der Straßenverkehrsordnung einzukaufen. Man ist ja nicht nur ein Held, sondern auch Mensch.

Bevor er sich aber eine Zeitung (brav) und Nachschub für den Kühlschrank (sehr brav) besorgt, schließt McQueen, dieser Gottvater des Cool, den Wagen ab und ruckelt mit der linken Hand zur Sicherheit noch mal am Türgriff. Ist der Wagen auch bestimmt zu? Das ist oberbrav - aber eigentlich eine Szene aus "Die Polizei rät".

God-save-McQueen ist demnach auch nur einer von uns. Dafür lieben wir ihn. Er ist jemand, der am Brenner zu Beginn der Ferien im Stau steht und sich nagelkauend fragt, ob das Bügeleisen noch an oder das Fenster offen ist. Jemand, der im Schatten parkt und warm duscht. Jemand, der sein Auto absperrt und dann probeweise an der Tür rüttelt, weil er wissen will, ob das, was er doch gerade abgeschlossen hat, auch abgeschlossen ist. Er ist wie du und ich, aber trotzdem ein zivilisationsgeschädigter Neurotiker, der so cool ist - wie wir das gerne auch von uns behaupten. Das alles hat einen Namen, einen, in dem sich das Kleine und das Große, die Realität und das Sehnen nach mehr Surrealität vereinen: Ford Mustang. Ein Auto, das gern ein Pferd wäre. Das passt.

Und vielleicht ist es ja diesem Moment einer schillernden Widersprüchlichkeit zu verdanken, einer Koexistenz von Ausnahme und Regel, von Heroismus und Spießbürgerlichkeit, dass aus dem Sportcoupé Ford Mustang in diesem Jahr erneut Deutschlands beliebtester Oldtimer wurde. Diese Erhebung (von AutoScout 24) ließe sich insofern zur Deckung bringen mit der Frage, warum sich Selena Gomez kürzlich bei den American Music Awards so plakativ in ein umstrittenes Setting zur Präsentation ihres Songs verirrte und damit nach längerer Bühnenabsenz ein Fiasko auslöste. Da umrollt und umsext sie wie beim Bikini-Car-Wash-Contest einen roten Ford Mustang.

Steve McQueen als „Bullitt“ an der Seite seines sehr coolen Ford Mustang (1968). (Foto: imago/Cinema Publishers Collecti)

Was einerseits nach Unfall und andererseits nach Erlösung aussehen soll, wobei Kritiker beides eher schwierig finden. Die 25-Jährige präsentierte in der Musikpreis-Show ihren Song "Wolves" (Wölfe) nämlich - "in einem knappen Nachthemd und mit einer geschminkten Platzwunde am Kopf", wie der Stern weiß - im Gegensatz zu allen anderen Künstlern nicht live, sondern vom Band. Im Netz heißt es: "Selena Gomez ist der größte Betrug in der Musikindustrie. Sie schafft es noch nicht einmal, ihr Playback glaubhaft rüberzubringen."

Die Frau als Wolf im Schafspelz führt aber zurück zum Ford Mustang, dessen Erfolgsgeschichte sich auch dieser Tatsache verdankt: Man ist darin, als Mann zumal, immer ein bisschen das Schaf im Wolfspelz. Das aber macht Spaß, weil es gut aussieht und in eine Welt passt, in der nichts so tief ist wie die Oberfläche. Mehr Schein als Sein, ein Auto, das nach mehr Wroaaaar aussieht, als an Ötlötlötl drin ist? Immer her damit, das ist ja wie mit unserem Leben auch. Du bist das Auto, und beide wollt ihr mehr, als ihr könnt: Darin ist der Siegeszug des Mustang begründet.

Ein Auto für normale Menschen, die dennoch von einem exotisch anderen Leben träumen

Als Ford den Mustang als Ahnherr der sogenannten Pony-Car-Klasse 1964 auf den Markt brachte, war das Auto vom Start weg unerhört erfolgreich. Am Ende des erstes Modelljahres meldete Ford mit fast 700 000 verkauften Sehnsuchtsmaschinen einen Rekord. Noch nie in der amerikanischen Automobilgeschichte startete ein Wagen so erfolgreich seine Karriere. Alle Erwartungen wurden übertroffen. Das eigentlich günstige, serienmäßig mittelklassehaft motorisierte Fahrzeug (es kostete damals knapp 2400 Dollar, was auch nach heutiger Kaufkraft wenig ist), besetzte offenbar eine Marktlücke. Es wurde zum Auto für normale Menschen, die dennoch von einem exotisch anderen Leben träumen. Weit weg vom Alltag. Dort, wohin man mit dem Mustang reitet. Die deutsche Antwort auf dieses uramerikanische Glück des kleinen Mannes hieß dann übrigens unter anderem, hm, Opel Manta.

Der Mustang wurde so auch zur Ikone der Popkultur. Er hatte seinen Auftritt in den Bond-Filmen "Goldfinger" und "Diamantenfieber". Er taucht in allen Phasen der Videoclip-Ära auf, von Tokio Hotel bis Selena Gomez. Er wurde besetzt von Tarantino und gefahren von Cruise. Eine Serie wie "Mike Hammer" ist ohne Mustang so undenkbar, wie es die "Drei Engel für Charlie" sind. Von Chuck Berry wurde das Auto besungen ("My Mustang Ford"), von Wilson Pickett als "Mustang Sally" gleich im Soul-Himmel verewigt.

Für Selena Gomez wurde der Wagen zur Bühne. (Foto: Kevin Winter/AFP)

In "Bullitt" wurde der Wagen zum definitiven Star seiner Epoche. Die Szenen mit Frank Bullitt in seinem hochfrisierten 68er-Fastback, vor allem eine der schönsten Autoverfolgungsjagden der Filmgeschichte, die er sich mit den Killern in ihrem bösen Dodge Charger liefert, haben den Mustang zum Vehikel eines rasenden Abenteurertums gemacht - bei dem man unterwegs noch einkaufen kann. Sein unverblümtes (Serien-)Motto, mehr Schein als Sein, mehr Rennwagen-Behauptung als Alltagswagen-Realität zu sein, verändert sich zudem. In Zeiten der Autodesign-Musealisierung ist der alte Mustang aus ästhetischer Sicht reines Sein.

Darin lässt sich nicht nur von einem aufregend anderen Leben auf den Highways der Welt träumen, sondern auch von einer Zeit, da die Autos noch so schön, elegant und in ihrer klaren Formsprache noch so authentisch und daher wirkmächtig waren, wie man das von den "magischen Objekten" und "großen Schöpfungen" auch erwartet. Der französische Philosoph Roland Barthes beschrieb in genau diesem Sinn die Kunst des Automobilbaus als Analogie zur Schöpfungsgeschichte gotischer Kathedralen.

Wenn man in einem alten Ford Mustang sitzt, befindet man sich in einer Kathedrale, einem Heldenepos und in der Fiktion seiner selbst. Als könne man einer sein, der die Blicke sterbender Killer ebenso in seinem Rücken weiß wie vor sich das Versprechen auf Liebe, Poesie und Abenteuer. Herrlich. Also so aus der 2er-BMW-Perspektive in Atlantik-Grau.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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