Lokaltermin:Guts & Glory

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Restaurant-Konzepte gibt es mittlerweile fast so viele wie Restaurants. Und manche klingen sogar neu. Im Amsterdamer Guts & Glory dominiert Huhn das Menü. Seit sechs Monaten.

Von Jutta Göricke

Eine einzige Sorte Fleisch, Fisch, oder Gemüse als Grundlage eines ganzen Menüs? Manche mögen das aus Norwegen kennen, wo der Kabeljau für Traditionsbuffets durchdekliniert wird - vom Filet bis zur Leber. Oder aus dem Kino, wo Forrest Gump für Shrimps in allen denkbaren Kombinationen schwärmte, so dass ihm das Wechseln der Beilage Abwechslung genug war. Im Kino mag das lustig sein. Aber ist es das auch in einem Spitzenrestaurant? Die Verwendung ein und derselben Zutat als stilbildendes Prinzip? Im Amsterdamer Guts & Glory haben sie ernst gemacht damit, gerade gibt es sechs Monate lang nur Huhn, über alle Gänge hinweg. Selbst das Dessert hier geht als Hühnerhaufen durch - es sind Eier drin. Wienerwald reloaded? Sicher nicht. Dazu ist der Anspruch zu hoch. Die Frage ist jetzt nur, ob dieses Konzept auch trägt.

Guillaume de Beer und Freek van Noortwijk, beide Mitte 20, versuchen seit Anfang des Jahres, den Beweis anzutreten. Nicht jugendlicher Leichtsinn treibt die Chefs an, sondern eine fast wissenschaftlich anmutende Gründlichkeit. Sie wollen die Möglichkeiten der Hühnerzubereitung in allen Facetten ausloten, in einer Mischung aus ganzheitlicher Achtung vor dem Tier und Neugier. Ziel des selbsterteilten Forschungsauftrags ist nichts weniger als das perfekt zubereitete Huhn. In all seinen Bestandteilen, von der Leber bis zum Flügel. Vegetarische Kundschaft soll sich anderswo vergnügen.

(Foto: guts glory)

Das Guts & Glory ist in einem schmalen Haus in der Altstadt untergebracht. Baulampen auf weißem Backstein, einfache Holztische und offene Küche - der schnörkellose Bistrostil ist unaufgeregt geschmackvoll. Etwa 60 Gäste finden auf zwei Etagen Platz. Der Premiumtisch am riesigen Fenster gibt den Blick auf die lebendige Straße frei, die mag nicht ganz so lieblich sein wie die Prachtgrachten. Aber die nächste Hausbootidylle liegt gleich ums Eck.

Aber kommen wir zur Bestellung. Vielfalt oder Einfalt, das war die Frage. Und für eine Antwort ordert man am besten das "Chef's Menu" (nur pro Tisch, vier Gänge zu 39,50 Euro). Die freundliche wie kompetente Bedienung erklärt zunächst das Konzept und wartet dann mit der ersten angenehmen Überraschung auf, Hühnerpaté mit Brot und zwar nicht das in Holland übliche, lasche Knautschbrot, sondern eine köstlich kräftige Variante, bei der man was zwischen den Zähnen hat. Allein der Aufstrich ist: unauffällig.

Auch wegen des sonnenleichten Tages entscheiden wir uns für einen kalten Weißwein, einen mittelkräftigen Verdejo mit angenehmer Frucht (die Flasche zu 31,50 Euro), der das gesamte Menü gut begleitet, auch den folgenden Ausflug nach Südostasien. Denn nun gibt es Tom Kha Gai, also thailändische Hühnersuppe, ungewöhnlich schön ausbalanciert zwischen Limone, Kokosmilch und Chili, die Hühnerbrust darin ist weiß und zart. Kein anstrengend spektakulärer Auftakt, eher alles sehr ordentlich.

Das Geflügel kommt aus der Amsterdamer Umgebung, dem Polderland. Und mitteleuropäisch wird es auch mit dem nächsten Gang, einer Komposition aus Spargel mit Sauce hollandaise, ein bisschen Kaviar, Eierstückchen und Spinat mit einem Hauch Knoblauch. Jetzt wird es tatsächlich interessant. Denn die geräucherten, hauchdünnen Hühnerstreifen, feinsalzig und fast schmelzig, adeln das Frühlingsgericht auf ungewöhnliche wie fantastische Weise.

Dann geht es mit dem Huhn weiter auf Weltreise. Der nächste Teller bietet eine Art indische Königinpastete, das Ragout im Gewand eines Spicy Curry mit Kartoffeln und grünen Bohnen. Dazu Papadam, knackig frittierte Fladen aus fermentiertem Linsenmehl. Das Gericht ist originell, bereitet aber nicht auf das sensationelle Erlebnis vor, das uns mit dem Hauptgang erwartet: Hühnerbrust und Keule, 24 Stunden gegart, die eine bei 70, die andere bei 68 Grad, so viel Genauigkeit muss sein. Anschließend wird beides noch etwas gegrillt. Das Ergebnis, man muss es so sagen, ist eine Offenbarung, die zarteste Versuchung, seit es Polderhuhn gibt. "Schmecken Sie mal den Unterschied zwischen Filet und Keule", hatte die Bedienung uns aufgefordert. Und wir kosten und schmecken und loben. So geht es also, das perfekt zubereitete Huhn. Auch die Extras dazu sind formidabel. Die Mayonnaise mit der scharfen Senfnote lässt das Hühnerbein im Mund tanzen, die handgeschnitzten Fritten - man darf sie hier beherzt mit den Fingern essen - machen glücklich. Dazu gibt es grünen Blattsalat mit Estragon und einem Hauch Fenchel, erfrischend süßsauer angemacht. Und als Dessert, hier der Vollständigkeit halber erwähnt, kommt eine frische Kombination aus Mango- und Kokosmousse, Baiser und Basilikum-Minze-Eis, eine runde Sache also.

Das Fazit? Nach diesem grandiosen Hühnerspektakel können Wiesnhendl und KFC einpacken, für immer. Was zu Beginn Skepsis hervorrief, endet für Geflügelliebhaber spätestens mit diesem Hauptgang direkt im Hühnerparadies. Nicht alle Teller konnten da mithalten, und die Spannungskurve mäanderte eher genüsslich, als dass sie stieg. Aber das Polderhuhn und seine Begleiter waren in allen Variationen unterhaltsam. Ab Juni kommt im Guts & Glory das Thema Fisch auf den Tisch. Sehr interessant.

© SZ vom 30.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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