Lokaltermin  :Gasthaus Rose

Lesezeit: 3 min

Die Schwäbische Alb bietet eine der schönsten Geschichten des Öko-Landbaus, wie unser Autor Philipp Maußhardt findet. Und das Essen im Gasthaus Rose ist ein Vergnügen.

Von Philipp Maußhardt

In einem Vers des schwäbischen Dichters Ludwig Uhland findet sich folgende Zeile: "Daselbst erhub sich große Not / Viel Steine gab's und wenig Brot." Die Landschaft, die Uhland beschrieb, lag im Nahen Osten, hätte aber ebenso gut die Schwäbische Alb sein können. Denn ihre kargen Äcker sind mit Kalksteinen durchsetzt, der Anbau von Obst und Feldfrüchten ist mühsam. Die Bauern waren arm. Und doch trug sich genau hier, im Zentrum der Alb, eine Erfolgsgeschichte des Öko-Landbaus zu, die ihresgleichen sucht. Sie begann in einem deutschen Kriegsgefangenenlager in Frankreich im Jahre 1945.

Dort saß der junge Soldat Johannes Tress und hörte zum ersten Mal durch einen Mithäftling von den Ideen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Tress stammte von Alb, war aufgewachsen auf einem Hof mit angeschlossener Gaststätte, und als er schließlich in sein Dorf Ehestetten zurückkehren konnte, war er infiziert von den neuen Ideen. Er stellte den väterlichen Betrieb auf neue Beine und war 1950 der erste Demeter-Bauer bis zum weiten Horizont.

Blickte Großvater Tress heute vom Himmel herab auf die Alb, er würde staunen: Der Gasthof "Rose" steht zwar immer noch an alter Stelle, doch dahinter und daneben stehen neue Gebäude, das Bio-Hotel, die Schau-Küche, die Suppen-Manufaktur: Die "Rose" ist ein blühender Bio-Betrieb, in dem heute die Enkelgeneration zusammen mit Mutter Inge Tress Regie führt.

Die Rollen sind klar: In der Küche steht Simon Tress, während sich seine drei Brüder um Vertrieb, Service und Finanzen kümmern. Für die Seele des Hauses ist Inge Tress zuständig. Ihrem rustikalen Charme muss man gewachsen sein. Hier ist alles echt, kein Chichi-Architekt hat die Garderobenbügel passend zur Sitzfläche der Stühle ausgesucht, kein Lichtkünstler ein "Konzept erarbeitet". Hier geht es nur "um Essen, Trinken - die drei Sachen", einer der Lieblingssprüche von Inge Tress, über den man als Gast erst mal eine Weile nachdenken muss.

Simon Tress hat die Küchentradition der Rose weiterentwickelt: bodenständig mit raffinierten Anflügen. Die Essenz vom Maßhalderbucher Ochsenschwanz mit Ravioli und Ragout (8,90 €) macht den Auftakt des Fleischmenüs und große Lust auf weitere Gänge. Ganz nebenbei erfährt man von Inge Tress, dass "Maßhalderbuch" eine Außenstelle der JVA Rottenburg ist, auf der Häftlinge mit einer guten Prognose und bei guter Führung Bio-Produkte erzeugen.

Gerade hat Simon Tress zusammen mit Georg Schweißfurth vom Gut Sonnenhofen bei München ein Standardwerk über Fleisch geschrieben, das in jede Küchenbibliothek gehört. Es behandelt alle verwertbaren Teile eines Tieres und nimmt Hobbyköchen die Angst vor der Zubereitung von so delikaten Dingen wie "Sülze von der Rinderzunge". Genau die liegt als zweiter Gang vor uns auf dem Teller, begleitet von Meerrettichmousse sowie einer Crème aus Äpfeln und Schwarzwurst mit Rosmarin. Von der vegetarischen Karte kommt als Zwischengang: Alblinsen-Taler mit Kartoffel-Rosmarin-Kroketten. Alblinsen galten bis vor ein paar Jahren als ausgestorben. Ein Lehrer machte sich auf die Suche und fand die an die kleine Le Puy-Linsen erinnernde Sorte schließlich in einer Gen-Datenbank in Sankt Petersburg wieder. Seither wird sie gezüchtet und auf der Albhochfläche erfolgreich angebaut. Ihr Geschmack ist intensiver als der von herkömmlichen braunen Linsen. Es sind solche beiläufigen Geschichten, die ein Essen in der Rose zu mehr machen als zur reinen Nahrungsaufnahme.

Fast alle Produkte stammen aus der näheren Umgebung, vom Ziegenkäse über den Buchweizen bis zu den Gänsen. Nur der Wein wächst nicht auf der rauen Alb, der wird aber ebenfalls von zertifizierten Bio-Winzern bezogen. Wir hatten zum Einstieg einen Grauburgunder vom Demeter-Weingut Trautwein am Kaiserstuhl, der dem kräftigen Aroma der Sülze gewachsen war, und suchen jetzt nach dem passenden Begleiter für den Hauptgang: Rinderfilet mit Ragout von Hähnchen-Innereien, dazu geschmorter Buchweizen samt Kürbis und Fenchel (25,90 €).

Inge Tress weiß Rat und empfiehlt einen Syrah von der Appelation Crozes-Hermitage, einem kleinen Weinanbaugebiet an der Mündung der Isère. Da muss man also auf die karge Alb fahren, um solche Genüsse zu erleben? Simon Tress kommt schließlich an den Tisch und erzählt über die Lust, immer neue Gerichte aus altbekannten Produkten zu erfinden. Nie käme es ihm in den Sinn, Hummer oder Kobe-Rind auf die Karte zu setzen. Selbst bei den Fischen beschränkt sich die Auswahl auf eine einzige Sorte: Forellen aus einer Bio-Zucht in der Nähe.

Die Rose in Ehestetten ist eine Art Kristallisationspunkt der nachhaltigen Landwirtschaft. Am Stammtisch sitzen hier oft der Schäfer Stotz und der Bäcker Beck, dann kommt noch der Jäger Pfeiffer und der Bioland-Bauer Weber. Und dann reden sie darüber, dass die Spätzle mit Dinkelmehl viel besser schmecken oder dass man die Massentierhalter in Niedersachsen buijäckeln sollte (schwäbisch für: ungespitzt in den Boden schlagen). Wir aber widmen uns der Nachspeise: Topfeneis mit Ingwer-Honig-Crème und einem Mini-Gugelhupf mit Sauerkirschen (8,50 €). Der Abend klingt aus. Und Inge Tress erzählt noch von ihrem Vater, der bei seinem 80. Geburtstag auf dem Tisch getanzt habe. Das würden wir am liebsten auch tun.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: