Kult-Werkzeug:Die Allzweckwaffe

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Der US-Ingenieur Tim Leatherman erfand vor 40 Jahren das gleichnamige Multifunktions-Tool.

Interview von Titus Arnu

Bastler und Outdoorfans schätzen ihn: den "Leatherman", ein handliches Multifunktions-Werkzeug. Aber kaum einer weiß, dass hinter dem Markennamen Leatherman ein Mann des gleichen Namens steckt. Tim Leatherman, ein Ingenieur aus Oregon, hat das Instrument vor 40 Jahren erfunden. Der heute 67-jährige Ingenieur spricht im Interview über Notsituationen auf Reisen, Perfektionismus und seine neueste Erfindung: ein Multitool, das man am Handgelenk tragen kann wie eine Armbanduhr.

SZ: Herr Leatherman, haben Sie gerade einen Leatherman in der Hosentasche?

Tim Leatherman: Klar, ich habe immer einen dabei. Allerdings nicht in der Hosentasche, sondern in einer kleinen Tasche am Gürtel.

Das Ding ist zehn Zentimeter lang und gut 200 Gramm schwer. Was kann es alles?

Es hat 19 Funktionen. Messer, Lineal, Feile, Dosenöffner, Drahtschneider, Säge, Schere, Kapselheber - und vieles mehr.

Wie kamen Sie auf die Idee, so ein Multifunktions-Werkzeug zu konstruieren? Das Schweizer Taschenmesser gibt es ja schließlich schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Wieso haben Sie es noch mal erfunden?

Das kann man so nicht sagen, es ist ein anderes Werkzeug. Erfunden habe ich es, als ich 1975 ein paar Monate lang mit meiner Frau in Europa unterwegs war. Wir sind damals sehr kostengünstig gereist, in Amsterdam haben wir ein gebrauchtes Auto für umgerechnet 300 Dollar gekauft, einen Fiat Seicento. Wir sind damit durch Italien, Frankreich und Spanien gereist und in billigen Herbergen abgestiegen.

Das klingt wahrscheinlich romantischer, als es war.

Taschenmesser mit Zange - oder umgekehrt? Der Leatherman. (Foto: Leatherman)

Ja. In diesen Hotels war immer irgendetwas kaputt, und wenn der Wasserhahn die ganze Nacht tropft, wird man ja irre. Ich hatte ein Taschenmesser dabei und versuchte, damit den Hahn zu reparieren - vergeblich. Auch am Auto gab es dauernd etwas zu reparieren. Einen Werkzeugkasten gab es nicht im Fiat, und mit meinem Taschenmesser kam ich auch nicht weiter. Ich dachte: Da fehlt eine ordentliche Zange. Das war die Grundidee.

Und dann haben Sie einfach eine Zange und ein Taschenmesser gekreuzt?

So einfach war das nicht. Ich verbrachte ungefähr acht Jahre in meiner Garage, um das Werkzeug zu einem serienreifen Produkt zu entwickeln. Und um Kunden zu finden. Nach fünf Jahren hatte ich ein Modell, das meinen Vorstellungen entsprach. Danach brauchte ich noch weitere drei Jahre, um es in den Verkauf zu bringen.

Acht Jahre? Und wovon haben Sie damals gelebt?

Von verschiedenen Jobs. Ich arbeitete unter anderem als Helikopter-Mechaniker, Vertreter für Baumaterialien und Englischlehrer. Um ehrlich zu sein, hat meine Frau uns in dieser Zeit ernährt. Sie war sehr geduldig. Aber es hat sich gelohnt.

Wie viele Leatherman-Werkzeuge haben Sie bis heute verkauft?

Ungefähr 80 Millionen. In unserem Werk in Oregon produzieren wir 8000 pro Tag.

War das Produkt von Anfang an so erfolgreich?

Überhaupt nicht. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Kunden das Produkt akzeptierten. Der erste Abnehmer war ein Versandkatalog. Ich dachte, ich hätte ein Taschenmesser mit Zange erfunden, aber es stellte sich heraus, dass das Ding eher als Werkzeug mit Messerklinge wahrgenommen wurde. Mir soll's recht sein, jeder soll es für das halten und damit machen, was er für sinnvoll hält.

Tim Leatherman, Ingenieur aus Oregon. (Foto: Leatherman)

Bekommen Sie Rückmeldungen von Kunden, in welchen Situationen das Teil geholfen hat?

Ja, viele. Die spektakulärste Geschichte dreht sich um einen Flugzeugabsturz. Als ein Buschpilot in Alaska zur Landung ansetzte, fuhr das Fahrwerk nicht aus. Dem Copiloten gelang es, mit einem Leatherman die Abdeckung der Cockpit-Instrumente abzuschrauben. Ein Kabel war gerissen, und mit der Zange konnte er den Stromkreis überbrücken - am Ende funktionierte das Fahrwerk. Man kann also sagen, dass ein Leatherman einen Flugzeugabsturz verhindert hat.

Da wir gerade beim Fliegen sind: Wegen der strengen Sicherheitsvorschriften kann man das Tool auf Reisen nicht im Handgepäck mitnehmen, wo man es eigentlich bräuchte.

Genau, das ist ein Problem. Aber wir haben eine Lösung gefunden. Schauen Sie mal auf mein Handgelenk!

Dieses seltsame Armband?

Ganz richtig. Das ist unsere neueste Entwicklung. Ein Multitool in Form eines Metall-Armbands. Dazu gibt es folgende Geschichte: Mein Chefingenieur wollte mit seiner Familie Disneyland besuchen, und bei der Sicherheitskontrolle haben sie ihn nicht durchgelassen - weil er, wie immer, seinen Leatherman dabeihatte. Daraufhin konstruierte er dieses Armband, in dem sich einige Werkzeuge verstecken - vom Schraubenzieher über einen Papierschneider bis zum Nothammer, um zum Beispiel eine Autoscheibe einzuschlagen. Man darf das Ding sogar mit ins Flugzeug nehmen - im Gegensatz zum Taschenmesser.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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