Interieur:Der Wert der Dinge

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Axel Vervoordt ist Designer, Innenarchitekt, Sammler und Kunsthändler, er richtet die Häuser von Weltstars ein. Wie lebt so ein globaler Stilprofi? Üppig, wie ein Schlossbesuch in Antwerpen zeigt.

Von Christian Mayer

Das Pferd im Empfangsraum strahlt majestätische Würde aus, Kraft und Eleganz, und je nach Blickwinkel des Betrachters schimmert das Fell des Braunen mal heller, mal dunkler, man kann sich darin verlieren, wenn man auf den Hausherrn wartet. Was für ein Gemälde, das einen hier auf symbolkräftige Weise empfängt - das Bildnis, das ein zeitgenössischer Künstler im Stil der alten Meister gemalt hat, scheint wie gemacht zu sein für den Besitzer dieses Schlosses, der auch ein passionierter Reiter und Pferdenarr ist.

Kasteel van 's-Gravenwezel in Belgien, das Domizil von Axel Vervoordt. Wer sich auf diesen Mann einlässt, erlebt eine Zeitreise quer durch die Kulturgeschichte, und man sollte besser gut zu Fuß sein, wenn man dem 69-jährigen Hausherrn treppauf, treppab auf den knirschenden Holzböden folgen möchte. Jeder Raum ist Ausdruck seiner Leidenschaft: "Wenn ich mich in eine Sache verliebe, kann ich mich nur schwer zurückhalten", erzählt er während der Besichtigung. Das Wohnzimmer mit dem Skurrilitätenkabinett, den ägyptischen Figuren, buddhistischen Mönchsköpfen, Seepferdchen; das Arbeitszimmer, wo der Schreibtisch beinahe unter der Last der Lese- und Schreibmaterialien zusammenbricht; die mit Werken italienischer Minimalisten und Nagelbildern von Günther Uecker geschmückten Gästezimmer; die rustikale Küche aus dem 17. Jahrhundert: Ein Schlossbesuch bei Vervoordt ist ein sinnliches Erlebnis, und man staunt darüber, wie all diese Dinge doch eine Einheit ergeben.

Bill Gates, Sting, Calvin Klein, Robert De Niro nehmen seine Dienste gerne in Anspruch

Genau das ist ja die Spezialität des in Antwerpen geborenen Designers, Kunsthändlers, Sammlers und Innenarchitekten: Möbel und Kunstwerke zu kombinieren, die an sich nichts gemeinsam haben, außer der Liebe des Besitzers. Vervoordt ist berühmt für seine Geschmackssicherheit; er hat ein Geschäftsmodell daraus gemacht. Wer ein ganz besonderes Haus will und auch noch die passenden Bilder und Antiquitäten, der ist bei ihm an der richtigen Adresse. Bill Gates, Sting, Calvin Klein oder Robert De Niro zählen zu seinen Kunden, auch Mitglieder des europäischen Hochadels, die oft weit weniger originell wohnen als ihr Hofdesigner.

Axel Vervoordt nimmt Platz vor dem offenen Kamin und serviert einen Espresso, das Fenster zum Park ist leicht geöffnet, draußen hält der Frühling Einzug. Bald wird seine Frau May wieder Blumen im Garten pflücken, um den Tisch zu schmücken, ihre Einladungen sind legendär, aber man sollte sich besser keine Hoffnung machen, eine zu bekommen. Wenn man ihn so reden hört, kann man sich gut vorstellen, wie er seine Kunden beeindruckt, mit seinem Humor, japanischer Philosophie und einer alles umfassenden Kunstsinnigkeit. Wäre das jetzt ein echtes Beratungsgespräch, dann würde er genauso vorgehen - erst mal vorfühlen, in den Kunden hineinhören, vielleicht eines der berühmten Museen in Antwerpen mit ihm besuchen. "Ich lasse meine Kunden auch schon mal richtig lange überlegen. Sie sollen ja in ihrem eigenen Haus leben, nicht in meinem."

Der Schlossherr führt den Besucher in sein China-Zimmer. Das Porzellan, das hier zur Teestunde bereitsteht, wirkt matter als gewöhnlich, was am Fundort der Preziosen liegt. Die Ming-Vasen, die Teller und Tassen lagen 350 Jahre auf dem Grund des Südchinesischen Meeres. 1983 wurde das Schiffswrack mit der schönen Fracht geborgen. Als junger Mann machte Vervoordt aus den Stücken das Geschäft seines Lebens: "Das war ganz schön viel Porzellan auf einen Haufen - aber bestens erhalten", sagt er. Die Auktion in Amsterdam wurde ein spektakulärer Erfolg, und es ist kein Zufall, dass der Kunsthändler bald darauf das Geld hatte, um das Grundstück mit dem damals ziemlich heruntergewirtschafteten Schloss zu kaufen.

Das Handy klingelt, Vervoordt hat eine Besprechung mit seinen Architekten vergessen. Draußen wartet der Fahrer. Vom Schloss bis zum Kanaal östlich von Antwerpen sind es 15 Autominuten. Schon von Weitem sind die alten Rundtürme der Destillerie sichtbar. Vervoordts "village in the city" ist eine Art Stilimperium mit Showrooms, Ausstellungshallen und schicken, neuen Wohnhäusern direkt an der Wasserstraße, wo die Schleppkähne vorbeiziehen. Mehr als hundert Designer, Architekten, Handwerker, Ein- und Verkäufer arbeiten am Firmensitz, auch Vervoordts Söhne mischen kräftig mit: Boris leitet den Handel mit Antiquitäten, Kunst und Design, sein Bruder Dick das Immobiliengeschäft.

Die Wohnungen Marke Vervoordt am Kanaal sind begehrt - gerade läuft der Verkauf, die Gärten und Wege über der Parkgarage sind im Entstehen. Für die Familie ist das Geschäft mit den Wohnungen auch eine Rückkehr zu den Anfängen. Schon als 14-Jähriger erwarb Axel Vervoordt mit dem geliehenen Geld seines Vaters in englischen Herrenhäusern Antiquitäten zum Schnäppchenpreis. Nach seinem Wirtschaftsstudium sanierte er gemeinsam mit seiner Mutter 14 Renaissance-Häuser im Vlaeykensgang, einer Gasse direkt hinter dem Dom in der Altstadt von Antwerpen, wo sich bis vor Kurzem noch die familieneigene Galerie befand. Die Firma expandiert, sie braucht mehr Platz für die Besucher, mehr Präsentationsfläche, mehr Lagerräume - das Fabrikgelände am Kanaal , das sogar über eine eigene Kapelle, ein Restaurant, eine Bäckerei und eine neue Galerie verfügt, lässt da kaum Wünsche offen.

Hotels sind nicht seine Sache. Aber für den Bayerischen Hof macht er eine Ausnahme

Vervoordt kann es sich leisten, nur noch ausgewählte Kunden persönlich zu betreuen. Zum Beispiel Innegrit Volkhardt, die Chefin des Hotels "Bayerischer Hof" in München. Der Belgier hat bereits das Sternelokal "Atelier", das Restaurant "Garden", das Kino und die Palaishalle umgebaut, eine 350 Quadratmeter große Luxussuite über den Dächern der Stadt und weitere Zimmer sind gerade im Entstehen. In New York hat er schon einmal so etwas gemacht, für den Schauspieler Robert De Niro, der das Greenwich Hotel in New York nach Vervoordts Plänen auf raffinierte Weise aufstockte. Dabei mag er eigentlich gar keine Hotels, sagt der Designer: "Die allermeisten Fünf-Sterne-Häuser sind viel zu unpersönlich, sie geben immer vor, mehr zu sein, als sie sind." Doch der Bayerische Hof hat es ihm angetan, oder vielmehr seine Besitzerin, die wie er ein Familienunternehmen führt.

Kann man guten Stil eigentlich lernen, vielleicht sogar von ihm? Vervoordt lacht. "Ich glaube nicht, bei mir ist alles Intuition." Seit seiner Jugend entscheide er aus dem Bauch heraus, für wen er arbeitet und für wen nicht. Und genauso arbeite er als Sammler. "Intuition" heißt auch der Titel einer Ausstellung, die Vervoordt bei der diesjährigen Biennale in Venedig kuratiert. Wenn ihm etwas gefällt, müsse er es haben, erzählt er. So wie das Kunstwerk "At the Edge of the World" von Anish Kapoor, das in einem der Destillerie-Türme zu sehen ist: Wer unter dieser alles überwölbenden roten Glocke steht und nach oben blickt, verliert sich automatisch im Nichts, in einem Hohlraum, der das Licht und den menschlichen Körper zu verschlingen scheint. Nur mit vielen Zugeständnissen gelang es dem Sammler 1998, Kapoor zu einem Verkauf zu überreden, mit der Auflage, das Kunstwerk für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

"Mein Vater musste ein Pferd nur einmal hören, dann wusste er genau, was es wert war."

Zurück im Schloss, es ist Nachmittag geworden. Vervoordt zieht seine Schuhe aus und zeigt seine froschgrünen Socken. Zum Durchschnaufen sei ja eigentlich nie Zeit, seitdem er und seine Frau dieses Gebäude 1984 von einer alten Adelsfamilie gekauft und dann aufwendig mit 40 Leuten renoviert haben. "Man ist niemals fertig, wenn man ein Schloss hat, das ist eine ständige Auseinandersetzung mit der Geschichte", sagt er.

Einen Raum muss er jetzt noch unbedingt herzeigen. Sein Refugium im Obergeschoss, in dem er gerne mehr ausruhen würde. Eine Futon-Landschaft breitet sich dort aus, ein paar Kissen, das Licht dringt nur spärlich ein in das Schattenreich des Designers und lädt ein zum Meditieren. "Ich mag es, wenn sich die Atmosphäre auf den Bewohner überträgt", sagt Vervoordt, ein merkwürdiger Satz, aber hier versteht man ihn. Bei seinen Japan-Reisen hat er die Philosophie des Wabi-Sabi entdeckt, die die Schönheit auch im Nicht-Perfekten erkennt, abseits der streng genormten Designwelten - etwa in Steinen, knorrigen alten Brettern, von der Zeit oder vom Zufall deformierten Keramikschüsseln und archaischen Tafeln, die in fast allen von Vervoordt gestalteten Häusern zu finden sind.

Was so zufällig wirkt, ist Teil eines ausgeklügelten Konzepts: Wabi-Sabi bedient die Sehnsucht nach Schlichtheit im Wohlstandsleben, nach Echtheit und Wertbeständigkeit - eine perfekte Wohnphilosophie für Leute, die ohnehin schon alles haben. Vervoordt versteht es offenbar, den Kunden das Gefühl zu geben, eine geradezu lebensnotwendige Kaufentscheidung getroffen zu haben, die man dann sogar noch revidieren kann: Wer bei ihm ein Kunstwerk erwirbt, kann es zum Einkaufspreis wieder zurückgeben, wenn es ihm nicht mehr gefällt. Was natürlich die wenigsten tun, aber sie haben dann ein gutes Gefühl. Ganz schön clever, der Mann.

"Wissen Sie", sagt er zum Abschied, als man wieder im Eingang steht, "mein Vater war ja Pferdehändler. Er musste ein Tier nur einmal hören, dann wusste er genau, was es wert ist. Das hat mir immer imponiert." Und ein wenig scheint sich Axel Vervoordt von ihm abgeschaut zu haben: Auch er kennt den Wert der Dinge. Seinen eigenen ganz besonders.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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