Geknackt:Ein höllisches Rätsel

Lesezeit: 8 min

Was ist 31 Zentimeter breit und zerbröckelt am Rand? Wer arbeitete illegal im Vatikan? Die Auflösung des Weihnachts­rätsels.

Von Oliver Rezec

Schauerliche Figuren, eine kopfstehende Landkarte und "...cht ...cht ...cht" im Grundgesetz: Hier sind alle Antworten auf unsere Rätselfragen.

Der gewaltige Schöpfer

Zu sehen war eine anatomische Skizze aus einem alten Schulbuch. Wer sich selbst abtastete, suchte vergeblich: Die Abbildung stammte aus "Pokornys Tierkunde für die unteren Klassen der Mittelschulen" aus dem Jahr 1910 und zeigte den "schematischen Querschnitt durch den Kopf eines Bartenwales". Mit dem "gewaltigen Schöpfer" meinte der Buchautor also nicht den Herrgott, sondern "die Flanken des mächtigen Unterkiefers", mit denen der Wal das Wasser durchschaufelt. In der Grafik bezeichneten "U" und "O" den Unter- und Oberkiefer, das "Z" stand für den Zwischenkiefer, gewissermaßen das Verbindungsstück zwischen Nasenbein und Oberkiefer. "N" meinte die Nasenscheidewand, "M" die Mundhöhle. Und an der Stelle des Fragezeichens sieht man im Original das Kürzel "Zu" für die riesige ZUNGE des Wals.

Der letzte Kastrat des Vatikans

Ein Job in der Sixtinischen Kapelle, der für Frauen verboten ist - für Männer aber auch? Die Rede war von den illegalen Kastratensängern des Papstes.

"Sixtinsche Kapelle", so heißt nicht nur der berühmte Gebäudeteil mit Michelangelos Fresken, sondern auch der päpstliche Chor. Dort sind zwar acht Sopranstimmen vorgesehen, doch Frauen ist der liturgische Gesang ja untersagt. Darum übernahmen traditionell Knaben den Sopran - bis in der Renaissance die Kompositionen zu komplex wurden: Kaum beherrschten die Buben ihre Partituren, kamen sie schon in den Stimmbruch. Von 1609 an wurden sie allesamt durch kastrierte Männer ersetzt.

Dass sowohl das weltliche Recht als auch Papst Sixtus V. die Kastration verboten hatten, war seinen Nachfolgern egal. Vielen Eltern auch: Eine Karriere als Sängerkastrat - ob in einer Kirche oder auf einer weltlichen Bühne - erschien im 17. und 18. Jahrhundert so attraktiv, dass jährlich Tausende, insgesamt womöglich 100 000 Jungen kastriert wurden. Ungezählte starben bei dem blutigen Eingriff. Und wer überlebte, war deswegen noch kein begabter Sänger.

Einer der wenigen Erfolgreichen war im Rätsel gesucht: ALESSANDRO MORESCHI, der letzte Kastrat des Vatikans. Er ging 1913 in den Ruhestand und ist der einzige Kastrat überhaupt, von dem Tonaufnahmen existieren. Es sind verstörende Dokumente: Mal klingt er wie ein überforderter dicker Junge (Kastration führte oft zu enormer Körperhöhe oder, wie im Fall von Moreschi, zur Fettleibigkeit), im nächsten Moment strahlt er mit präzisen, schneidend hohen Tönen. Bei den Aufnahmen war Moreschi wohl nicht mehr in der Form seiner Glanzzeiten - seine Zeitgenossen schildern den Gesang jedenfalls als brillant.

Der Dachs, der Lachs, der Luchs

Gesucht waren sieben sehr ähnliche Tier- und Pflanzennamen: Jeder sollte sich nur um einen Buchstaben vom nächsten unterscheiden. Als Hinweise dienten lediglich die Kategorien "Säugetier", "Wirbeltier" und "Baum oder Strauch" sowie die Angabe, der wievielte Buchstabe jeweils wechselt. Das genügte, um die gesuchte Reihe zu rekonstruieren: Dachs - Lachs - Luchs - Fuchs - Buchs - Buche - Bache. Letzteres ist ein weibliches Wildschwein, daher das Symbol für "weiblich" neben der Milchflasche. Die auszutauschenden Buchstaben ergaben zusammen das Wort FELDBAU.

Die Glocke im schiefen Fenster

Auf den ersten Blick wirkte das Foto unauffällig: Der Horizont verlief waagrecht, die Glocke hing senkrecht. Bloß die einfassenden Mauern - standen die nicht verdächtig schief? Die gezeigte Glocke hängt im Schiefen Turm von PISA, wie auch die Kuppeln im Hintergrund bestätigten: Rechts sah man den Dom zu Pisa, dessen Glockenturm der Schiefe ist, links dahinter das Baptisterium, die Taufkirche mit dem einprägsamen, nur zur Hälfte geziegelten Dach.

Das gefälschte Planetensystem

Gemessen an der Zahl richtiger Einsendungen war diese Rätselfrage mit Abstand die schwierigste: Ein kolorierter Stich zeigte ein Modell des Sonnensystems. Darin sei der Name einer mythologischen Gestalt mit sieben Buchstaben verschlüsselt, verriet das Rätsel - mehr nicht.

Dass die Darstellung kein historisches Original war, sondern von uns manipuliert, verriet unter anderem der etwas alberne Titel "Planisphærivm Mysticvm" auf den Spruchbändern der Engel. Da genau sieben Planeten eingezeichnet waren, konnte man vermuten, dass jeder für einen Buchstaben steht. Und da sich einige Planeten exakt gegenüberstanden, war ihre Anordnung offenbar kein Zufall.

Das Planetensystem gab sein Geheimnis preis, wenn man es las wie eine Uhr: Statt der Zahlen 1 bis 12 musste man sich reihum die Buchstaben A bis Z denken, wobei der oberste Punkt für Z stand, entsprechend dem Höchstwert 12 auf einem Zifferblatt.

So konnte man an der Stellung jedes Planeten einen Buchstaben ablesen: Der innerste Planet befand sich auf der Position M, der nächste auf Position I ... Von innen nach außen gelesen entschlüsselte sich MINERVA, die Schutzgöttin der Künstler und Handwerker.

Der zerbröselnde Streifen

Auch wer ihn oft gesehen hat, dürfte sich kaum an ihn erinnern: Der im Rätsel abgebildete Balken, der am Rand in kleine Stücke zerfällt, stammte vom Verkehrszeichen "Schlechter FAHRBAHNRAND".

Im amtlichen Verkehrszeichenkatalog ist das Aussehen jedes Zeichens genau festgelegt, auch das tanzende Auf und Ab jener acht Brocken, die den Fahrbahnrand darstellen. Die Standardgröße des Schildes beträgt 60 mal 33 Zentimeter, womit der intakte Teil des Streifens ziemlich genau 31 Zentimeter lang ist, wie im Rätsel angegeben. Seit einigen Jahren ist das Schild übrigens nicht mehr im Katalog verzeichnet, wird also nicht mehr neu aufgestellt.

Die verdrehte Landkarte

Die Namen auf dieser Karte waren mal aufwärts, mal abwärts gedruckt, offenbar ließen es die Länderumrisse nicht anders zu. Deswegen konnte man leicht übersehen, dass es keinen guten Grund gab, weshalb der dritte Ländername kopfüber stand - außer: Die ganze Karte stand kopfüber. Norden war unten, und das große "n" in der Mitte war in Wirklichkeit ein "u".

Und welche Länder enden auf "...ome" und "...ta"? Heute keines mehr, außer Malta, das aber offenkundig nicht zu sehen war. Die abgebildete Karte war veraltet: Sie datierte aus dem Jahr 1966. Die angeschnittenen Länder Dahome (auf anderen Karten auch "Dahomey" geschrieben) und Obervolta waren kurz zuvor unabhängig geworden und trugen noch ihre alten Namen; inzwischen heißen sie Benin und Burkina Faso. In den Ausschnitt ragten außerdem Teile von Ghana, Togo und der Republik Niger. Der Fluss war der gleichnamige NIGER.

Das große "u" gehörte zum Wort "Sudan": So nennt man nicht nur den zerrütteten Staat, sondern auch den riesigen Landschaftsstreifen, der die Sahara im Norden von den Tropen im Süden trennt.

Die Wurzel und die Badewanne

Aus negativen Zahlen kann man eigentlich keine Wurzel ziehen. Für manche Zwecke wäre das aber ganz praktisch, darum haben sich die Mathematiker etwas einfallen lassen: die "Imaginäre Einheit", für die vereinbart wird, sie sei die Wurzel aus -1. Ihr mathematisches Kürzel lautet i. Im Rätsel gesucht war die Wurzel aus -7,389056... , also i mal d ie Wurzel aus 7,389056... Letzteres ergibt 2,7182818... : Das ist die "Eulersche Zahl". Sie ist für Berechnungen nützlich, bei denen sich ein Wert exponentiell ändert (etwa beim Wachstum von Bakterien oder radioaktivem Zerfall) und w ird m it e abgekürzt. Die abgedruckte Zahl war somit der Wert von e · i oder - da man das Malzeichen auch weglassen darf - von ei. Das gesuchte Nahrungsmittel war also ein Ei.

Dann war nach einem Grundgesetzartikel gefragt, dessen sämtliche Wörter auf "cht" enden. Artikel 31 hat überhaupt nur drei Wörter, er lautet schlicht: "Bundesrecht bricht Landesrecht".

Fehlte noch die Moral von der Geschicht'. Fast jeder kennt diese Formulierung, doch wenige wissen, woher sie stammt: In Wilhelm Buschs Bildergeschichte "Das Bad am Samstagabend" müssen die Buben Franz und Fritz das Badewasser teilen und beginnen darin eine wilde Rauferei, so dass Wanne, Ofen und der im Rätsel gezeigte Krug umstürzen. "Und die Moral von der Geschicht': Bad' zwei in einer Wanne nicht!"

Das "Ei", der Anfangsbuchstabe von "Bundesrecht" sowie der zehnte Buchstabe von "Bad' zwei ..." ergaben zusammen das gesuchte Nadelgehölz: die Eibe. Ihr lateinischer Gattungsname lautet TAXUS.

Die Volkslieder mit Doppelgänger

"Schlaf, Kindlein, schlaf! Der Vater hüt' die Schaf, die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt. Maikäfer flieg!" Äh, Moment mal ...

Einige bekannte Volks- und Kinderlieder verwenden die gleiche Melodie, was man vielleicht erst dann bemerkt, wenn man deswegen im Text verrutscht. Je nach Region mag es zwar kleine Abweichungen geben, mitunter sogar von einer Familie zur anderen - doch dass es sich insgesamt um die gleiche Melodie handelt, ist offenbar. In unserem Rätsel waren drei solcher Zwillingspaare gesucht.

Eines davon bilden "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" und "Häschen in der Grube". Wo es beim Fuchs heißt: "sonst wird dich der Jäger holen", heißt es beim Häschen: "Armes Häschen, bist du krank". Die Worte "Jäger" und "bist du" kommen auf den gleichen Noten zu liegen, wie im Rätsel angedeutet: Zwischen dem Bild eines Jägers und den Worten "bist du" stand das mathematische Symbol für "entspricht".

Das zweite Paar war quasi eine Raubkopie: Für sein Wiegenlied "Die Blümelein, sie schlafen" schnappte sich der Komponist Anton Wilhelm von Zuccalmaglio 1840 einfach das alte Weihnachtslied "Zu Bethlehem geboren" und schob ihm einen neuen Text unter. Auch wenn er die Melodie stellenweise nachgezuckert hat: Unter anderem die Anfangszeilen sind melodisch identisch.

Das dritte Bild zeigte eine Landkarte der Region Pommern. Sie taucht im eingangs zitierten Lied "Maikäfer, flieg!" auf: "Die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt". Die entsprechende Stelle in "Schlaf, Kindlein, schlaf!" lautet: "Die Mutter schüttelt's Bäumelein, da fällt herab ein Träumelein". Von den beiden möglichen Entsprechungen passte nur "FÄLLT HERAB" ins Lösungsfeld. Gesucht war ja auch ein "Finitum", also eine finte Verbform, womit das Substantiv "Bäumelein" ausschied.

... und die Bewohner der Hölle

Zum Schluss kamen die merkwürdigen Figuren und Symbole ins Spiel, die bei jeder Rätselfrage warteten. Sie alle waren einem Gemälde entsprungen, von dem ein kleiner Ausschnitt auch im Hintergrund der Rätselseite zu sehen war: Es handelte sich um das Triptychon "Der Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch.

Wann genau dieses monumentale Werk entstanden ist, weiß man nicht; wohl kurz nach 1500. Über Boschs Leben und seine Arbeitsumstände ist wenig bekannt - aber seine zügellos fantasievolle Darstellung von Lustbarkeiten und Scheußlichkeiten machte den "Garten der Lüste" zu einem der berühmtesten Gemälde. Der linke Seitenflügel zeigt das Paradies, der rechte die Hölle. Dazwischen der namensgebende Garten der Lüste: ein unbekümmerter Reigen zahlloser Nackter bei Spiel, Schlemmerei und sexuellen Vergnügungen.

Mit seinen aufklappbaren Flügeln und fast vier Metern Breite könnte man das Werk beinahe für ein Altargemälde halten, doch für eine Kirche war dieses frivole Panoptikum nie vorgesehen. Als Auftraggeber vermutet man Hendrik III. von Nassau, der "Garten der Lüste" war seit dem frühen 16. Jahrhundert im Brüsseler Stadtpalais der nassauischen Grafen zu bestaunen - heute indes im Prado zu Madrid.

So ausschweifend wie die Freuden auf der Mitteltafel, so detailreich schildert Bosch auf dem rechten Seitenflügel die Grässlichkeiten der Hölle. Dieser Teil des Gemäldes war es, aus dem die Figuren und Objekte im Weihnachtsrätsel stammten. Sein Format ist recht schmal: Ohne Rahmen ist die Bildfläche 2,43-mal so hoch wie breit. Wer entdeckte, dass sich genau dieses Seitenverhältnis auch im Weihnachtsrätsel wiederfand, war schon auf dem halben Weg zur Lösung.

Die Rätselseite war von einem Bilderrahmen eingefasst, der in gleichmäßige Abschnitte gegliedert war, quasi eine waagrechte und eine senkrechte Skala. Es war kein Zufall, dass die eine genau 2,43-mal so lang war wie die andere: Was die Skalen da unterteilten, war Boschs Höllenbild - sie überzogen es mit einem Koordinatensystem aus sechs Spalten und dreizehn Zeilen.

Die einzelnen Abschnitte der Skalen trugen diverse Kürzel und farbige Pinselstriche. Es waren verschlüsselte Anweisungen zur Bildung des Lösungsworts: Wer in Boschs Hölle alle neun Figuren des Rätsels wiederfand, konnte anhand ihrer Koordinaten ablesen, was mit der jeweiligen Antwort anzustellen sei. Ein Beispiel: Beim Kastratenrätsel riss ein mausäugiger Dämon mit Häubchen seine Schnauze auf. Bei Bosch entdeckt man diese Figur links unten, genauer: in der Spalte mit der roten Markierung und zugleich in der Zeile mit der Beschriftung "2". Dies bedeutete, dass der rot markierte Buchstabe der Antwort (das O von ALESSANDRO MORESCHI) zum zweiten Buchstaben des Lösungswortes wird.

So funktionierte es mit allen neun Figuren. Allerdings waren noch ein paar Kürzel zu deuten: Beim N von ZUNGE und beim L von FELDBAU lautete die Angabe "3 v 8". Der v-förmige Haken ist das mathematische Symbol für "oder", man musste also selbst entscheiden, welcher Buchstabe wohin gehört. Beim X von TAXUS war zusätzlich "a→b" angegeben: Damit war gemeint, den Buchstaben durch seinen Nachfolger im Alphabet zu ersetzen, aus X wurde Y. Umgekehrt war es beim E von NIGER: Die Anweisung "b→a" machte es zum D. Und beim I von PISA stand das Deleatur, ein Korrekturzeichen mit der Bedeutung "löschen", der Buchstabe entfiel also.

So formte sich schließlich das Lösungswort des Weihnachtsrätsels - der vielleicht skurrilste Name unter den chemischen Elementen: MOLYBDÄN.

207 Leser fanden das Lösungswort heraus. Afra Torge aus Wuppertal hatte auch noch Losglück: Sie gewinnt die exklusive Kuratorenführung durch die Rubens-Ausstellung des Städel-Museums, dazu zwei Nächte im 5-Sterne-Hotel Le Méridien Frankfurt. (Foto: privat)

Insgesamt 1107 Leserinnen und Leser haben uns ihre Antworten geschickt. Allen Mitspielern vielen Dank und Kompliment! Die Gewinner der Buchpreise bekommen Post von uns. Sind sonst noch Fragen offen? Was hat Ihnen gefallen, was sollen wir nächstes Mal besser machen? Wir freuen uns auf Ihre Mail an nussknacker@sueddeutsche.de

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: