Fashion Week:Schluss mit Chichi

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Cool, zuversichtlich und elegant: Bei den Pariser Schauen für Herbst 2017 feiern die Designer die erwachsene Frau. Nur mit der Politik haben sie es nicht so.

Von Tanja Rest

Man trifft Dries Van Noten am Tag nach der Show, es war seine hundertste. Eine Retrospektive zum Jubiläum habe er nicht zeigen wollen, sagt er, "es geht ja weiter, zack, zack". Stattdessen hat er seine liebsten Muster noch einmal hervorgeholt und einfach neue Kleider daraus gemacht. Die hängen nun - leuchtend bunt, höchst komplex und dabei voller Harmonie, wie das Werk dieses Designers nun mal ist - im Showroom im Quartier Marais. Das war aber noch nicht alles.

Van Noten, 58, hat auch seine liebsten Models noch einmal rekrutiert, heute Frauen in den Vierzigern, die seit Jahren keinen Laufsteg mehr betreten haben. Carolyn Murphy, Alek Wek, Amber Valetta, Nadja Auermann, um ein paar zu nennen. "Es war wie bei einem Klassentreffen", erzählt er amüsiert. "Da wurden Kinderfotos gezeigt und Telefonnummern ausgetauscht, die meisten hatten sich seit 20 Jahren nicht gesehen. Es sind Tränen geflossen." Auch im Publikum. Manchmal braucht es ja nicht viel, um die Leute umzuhauen: Erwachsene auf einem Laufsteg, das reicht.

Ein frauenbewegtes T-Shirt macht aus einer Fashionista noch keine Feministin

Pussy-Gate, Women's March, die Mode hat ein neues Thema. Frauen. Das klingt wie ein Witz, denn worüber sonst sollten sich Designer für Damenkollektionen Gedanken machen? Es ist aber nicht so, schon gar nicht in Paris. Im Quartett der großen Fashion Weeks ist die Pariser Ausgabe immer noch die erbarmungsloseste, sie beschäftigt die jüngsten und die dünnsten Mädchen (vom mikroskopischen Anteil der dunkelhäutigen und asiatischen Models fangen wir besser gar nicht erst an) und huldigt in ihrem tiefsten Inneren immer noch einem Ideal bourgeoiser Eleganz, das die Lebenswirklichkeit von Frauen mit Füßen tritt. Kein Wunder, wenn man die Zahlen kennt: Von den in Paris vertretenen Häusern haben 37 Prozent eine Designerin, das ist immer noch viel zu wenig, und in den Vorstandsetagen sieht es noch düsterer aus, da liegt die Quote bei 14 Prozent. Wenn also bei den Schauen für Herbst 2017 viele Designer ernsthaft über Frauen nachdenken, ist das erst mal gut.

Maria Grazia Chiuri zum Beispiel macht in ihrer zweiten Saison bei Dior dort weiter, wo sie vor einem halben Jahr angefangen hat: Sie führt die Eleganz mit der Realität zusammen. Es ist ein Defilee in Dunkelblau, Christian Dior zufolge die einzige Farbe außer Schwarz, mit der man in jeder Lebenslage gut angezogen ist. Der erste Look zeigt das igelhaarige Model Ruth Bell in Kapuzenjacke und weiten Hosen, um den Oberkörper hat sie ganz praktisch den Riemen ihrer Tasche geschlungen und auf dem Kopf eine lederne Baskenmütze sitzen. Das ist schon mal weit weg von der koketten Sanduhrsilhouette des Hauses. Es folgen tatsächlich Jeans und ein Denim-Overall, in dem man jetzt nicht unbedingt die Wände streichen würde, sich aber lässig bewegen kann; die berühmte Barjacke von 1947 wird zum Hoodie umfunktioniert. Später kommen dann natürlich trotzdem noch die Tüllkleider, aber es tut sich was bei Dior. Ein paar Saisons braucht Chiuri noch, dann ist sie genau da, wo sie hin will: bei einem zeitgemäßen Frauenbild.

Phoebe Philo hat es vergleichsweise leichter, sie steht bei Céline seit jeher für schöne und intelligente Kleidung frei von Schnickschnack. Ihre neue Kollektion ist nahezu klassisch, mit maskulinen Anzügen, Smokingjacken und grünen Hängerchen mit Spaghettiträgern. Dazu ein federleichter Trenchcoat plus eine Tasche, in die viel reinpasst, und fertig ist die Garderobe für die Businessfrau auf Reisen (mit belastbarer Kreditkarte, versteht sich).

Clare Waight Keller mag es da deutlich flirrender - ihr Chloé-Girl kam immer in allen Facetten gleichzeitig daher, rockig, romantisch, sexy, abenteuerlustig, stets mit Leichtigkeit unter der Ferse und einer neuen Tasche am Arm, die dann alle sofort haben wollten. Nun hört Keller auf, nach sechs Jahren. In Zeiten, in denen Designer immer flotter vom Hof gejagt werden oder erschöpft das Weite suchen, klingt es wie das Ende einer Ära. Die letzte Chloé-Kollektion der Britin ist nicht die innovativste, aber beschwingt wie eh und je, und die Jogginghose in den Eighties-Farben GrünWeiß-Lila ein sofortiger Instagram-Hit.

Abends bei der Abschiedsparty steht Solange Knowles auf der Bühne. Beyoncés kleine Schwester, aber mit ganz großer Stimme. Als sie die nackten Arme hochreißt, sieht man ohne jeden Zweifel Achselhaare, und alle zucken kurz zusammen. Das ist nämlich exakt schon der Punkt, wo bei der Mode der Feminismus wieder aufhört. Manche der anwesenden Herrschaften sind es leider gewohnt, die gerade angesagten Überzeugungen überzustreifen wie den neuesten New Look. Ein 550 Euro teures Dior-T-Shirt mit der Aufschrift "We should all be feminists" macht aus einer Fashionista aber noch keine Feministin - genauso wenig, wie ein ums Handgelenk geknotetes Bandana-Tuch Mitmenschlichkeit signalisiert (dazu hat, im Kielwasser der Trump-Kritik, die sonst seriöse Webseite Business of Fashion aufgerufen). Und wenn der Balmain-Designer Olivier Rousteing in seinen Show-Unterlagen etwas von "Rebellion" und den "starken Frauen der Gegenwart" faselt, dann ist sein Defilee trotzdem eine Parade gelangweilter Partymädchen, die in völlig überdrehten Luxuslooks auf Raubkatze machen.

Apropos heuchlerisch: Beim Spurt zur nächsten Show stand den Modeleuten einmal die Kundgebung des wankenden Präsidentschaftskandidaten François Fillon im Weg. Sie stöckelten geschmeidig daran vorbei, auch gedanklich. In sechs Wochen wird in Frankreich gewählt, und wenn es ganz dumm läuft, läuft es am Ende auf Marine Le Pen hinaus. Dann ist Europa erledigt, dann hat auch die Mode ein Problem. Frage: Was hatten die französischen Designer, was hatten die Luxuskonzerne und Fans der Pariser Fashion Week dazu zu sagen? Antwort: So wenig, dass es nicht mal für ein Motto-Shirt gereicht hätte.

Was man ebenfalls kaum sah: Ausläufer der grellen, überdekorierten Guccimanie und romantisches Chichi-Gedöns. Athleisure (Sportkleidung, auf Luxus getrimmt), einer der größten Trends der letzten Jahre, war in Paris nahezu tot. Dafür gab es wieder viel Streetwear und großzügige Anleihen bei Stoffen und Schnitten aus der Herrenmode - vorneweg natürlich die breite Schulter, die Demna Gvasalia bei Balenciaga perfektioniert hat. Wirklich neu ist das alles nicht, aber erwachsener, ernsthafter, nicht so kindisch-verspielt wie sonst. Dazu passt der Zettel, der backstage bei Nina Ricci klebte: "Walk cool, confident and elegant!" Es ist nur eine Anweisung an die Models, aber ziemlich exakt auch das Motto der Saison. Genau so sollte eine Frau nämlich durch den Herbst 2017 laufen: Cool. Zuversichtlich. Und elegant.

Man sieht diese Frau auf so vielen Laufstegen, bei Sacai kommt sie auf dicker Sohle in bunter Outdoorjacke und Karohose daher, bei Nina Ricci ist sie halb sinnliche Pariserin, halb texanisches Cowgirl in Cordhosen und Westernhemd, aber distinguiert. Pragmatischer ist es Albert Kriemler angegangen: "Ich hatte schon lange dieses Bild im Kopf - eine Frau, die in ihren Mantel schlüpft, die Tasche packt und das Haus verlässt." Dann fielen ihm vier Motive des kanadischen Künstlers Rodney Graham in die Hände, der sich selbst beim Anziehen eines Mantels fotografiert hatte. Sie finden sich in der Akris-Kollektion nun als Fotoprints auf Mänteln wieder, die zu den raffiniertesten und lässigsten der ganzen Fashion Week gehören.

Lagerfeld winkt, der Countdown setzt ein. Dann startet die Chanel-Rakete

Bitte sehr, das alles sind plausible Vorschläge für Kleidung, die Frauen zwischen Job, Familie und Cocktail in ihr Leben integrieren können - wenn auch hier in der absoluten Luxusversion vorliegend.

Karl Lagerfeld hat seinen Women's March schon vor zwei Jahren inszeniert, wie auch den Flughafen, den Supermarkt, den Boulevard, die Brasserie und den Eisberg. Insgesamt wird es mit den irdischen Themenwelten bei Chanel langsam knapp, weshalb man diesmal ins All ausweicht. Unter der Kuppel des Grand Palais steht, Dampfwölkchen auspuffend und definitiv startbereit, eine 35 Meter hohe Rakete im Dienst der "Gabrielle Chanel Agence Spatiale". Der dazugehörige Look ist eine Sechzigerjahre-Fantasie des Space Age: unten Glitzerstiefel, oben ein silbernes Haarband, aus dem eine Barbarella-Frisur hervorquillt, dazwischen der Tweed-Kosmos des Hauses, ergänzt um Astronauten-Prints und den Saturn als Clutch. Bei Chanel hatten sie zum Glück schon immer Humor. Am Ende röhrt "Rocket Man" aus den Lautsprechern, Lagerfeld winkt, der Countdown setzt ein, Haltekräne fahren zur Seite, Triebwerke sprühen Funken, und die Rakete im Grand Palais - startet.

Okay, nur die untere Hälfte. Aber es ist trotzdem recht fantastisch.

Nun könnte man sagen, die Stadt Paris ist nur so vollgestopft mit Kulissen, die einen Gesicht voran aus den Jimmy Choos kippen lassen, da braucht es vielleicht gar keine Chanel-Rakete ...? Die Cour Marly im Louvre etwa. Hier eine Modenschau stattfinden zu lassen, das ist ungefähr so, als wollte die Berliner Fashion Week den Pergamonaltar bespielen, und da wäre aber was los in Deutschland. Die Franzosen hingegen begreifen Mode als Kultur, und wenn das bedeutet, ein Atrium voller Skulpturen aus dem 18. Jahrhundert mit Menschen zu fluten, die über die Beschaffenheit ihrer Mantelknöpfe ernsthaft nachdenken, ist es Tout-Paris eine Ehre.

An den beleuchteten Nymphen und Göttinnen vorbei marschieren also die Louis-Vuitton-Mädchen in ihren folkloristischen Pelzjacken, glockigen Tweedröcken, Knöchelhosen und geblümten Lingerie-Kleidern mit eingefasster Spitze, und es sieht toll aus wie lange nicht mehr. Nicholas Ghesquière war immer ein Meister darin, völlig konträre Materialien und Stile zu einem stimmigen Ganzen zu verschmelzen, und genau darum ging es ihm ja auch, um Vielfalt. "Paris ist groß geworden, weil es Einwanderer aus aller Welt willkommen geheißen hat", erklärt er nach der Show. "Gerade jetzt müssen wir darüber reden, wie wichtig Einwanderung ist, für uns alle." Und ringsum alle so: Moment, hat er das wirklich gesagt?! Wahrhaftig, am letzten Tag der Fashion Week traut sich hier mal einer, über die Mode hinaus zu denken.

Nachtrag: Eine Woche lang ist man auf dem Weg zur Metro jeden Morgen an einem Werbeplakat vorbeigelaufen. Es zeigt eine Frau mit Netzstrümpfen und Rollschuhen, sie liegt rücklings auf dem Boden, Beine gespreizt. Die Kamera hat ihr direkt in den Schritt fotografiert. Das ist die neue Kampagne von Saint Laurent - oder besser gesagt: Das war sie. Die französische Werbeaufsicht hat das Haus aufgefordert, die Kampagne zu stoppen, sehr viele Menschen hätten sich verletzt gefühlt.

Es ist noch ein weiter Marsch für die Mode, aber immerhin, sie ist unterwegs.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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