Essay:Gute Gaben

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Nichts zu schenken ist ziemlich angesagt. Aber auch ziemlich langweilig. Ein Geschenk kann zu einem großen Moment zwischen zwei Menschen werden.

Von Max Scharnigg

Detox sagt man heute, wenn man weniger von dem tun möchte, was man davor zu viel getan hat. Das Wort ist beliebt, weil es nicht ganz so nach verkorkstem Leben und Arztgespräch klingt wie das alte "Abgewöhnen". Instagram-Detox erlegen sich also die einen auf, andere spüren wegen der US-Wahl das dringende Bedürfnis nach News-Detox. Und für den Heiligen Abend steht bei vielen wieder die Idee eines umfassenden Geschenke-Detox im Raum. Mit keinem Satz erntet man jedenfalls derzeit so beifälliges Gemurmel wie mit "Ich mache dieses Jahr bei dem Geschenkewahnsinn nicht mit."

Das ist schon verständlich, schließlich kann die Schenkerei unterm Jahr ungesunde Ausmaße annehmen. Wer's nicht glaubt, möge sich nur mal in einem mittleren Bürobetrieb mit gutem Arbeitsklima und leichter Frauenüberzahl zum Stichwort "kleines Geschenk für den Kollegen" erkundigen. Das Ergebnis ist meistens imposantes Augenrollen. Denn wenn nicht irgendwann ein Machtwort gesprochen wurde, entwickelt sich so eine herzensgute Belegschaft über die Jahre oft zu einem irr drehenden Gabenkarussell, mit immer höheren Einsätzen. Geburtstag, Beförderung, erfolgreiche Elternschaft, Einstand, Ausstand, Namenstag und am Ende auch der Urlaubsbeginn jedes einzelnen Kollegen werden dann mit "netten Kleinigkeiten" bedacht, die freilich weder nett noch klein sind, sondern eher der eigentliche Grund für kalte Progression und Mobbing-Gelüste.

Dieses pflichtorganisierte Schenken ist tatsächlich zum Abgewöhnen. Aber: Was kann Weihnachten dafür? Nur weil sich am Ende des Jahres bei vielen Menschen das Gefühl breitmacht, sie hätten täglich "einen Fünfer für das Geschenk von der Ute" lockermachen müssen, sollten doch nicht diejenigen bestraft werden, über deren Beglückung man sich noch ein bisschen mehr freut als über Kollegin Utes gelungene Weisheitszahn-OP.

Deshalb an dieser Stelle noch mal: Es tut gut zu schenken. Und es ist schön, beschenkt zu werden. Aber eben nur, wenn noch ein Hauch Überraschung dabei ist. Die lebensklugen Schweden haben diese Überraschung in einem uralten Brauch verankert, dem Julklapp. Dabei ging es ursprünglich darum, dass ein Fremder an Weihnachten eine Kiste ins Wohnzimmer wirft und danach unerkannt entkommt. Hej, was für ein Schreck! Und was für eine Freude, wenn in der Kiste lauter feine Sachen sind, die man erstens nicht erwartet hatte, denn dazu dient der Überfallcharakter. Und für die man zweitens keine Kratzfüße, Dankesworte oder Gegenleistung entbieten muss, das garantiert die Anonymität dieser nordischen Bescherung, die übrigens schon Theodor Fontane bekannt war: "Dann ging sie auf Innstetten zu, um ihm zu danken, aber eh sie dies konnte, flog, nach altpommerschem Weihnachtsbrauch, ein Julklapp in den Hausflur: eine große Kiste, drin eine Welt von Dingen steckte." (Effi Briest)

Sicher, in den heutigen Zeiten sind Fremde, die kistenförmige Objekte herumschleudern, vermutlich nicht besonders gut gelitten. Aber der originale Julklapp wäre doch grundsätzlich ein wohltuender Gegenentwurf zu der nüchtern und kalendarisch absolvierten Schenkerei unter Paaren und Familien heute. Denn dabei wird oft weder zeitlich noch inhaltlich gesteigerter Wert auf die besagte Überraschung gelegt. Schließlich ist der Termin von Geburtstag und Bescherung bekannt, und was dabei ausgepackt wird, wurde vorher per Whatsapp und Amazon-Links geklärt. Dieser pragmatische Austausch von Wertsachen mag die allgemeine Ratlosigkeit lindern, aber er befördert eben meistens nicht das Königliche, das einem wahren Geschenk innewohnt. Das zarte Gefühl nämlich, kurz ganz allein von der ungeteilten Aufmerksamkeit des anderen gestreichelt zu werden. Ein gutes Geschenk erzählt dem Beschenkten davon, wie jemand heimlich über sein Glücklichsein nachgedacht hat. Und das ist ein seltener Moment reiner Freude.

Die Soziologie kleidet den Vorgang in dürre Worte: Durch Gabentransfer werden Beziehungen gefestigt. Aber es ist ja mehr. Ein Kind schenkt dem anderen seine Schaufel. Ein getunter Audi-Fahrer schenkt einem ungetunten Polo-Fahrer die Vorfahrt. Eine Frau schenkt einem Mann nach langer Zeit einen Bund Freesien. Der Effekt ist immer der gleiche. Einen Augenblick lang sieht man sich neu an.

Die besten Geschenke sind also nicht die, mit denen man Weihnachten nur abhakt, sondern diejenigen, bei denen man spontan im Geschäft, in der Galerie oder auf dem Flohmarkt denkt: Das wäre was für den! Und dann nimmt man es mit und schenkt es, ohne etwas dafür zu erwarten, außer eben ein überraschtes Hurra! Die SZ-Redaktion hat hier solche Hurra-Ideen gesammelt. Vielleicht fällt Ihnen, liebe Leser, ja ein Wohnzimmer ein, in das Sie eine davon schleudern könnten?

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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