Dem Geheimnis auf der Spur:Trauminsel

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Nicht alles was man im Internet findet, ist auch Realität: zum Beispiel "Sandy Island". Quelle: Google Earth (Foto: N/A)

Wie es "Sandy Island" doch in die Atlanten und in National Geographic Society schaffte - obwohl es überhaupt nicht existiert.

Von Sofia Glasl

Seeleute und Forschungsreisende halten stets nach Neuland Ausschau. Ihr Entdeckerdrang treibt sie in die entlegensten Ecken der Welt, um diese zu vermessen. Zugleich sehnen sie sich nach Atlantis oder Liliput, nach fantastischen Orten, die auf keiner Karte zu finden sind und nicht gefunden werden wollen, weil sie nach ihrer Entdeckung entzaubert wären. Plattformen wie Google Earth machen die Suche nach weißen Flecken auf der Landkarte immer schwieriger. Die an sie geknüpften Vorstellungswelten schwinden.

Doch manchmal spielt der Zufall hinein: Vor kaum fünf Jahren machten australische Geologen einen aberwitzigen Fund - vielmehr Nicht-Fund: Die Expeditionsleiterin Maria Seton von der Universität Sydney war mit ihrem Team im südpazifischen Korallenmeer, um die dortige Plattentektonik zu untersuchen. Auf See fiel der Crew auf, dass ihre Karten in einem Detail voneinander abwichen: Etwa 1000 Meilen östlich von Queensland, ziemlich in der Mitte zwischen Australien und Neukaledonien, verzeichneten amerikanische Karten eine etwa fünf Kilometer breite und 25 Meter lange Insel namens Sandy Island. Auf australischen und französischen Karten jedoch gähnende Leere, wo das Eiland hätte sein sollen. Die Forscher ließen es sich nicht nehmen und machten einen Abstecher zu den angegebenen Koordinaten 19° südlicher und 159° östlicher Länge und fanden: nichts.

Das Forschungsschiff fuhr einfach mitten durch die vermeintliche Insel

Setons Kollege Steven Micklethwaite berichtete dem Sydney Morning Herald, dass die gesamte Crew Ausschau halten musste. Der Kapitän hatte Sorge, bei einer Untiefe auf Grund zu laufen und in Seenot zu geraten. Das Forschungsschiff fuhr mitten "durch" die vermeintliche Insel, und die Messgeräte zeigten ein Minimum von 1300 Metern Meerestiefe.

Sandy Island ist nun offiziell Phantominsel, also eine Insel, die auf historischen Karten verzeichnet ist, deren Existenz nachträglich aber widerlegt wurde. Was Phantomschmerz eines Forschers sein könnte, die Revision einer Entdeckung, ist auch nicht mehr als eine Forschungsreise: Oft hilft trotz Satellitentechnik nur die klassische Expedition, um sicher zu stellen, ob Land in Sicht ist. Im Englischen gibt es dafür den romantischen Begriff der "un-discovery" - eine Nicht-Entdeckung, doch mit dem befriedigenden Ergebnis, den Beweis erbracht und ein Stück Globus kartografiert zu haben.

Obendrein ließen sich die Wissenschaftler Schadenfreude über den Fehler in Google Earth nicht nehmen. Denn da war Sandy Island zwar in Umrissen angegeben, aber es gab keine Fotos. Statt des sprichwörtlichen weißen Flecks war da nur ein inselförmiger schwarzer Klecks. Sandy Island war zugleich an- und abwesend, Schrödingers Katze in Inselform. Die Frage blieb: Wie kam eine Phantominsel auf offizielle Karten?

Auch wenn die fliegende Insel aus "Gullivers Reisen" oder eine maritime Wanderdüne die Imagination ankurbeln, sind sie nicht wissenschaftlich belegbar. In den folgenden Wochen halfen Forscher weltweit, das Geheimnis zu lüften. Ein Hinweis des Bibliothekars Shaun Higgins vom Museum in Auckland verband die einzelnen Puzzleteile: 1876 hatte der Walfänger Velocity Brandungswellen und Sandbänke ("sandy islets") im Logbuch verzeichnet. Was genau gesichtet worden war, ist schwer zu rekonstruieren. Lediglich die heutige Meerestiefe lässt darauf schließen, dass keine Insel versunken sein kann, dann läge der Meeresboden viel näher an der Wasseroberfläche. 1908 wurde Sandy Island erstmalig auf einer Karte erfasst, nicht aus Schludrigkeit, sondern aus dem damaligen kartografischen Prinzip: Vorsicht vor Genauigkeit. Lieber um eine Phantominsel herumnavigieren als auf eine Sandbank auflaufen.

Erstaunlicherweise wurde die Insel bereits 1974 aus offiziellen Karten des Französischen Hydrografischen Services und 1985 aus australischen Karten getilgt, ohne Aufhebens, lediglich als Formalie. Zu unbefahren ist dieser Teil des Ozeans, zu viele Phantominseln wurden in den letzten Jahrhunderten gelöscht. 2000 suchten Amateurfunker nach Sandy Island, um auf einer "DXpedition", also der Suche nach den abgelegensten Orten mit Funkverbindung, die Nachbarinseln zu disqualifizieren. Ihre Mission blieb erfolglos, das Fehlen von Sandy Island wurde nicht weiterverfolgt. Auch auf amerikanischen Seekarten hielt sie sich eisern, bei einem Scanvorgang wurde die Insel von historischen auf digitale Karten übernommen. Die fehlenden Bilder auf Google Earth erklären sich durch einen Eingabefehler bei der Digitalisierung. Sandy Island war verzeichnet, es gab aber keine entsprechenden Satellitenfotos, und Meeresflächen werden im System aus ozeanografischen Quellen eingespeist. So blieb die Fläche im Nirgendwo zwischen Land und Meer hängen.

Für eine Insel, die nie existiert hat, verfügt Sandy Island über eine ansehnliche Präsenz. Auch wenn sie seit Dezember 2012 endgültig aus allen Karten getilgt ist, hat sie doch kurzfristig einen kleinen Hype ausgelöst und Wissenschaftler weltweit dazu animiert, ihren Status als Phantominsel durch Crowdsourcing zu verifizieren. Auch der kleine Schönheitsfehler, der schwarze Fleck auf Google Earth, wurde von Fans in dieser Phase kurz vor ihrer Löschung beseitigt. Diese verlinkten Bilder von Dinosauriern und fantastischen Orten mit den Koordinaten.

Sandy Island vereint letztlich gegenläufigen Wünsche der Forscher in sich, denn sie konnte entdeckt, kartografiert und archiviert werden. Ihre Nicht-Existenz birgt dennoch das Potenzial eines mystischen Zufluchtsortes.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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