Dem Geheimnis auf der Spur:Robin Hood der Meere

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Im Museum für Hamburgische Geschichte ist ein Schädel ausgestellt, der angeblich von Störtebeker ist. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Um das Leben des Piraten Klaus Störtebeker ranken sich bis heute wilde Legenden. Dabei hat es den Freibeuter wohl nie gegeben.

Von Florian Welle

Und dann haben ihn sogar noch die Punks für sich entdeckt. 1983 riefen die Musiker der Band Slime im Song "Störtebeker" dem vermeintlichen Robin Hood der Meere ein laut gegröltes "Wir vergessen dich nicht" hinterher.

Je weniger von einer historischen Person verbürgt ist, desto mehr sprießen die wunderlichsten Legenden. Dass der bekannteste deutsche Pirat Klaus Störtebeker von seiner angeblich unermesslich reichen Beute jemals etwas den Armen gegeben habe, ist eine davon. Die aber jedes Jahr in Verden an der Aller, wo der Haudegen einmal Unterschlupf gefunden haben soll, gefeiert wird: An die Bevölkerung werden gut 1600 Heringe und 530 Laibe Brot verteilt. Beinahe müßig zu sagen, dass auch die Geschichten, die die Störtebeker-Festspiele in Ralswiek auf Rügen alljährlich dem Publikum vorsetzen, frei erfunden sind.

In den zeitgenössischen Quellen steht so gut wie nichts über Klaus Störtebeker

Warum nicht? Jede Epoche hatte und hat ihren Störtebeker. In der Frühen Neuzeit war er die Inkarnation des Bösen, machte er doch mit seinen Vitalienbrüdern um die Wende zum 15. Jahrhundert Ost- und Nordsee unsicher und setzte den Kaufmannsschiffen der Hanse zu. Dann begann unaufhaltsam die sozialromantische Verklärung zum trinkfesten, den Frauen zugeneigten Tausendsassa (man dichtete ihm gar die Hochzeit mit einer türkischen Prinzessin an), der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Ein Likedeeler, ein Gleichteiler, wurde er oft genannt. In den Zwanzigerjahren verwandelte er sich in der Geschichte des Schriftstellers Klabund zum edlen Freibeuter, die Nazis überhöhten ihn zum arisch-blonden Hünen. In der DDR mutierte er zur Gründerfigur des "Arbeiter- und Bauernstaats".

Der Autor Dieter Zimmerling spricht von mehr als 20 Städten, die der Geburtsort Störtebekers sein wollen. An mehr als 120 Orten soll er sich und seine Reichtümer vor den Verfolgern versteckt haben. Behauptet zumindest der Sagenschatz, und der kennt immerhin mehr als 60 Varianten der Geschichte. Was jeder über Störtebeker zu wissen glaubt, sind die Umstände seines Todes, eine echte Räuberpistole. Angeblich im Jahr 1400 (andere sagen 1401) führte man Störtebeker und etliche seiner Kumpanen dem Henker zu, nachdem zuvor eine eigens zusammengestellte Flotte mit dem Schiff Bunte Kuh an der Spitze die Piraten vor Helgoland besiegen konnte.

Wo sich heute die Hafen-City Hamburg befindet, soll sich diese Szene zugetragen haben: Störtebeker bittet, man möge alle Gefährten freilassen, an denen er ohne Kopf vorbeilaufen könne. Die Sagen nennen zwischen fünf und elf, die Störtebeker kopflos abschritt, bis es dem Henker zu viel wurde und er ihn zu Fall brachte.

1878 fand man beim Bau der Hamburger Speicherstadt zwei aufgenagelte Schädel - einst wurden Piratenköpfe zur Abschreckung aufgespießt. Rasch kam das Gerücht auf, bei einem von ihnen handele sich um den Kopf Störtebekers. Im Museum für Hamburgische Geschichte wurde er zur Attraktion. Um das Jahr 2000 untersuchten ihn Wissenschaftler per Computertomografie. Das Ergebnis laut der Studie "Klaus Störtebeker. Ein Mythos wird entschlüsselt": Der Kopf gehört tatsächlich einem circa 30 bis 40 Jahre alten enthaupteten Mann aus der Zeit Störtebekers. Ob es sich dabei aber wirklich um den Schädel des sagenumwobenen Piraten handelt, mag glauben, wer will. Fest steht aber, dass 2010 zwei Männer die Knochen entwendeten. Nur eineinhalb Jahre später kehrte der Kopf wieder in seine Vitrine zurück.

Was sagen die zeitgenössischen Quellen? So gut wie nichts. Der vollständige Name wird nur einmal in einem Gerichtsprotokoll der Stadt Wismar von 1380 genannt. Darin heißt es, ein Nikolaus Störtebeker sei bei einer Kneipenschlägerei übel verprügelt worden. Die Legendenbildung beginnt kurz danach mit Chroniken, die Störtebeker nach dessen vermeintlichem Tod 1400 erwähnen - von der des Dominikaners Hermann Korner über die in den 1430er-Jahren entstandene Rufus-Chronik bis zur "Wandalia" des Albert Krantz (um 1448-1517). Ende des 17. Jahrhunderts taucht zum ersten Mal ein Porträt des Piraten auf: Der Nürnberger Drucker David Funck bringt die Radierung eines bärtigen, entschlossen blickenden Mannes mit der Unterzeile "Claus Stürtz den Becher" in Umlauf. Der Haken an der Sache: Das Bild zeigt Kunz von der Rosen, den Hofnarren Kaiser Maximilians I., und wurde schon um 1515 gemalt.

Der Historiker Gregor Rohmann kommt daher zu dem bedenkenswerten Schluss, dass Klaus Störtebeker nie existiert habe. Stattdessen sei der Danziger Kapitän Johannes Stortebeker, der "seit mindestens 1394 und bis mindestens 1413 in Nord- und Ostsee als Gewaltunternehmer aktiv" war, das Vorbild für den Mythos. "Vielleicht war er an dem Gefecht vor Helgoland 1400/01 beteiligt. Sicher aber ist, dass er nicht in Hamburg hingerichtet wurde. Stattdessen betätigte er sich noch mehr als ein Jahrzehnt später als Kapitän und Fehdehelfer", schreibt Rohmann. Diese These hat die Quellen auf ihrer Seite und passt auch zu vielen englischen Klagen um 1400, die immer "one called Strotbeker" erwähnen, der die Kaufleute massiv schädige.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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