Dem Geheimnis auf der Spur:Gegen Windmühlen

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Terry Gilliam und sein Don Quixote (Jean Rochefort) im Jahr 2000 in Spanien bei Dreharbeiten, kurz darauf musste das Projekt bis auf weiteres abgebrochen werden. (Foto: imago)

Seit fast 20 Jahren versucht Terry Gilliam einen Film über Don Quixote zu drehen - und scheitert immer wieder an haarsträubenden Pannen. Er ist nicht der erste Regisseur, der an dem Stoff über den legendären spanischen Adligen verzweifelt.

Von Sofia Glasl

Sehr ausdauernd war er, der Don Quixote. Zumindest was das Lesen von Ritterromanen anbelangt. Denn er verschlang jeden Schundroman, den er in die Finger bekommen konnte und glaubte irgendwann selbst, ein Edelmann im Kampf gegen Gefahr und Unrecht zu sein. Er machte sich auf und stürmte gegen vermeintliche Riesen und Armeen, die ihm wie unbezwingbare Gegner erschienen. Die geliebten Geschichten verselbständigten sich in seiner eingebildeten Identität als Ritter und Rächer und sein Knappe Sancho Pansa konnte nur noch verwundert nebenher reiten.

In etwa so muss sich der amerikanische Regisseur und Monty-Python-Mitbegründer Terry Gilliam mittlerweile fühlen. Sein Versuch, Cervantes' Roman für die Kinoleinwand zu adaptieren, währt nun schon 18 Jahre - und scheitert mit jedem neuen Anlauf. In der Zwischenzeit hat er moderne Klassiker wie "König der Fischer", "12 Monkeys" und "Fear and Loathing in Las Vegas" gedreht. Oft wurde er als Don Quixotes Alter Ego bezeichnet, sein stetiger Kampf gegen Produktionsmühlen und -widrigkeiten macht ihn zu einem Verfechter des Wunschdenkens. Obwohl das Projekt sich immer wieder verzögerte und schon mehrfach eingestellt werden musste, lässt er nicht davon ab.

Der Film scheint sich tatsächlich gegen seine Entstehung zu sträuben

Seit 1998 arbeitet Terry Gilliam an dem Projekt, im Jahr 2000 fanden sogar schon Dreharbeiten statt. Jean Rochefort war als Don Quixote vorgesehen, Johnny Depp spielte einen Marketingmanager, der als Zeitreisender auf den Ritter trifft, für Sancho Pansa gehalten wird und mit ihm nun sämtliche Abenteuer bestreiten muss.

Ein Making-of sollte die Dreharbeiten dokumentieren und mit Hintergrundinfos und Interviews anreichern. Dass daraus dann ein tragikomischer Bericht des fulminanten Absturzes der Produktion werden würde, ist vermutlich ganz nach Gilliams Geschmack und Humor - und ein Glücksfall für die Dokumentarfilmgeschichte. "Lost in La Mancha" heißt die Dokumentation und zeigt einzigartige Schnipsel aus dem Spielfilm und Produktionsbilder aller Entstehungsphasen. Zudem protokolliert er schonungslos sämtliche Missgeschicke und Akte höherer Gewalt, die das Vorhaben missglücken ließen: Da springt kurz vor Drehbeginn ein wichtiger Sponsor mit einem Fünftel des Budgets ab, Kampfjets ruinieren die Tonspur und der mühsam gecastete Hauptdarsteller Jean Rochefort zieht sich eine Prostataerkrankung zu, die es ihm unmöglich macht, als Ritter auf einem Pferd zu sitzen, geschweige denn zu reiten. Der komischste und zugleich herzzerreißendste Moment: Mitten in der spanischen Wüste spült ein unvorhergesehener Sturzregen sämtliches Filmequipment in einem reißenden Fluss fort. Dieser Versuch ging also maximal schief und hinterließ einen riesigen Schuldenberg bei der Versicherung, die letztendlich sogar die Rechte am Drehbuch erhielt.

2010 scheiterte ein weiterer Anlauf an der Finanzierung, 2015 musste der nun als Don Quixote ausgewählte John Hurt kurz vor den Dreharbeiten wegen einer Krebserkrankung abspringen. Zum achten Mal hatte Gilliam Anfang dieses Jahres dazu angesetzt und in Cannes groß angekündigt, 2017 mit dem fertigen Film zurückzukehren. Sein Monty-Python-Kumpan Michael Palin soll den Don Quixote spielen und Adam Driver, der kürzlich mit "Star Wars" vom Independentfilm-Geheimtipp zum Superstar avancierte, den Marketingmanager Toby. Das Drehbuch wurde nochmals überarbeitet und selbstironisch gebrochen: Toby ist verkappter Regisseur, der Don Quixote selbst schon einmal adaptiert hat und nach Jahren an den Drehort zurückkehrt. Eigentlich beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Produktion und die Suche nach willigen Geldgebern. Doch Anfang Oktober musste Terry Gilliam wieder den Drehstart verschieben. Ein Produzent hatte nur behauptet, die versprochenen Summen bereitstellen zu können. Das Ganze wirkt wie eine sich wiederholende Zeitschleife, die das Projekt in einem tragikomischen Teufelskreis aus Geldproblemen und Krankheiten gefangen hält - eigentlich ein typischer Gilliam, denn Zeitreise und Identitätsfragen sind in vielen seiner Filme Thema. Dass sich dieses Konzept nun gegen den eigenen Film wendet, ist Ironie des Schicksals, passt aber perfekt zum bisherigen Werk des Regisseurs, das von entwaffnend absurden Momenten lebt.

Wie Gilliam selbst bemerkte, ist er eigentlich Sancho Pansa, der seinem Herrn treu ergeben von einer sinnlosen Eskapade zur nächsten folgt. Wie die Ritterromane in Cervantes' Erzählung hat sich auch Gilliams Projekt verselbständigt. Nicht von ungefähr kommt die Werbezeile der Dokumentation: "The film that never wanted to be made", denn der Film scheint sich tatsächlich gegen seine eigene Entstehung zu sträuben.

Möglicherweise ist es nicht allein Gilliams Vorhaben, das sich gegen sich selbst wehrt. Schon 1957 hatte Orson Welles mit einer Verfilmung von Don Quixote begonnen und eine richtige Obsession entwickelt. Selbst nach dem Tod zweier Hauptdarsteller machte er weiter und nahm über zwei Jahrzehnte Fehlschläge in Kauf. Der Film blieb nach Welles' Tod 1985 unvollendet und wurde 1992 vom B-Movie-Regisseur Jess Franco fertiggeschnitten. Bei Publikum und Kritik war er ein Flop.

Doch ist es nicht immer so, wenn die Erwartungen immens hoch sind? Das müssen sie ja sein, wenn ein berühmter Regisseur 20 Jahre lang an einem Film arbeitet. Vielleicht wäre es für Terry Gilliams Don Quixote sogar besser, weiterhin ein Filmgeheimnis zu bleiben, denn so kann er im Kopfkino der Cineasten weiterleben, als durch unglückselige Umstände gescheitertes Meisterwerk.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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