Dem Geheimnis auf der Spur:Die Baumeister vom Mars

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Auf dem Roten Planeten gibt es keine Kanäle bauenden grünen Männchen. (Foto: Reuters/Nasa)

Lange Zeit wurde spekuliert, dass Außerirdische auf dem Mars ein Kanalsystem errichtet hätten. Längst widerlegt, hält der Mythos sich bis heute.

Von Nicolas Freund

So richtig hatte er es selbst nicht geglaubt, dass es ein Netzwerk von Kanälen geben soll, das die Oberfläche des Mars wie in einem außerirdischen Venedig überzieht. Die "canali" oder "Kanäle", die der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli im 19. Jahrhundert mit dem Teleskop auf dem Roten Planeten meinte entdeckt zu haben, ziehen sich kilometerweit schnurgerade durch die brache Einöde, häufig sogar über weite Strecken streng parallel zueinander. Konnten diese Kanäle in ihrer so künstlich wirkenden Ordnung der Beweis für Leben auf dem Mars sein? Sogar für eine Zivilisation?

Im Februar 1893 hatte Schiaparelli im Magazin Natura ed Arte einen Aufsatz mit Beobachtungen von der Oberfläche des Mars veröffentlicht. Seit 1877, als der Planet der Erde besonders nahe stand, beschäftigte er sich mit dem Himmelskörper. In dem Aufsatz von 1893 beschrieb er auch die eigenartigen, regelmäßigen dunklen Gebilde, die neben dem, was er korrekt für Eis und irrtümlich für Ozeane hielt, durch das Teleskop in Mailand erkennbar waren. Andere Astronomen vor ihm hatten bereits auf diese Strukturen hingewiesen, erst durch Schiaparellis Artikel sind diese "Kanäle" aber einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Das lag vor allem an einem Übersetzungsfehler: In der englischen Version des Textes wurden aus den "canali", die im Italienischen künstliche genauso wie natürliche Wasserläufe bezeichnen können, "canals", was die Assoziation mit künstlichen Bauten näher legt, als es die korrekte Übersetzung "channels" getan hätte.

Der Astronom Schiaparelli löste mit seinen Behauptungen eine Mars-Hysterie aus

Obwohl sich Schiaparelli selbst mit einer Deutung lange zurückhielt, löste er mit diesem Text eine Mars-Hysterie aus: Observatorien wurden errichtet, um die Gebilde von anderen Orten der Erde aus beobachten zu können, darunter das Lowell Observatory in Arizona, von dem aus Jahre später Pluto entdeckt werden wird.

Dass diese Kanäle nur bei perfekten Bedingungen, selbst dann nur manchmal und nicht immer an denselben Orten zu beobachten waren, tat dem Wahn um sie und ihre möglichen Erbauer keinen Abbruch. Im Gegenteil, es ließ sie nur noch mysteriöser erscheinen. Wer konnte schon sagen, was die Marsianer mit ihren Kanälen so alles treiben? Mancher vermutete gar, die Kanäle seien eigentlich unterirdisch angelegt - vielleicht Teil einer ganzen unterirdischen Zivilisation? - und kämen nur bei Bedarf ans Tageslicht.

Zwei Jahre später veröffentlichte Schiaparelli selbst einen Aufsatz mit dem Titel "Das Leben auf dem Planeten Mars". Ausgehend von seinen eigenen Beobachtungen der vermeintlichen Witterungen und Jahreszeiten spekuliert er über die Funktion der Kanäle. "Was wir dazu sagen werden, wird nicht den Wert eines wissenschaftlichen Ergebnisses besitzen, sondern teilweise an einen Roman grenzen." Die Bewohner des Mars seien abhängig von den Schneeschmelzen der Polarkappen, die jedes Jahr im Sommer fast komplett verschwinden. Das Wasser des Ozeans, den er auf der Südhalbkugel des Mars vermutet, hält er für unbrauchbar, da es, wie auf der Erde, höchstwahrscheinlich salzig sein wird. Um also das Wasser aus der jährlichen Polschmelze in ihre Städte und auf ihre Felder zu transportieren, sollen die Marsmenschen die gigantischen Kanäle angelegt haben. Diese sind von der Erde aus erkennbar, da sie nicht einfach kilometerbreite Flüsse sind, sondern aus einem komplexen System von mehreren Kanälen nebeneinander bestehen, die je nach Wasserstand geöffnet oder geschlossen werden können. Man sieht von unserem Planeten aus also eigentlich die feuchte Erde und die Vegetation um dieses Bewässerungssystem herum. Die parallel verlaufenden Kanäle waren somit erklärt, ebenso wie die Frage, warum manche der Linien nicht immer von der Erde aus erkennbar sind: Die Kanäle werden schlicht nicht ständig benutzt. "Der Mars muss zweifellos das Paradies der Wasserbauingenieure sein!", hält Schiaparelli enthusiastisch fest.

Es ist natürlich ein schauriger Kitzel, sich ausgehend von der scheinbaren Existenz dieser Bauwerke ein Bild von deren möglichen Erbauern zu machen: Über ihr Wesen und ihr Dasein zu spekulieren, sich auszumalen, was für Ingenieure das wohl seien mögen, die nicht bloß außerirdisch sind, sondern sich auch noch ihre Zeit mit dem utopischen Bauprojekt eines gigantischen Kanalsystems auf ihrem Planeten vertreiben. Eine leichte Melancholie schwingt in diesen Phantasien von den Bauten einer fremden Zivilisation mit, denn es ist klar, dass keiner der irdischen Beobachter sie je zu Gesicht bekommen wird. Möglicherweise liegt sogar die ganze Mars-Zivilisation in Trümmern und die Kanäle sind nur noch die Ruinen einer Zivilisation. Tatsächlich vermuteten einige der selbsternannten Weltraum-Ethnologen in dem Kanalsystem die letzte Verzweiflungstat einer Kultur, die sich mit dem eigenen Untergang konfrontiert sah.

Letzte Klarheit, dass sich auf unserem Nachbarplaneten nicht doch kleine grüne Männchen die Zeit mit Wasserspielen vertreiben, brachten erst die Marssonden in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Sie fanden weder Plantagen noch Leben in irgendeiner Form. Die heutige Forschung erklärt das Phänomen der Kanäle mit einer Mischung aus tatsächlich existierenden Canyons und optischen Täuschungen: Schatten und harte Kontraste ergänzt das Gehirn zu bekannten Formen und Strukturen. Kein Einzelphänomen: Noch heute meinen Verschwörungstheoretiker, auf den Fotos der Nasa-Roboter, die inzwischen über die Marsoberfläche tuckern, Formen und Gesichter zu erkennen. Die Menschen blicken zu den Sternen und was sie sehen, das sind immer nur sie selbst.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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