Dem Geheimnis auf der Spur:Der wilde Baron

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Gisbert vom Romberg (re.) im Wettstreit mit Till Eulenspiegel. (Foto: Stadtarchiv Dortmund)

Im Ruhrgebiet gilt Gisbert von Romberg als ein Schalk, der die Spießer und die Obrigkeit verspottete. Doch war der reiche Adlige wirklich so tollkühn?

Von Roswitha Budeus-Budde

Und los ging die stürmische Jagd durchs Münsterland, Baron von Romberg war wieder mit seiner Musikkapelle und den Garde-Kürassieren unterwegs, von seinem Schloss Buldern aus in sein Stammlokal in Münster. Die Stadt wartete schon darauf, dass die Sektkorken knallten und bald die ganze Einrichtung durchs Fenster geflogen kam. Die Münsteraner kannten ihren Baron und amüsierten sich über die wütenden, aber folgenlosen Reaktionen des Stadtpräfekten, über die oft ahnungslosen Opfer, Wanderer, die der Baron einlud, in seiner Kutsche mitzufahren, was für sie in heftigen Stürzen endete, die Geistlichkeit, deren Bigotterie er lächerlich machte oder die Standesgenossen, deren Dünkel er offenlegte. Alle malträtierte er mit seinen wilden Streichen, doch immer wurden sie großzügig entschädigt, denn der Baron war einer der wohlhabendsten Männer Preußens.

Bei einem Wettrennen besiegten seine Schweine ein berühmtes Pferd

So erzählt es Josef Winckler in seinem 1923 erschienenen Roman "Der tolle Bomberg", einem der großen literarischen Erfolge in der Weimarer Zeit, der 2016 in 50. Auflage nachgedruckt wurde und einst sogar in der DDR in einer vom Autor bearbeiteten Fassung erschien. Dem wilden Treiben des Helden, dessen Beinnamen "Bomberg" sich Winckler ausgedacht hatte, wird mit großer Fabulierkunst ein Denkmal gesetzt, als einer legendären Figur, an die man sich im Ruhrgebiet bis weit in die Fünfzigerjahre erinnerte. Die Filme nach dem Buch - 1932 mit Hans Adalbert Schlettow und Adele Sandrock, 1957 unter Regie von Rolf Thiele mit Hans Albers und Harald Juhnke - trugen dazu bei, dass seine Eskapaden über Westfalen hinaus bekannt wurden.

Doch wer war er wirklich, dieser Gisbert von Romberg, 1839 als ältester Sohn eines angesehenen und sehr reichen Adelsgeschlechts im Münsterland geboren? Schon beim Schreiben ahnte Winckler, dass er eine lebhafte Diskussion über Wahrheit und literarische Fiktion auslösen würde, und rechtfertigte sich: "Ob diese historische Treue aller Details einer peinlichen Nachprüfung standhält, scheint eine untergeordnete Frage. Was der eine als freches Lügengewebe und schändliche Infamie bezweifeln mag, wird der andere als lauterste Wahrheit beschwören, wie denn der Autor nichts weiter zu leisten hatte, als die nur äußerlich unvereinbaren Widersprüche zu einem charakteristischen großen Gemälde von höherer Wahrhaftigkeit zusammenzuschließen."

Wo finden sich Zeugnisse und Beweise dafür, dass Romberg wirklich den Ruf hatte, wie Winckler schreibt "bei den geistlichen Herren ein Besessener, bei den Adeligen ein Trottel, bei den Spießern ein Hundsfott, bei den Militärs ein Saufgenie, bei den Damen ein Wüstling, aber beim Volk ein Kerl" zu sein? Romberg nahm als Offizier des Kürassierregiments 1866 am Deutschen Krieg teil, der Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Bund und Preußen. Die Dokumente in den Stadtarchiven von Münster und Dortmund vermitteln ein Bild der historischen Gestalt, das Rombergsche Familienarchiv betont, dass der "Tolle Bomberg" eine literarische Fiktion sei.

Doch die Persönlichkeit und ihre Motive bleiben rätselhaft. War er wirklich ein Wohltäter? Er errichtete in Brünninghausen, heute ein Stadtteil von Dortmund, wo die Familie seit 450 Jahren Schloss und Park besaß, ein Lazarett für Kriegsverwundete. Oder war er doch eher der adelige Tunichtgut, verschwenderisch und nur im Suff tollkühn? Dazu passt, dass der leidenschaftliche Reiter viel Geld für Pferderennen ausgab. Auch derbe Scherze sind historisch belegt. So wettete er, dass seine Schweine im Rennen gegen ein berühmtes Pferd siegen würden. Er trainierte die Tiere und ließ sie hungern, sodass sie im Galopp zu den Futtertrögen rannten. Das Pferd hatte keine Chance. Gut in Erinnerung blieb auch sein Ritt über den Töpfermarkt vor der Dortmunder St. Reinoldikirche, bei dem alles zu Bruch ging. Nachdem er die wütenden Marktfrauen mit einer großen Abfindung beruhigt hatte, erklärte er nachträglich alles zu seinem Eigentum. Belegt sind manche Streiche gemeinsam mit dem Münsteraner Zoodirektor Hermann Landois, der ihm in seinen Schrullen in nichts nachstand und mit ihm einen "Liebesbund zur Vereselung der Welt" schloss.

Doch trotzdem bleibt sein Verhalten rätselhaft. Spielte er nur den Narren, war aber eigentlich ein Revolutionär, der dem Adel den Spiegel vorhielt, weil er spürte, dass sich mit der Industrialisierung die alte Standesgesellschaft auflöste? Trieb er seinen Schabernack mit der Obrigkeit und den kirchlichen Würdenträgern, um sie in der Öffentlichkeit zu demaskieren? Die Genarrten revanchierten sich und versuchten ihn kaltzustellen. Von 1881 an wurde ein Entmündigungsverfahren wegen Trunkenheit und Verschwendung vor dem Amtsgericht Dülmen von seinen Vettern Graf Gisbert von Wolf-Metternich und Freiherr Clemens von Romberg angestrebt, das Familienerbe stünde auf dem Spiel. Doch als der Baron durch seine Anwälte beweisen konnte, dass er das Vermögen trotz seiner Eskapaden eher noch vermehrt hatte, auch dank seiner effizient arbeitenden Verwaltung, verlief das Verfahren im Sande.

Er selbst handelte wohl nur als Betrunkener generös. So prozessierte Romberg gegen einen seiner leitenden Beamten wegen Veruntreuung. Doch der schildert ihn in seinen Erinnerungen als Gentleman, wenn auch mit einem Hang zu Leichtsinn und grobem Unfug. In der Öffentlichkeit bleibt jenes literarische Bild in Erinnerung, das ihn als Schelm ähnlich einem Eulenspiegel oder Münchhausen verewigt. Aber der wahre Gisbert von Romberg bleibt weiterhin unbegreiflich.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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