Dem Geheimnis auf der Spur:Auf Fellforschung

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Die kleinen Tiere werden nur zwischen 1,5 und 3 Jahre alt, sind aber schon ab dem 35. Tag geschlechtsreif. (Foto: imago stock&people)

Es gibt etwa eine Million Goldhamster in Deutschland. Was kaum jemand weiß: Fast alle Nager stammen von nur zwei Geschwistern ab.

Von Josef Schnelle

Es ist eines der beliebtesten Haustiere: Schätzungsweise acht Millionen Exemplare des Kuscheltiers werden weltweit in Käfigen gehalten und rennen sich in ihren Laufrädchen nachts die Lunge aus dem Hals. Doch woher ist er überhaupt gekommen, der Mesocricetus Auratus, gemeinhin als Goldhamster bezeichnet? Wo lebt er in freier Wildbahn?

Sein Verbreitungsgebiet ist relativ klein: Es umfasst rund 15 000 Quadratkilometer in Syrien, hauptsächlich gelegen zwischen Aleppo und Homs. Dort leben die Nager in unterirdischen Tunnelsystemen, die sich über mehrere Kilometer erstrecken können - mit Vorratskammern und Nestern, sie legen sogar eine spezielle Toilettenhöhle an. Nur nachts wagen sich die kleinen Tiere für wenigen Stunden aus ihrem Bau, der metertief unter der Erde liegen kann. In ihren Pausbacken sammeln sie Grashalme, Samen und kleine Feldfrüchte. Sie müssen sich sputen, denn viele Feinde lauern auf sie, vor allem Raubvögel, Schlangen und Füchse. Nicht viel ist vom Leben der Goldhamster darüberhinaus bekannt, vor allem nicht, ob sie den aktuellen grausigen Bürgerkrieg in ihrem Gebiet in nennenswerter Zahl überlebt haben. Die Bauern jagen sie außerdem als vermeintliche Schädlinge mit Fallen und Giftködern. Ein ziemlich unscheinbares Tier also, das man getrost zu den gefährdeten Spezies zählen kann.

Und doch ist der Goldhamster eine der geheimnisvollsten Tierarten der Welt. Sie muss schon viele Jahrmillionen existieren, aber erst 1797 wurde sie in der zweiten Auflage der "Naturgeschichte von Aleppo" der Brüder Alexander und Patrick Russel "mit Backen voller Erbsen" erwähnt. 1839 lieferte dann der Naturforscher Robert Waterhouse, der nie einen lebenden Goldhamster gesehen hatte, eine wissenschaftliche Beschreibung. Waterhouse hatte nur ein Fell und einen Schädel zur Verfügung, den das Naturhistorische Museum in London (heute im Britischen Museum) wahrscheinlich den Russel-Brüdern abgekauft hatte.

Erst 1930 gelang es, den Bau von Goldhamstern auszugraben und die Tiere zu züchten

Danach verliert sich erst einmal jede Spur des syrischen Säugers aus der Familie der Wühler. Bis sich 1930 der Parasitologe Saul Adler von der Hebräischen Universität in Jerusalem auf die Suche nach geeigneten Versuchstieren machte, die man leicht nachzüchten konnte. Dafür schickte er seinen Kollegen, den Zoologen Israel Aharoni, auf eine von dessen legendären mehrmonatigen Sammlungsreisen.

In der Umgebung von Aleppo verweilten die Expeditionsteilnehmer nur acht Tage, schafften es aber zuletzt, in einem Weizenfeld in 2,5 Meter Tiefe einen Goldhamsterbau auszugraben. Ein weibliches Exemplar mit 11 Jungtieren fiel ihnen in die Hände. Der Fund reduzierte sich aber schnell. So biss die erschrockene Hamstermutter eines ihrer Jungen tot, und später nagten fünf Junge ein Loch in den Boden der Transportkiste und ertranken in einem Pool. Übrig blieben von den elf Jungtieren nur ein Weibchen und drei Männchen.

Am 18. August 1930 brachte das Weibchen nach geschwisterlichem Inzest die ersten Jungen zur Welt. Aus diesem Wurf stammen sämtliche Goldhamster auf Erden ab, die als Haustiere gehalten werden - genau wie die 150 000 Nager in den Versuchslaboren. Denn danach wurden lange Zeit keine wild lebenden Exemplare mehr gefunden. Die Zucht von Saul Adler aber florierte, schon im ersten Jahr kamen 150 Nachkommen zur Welt. Ein ideales Versuchstier schien gefunden, denn die Geschlechtsreife der Goldhamster tritt nach nur 35 Tagen ein. Die Tiere wurden nach England und in die USA importiert.

Irgendetwas muss dann geschehen sein, das dem Goldhamster das Schicksal als reines Massenopfer von Labortests ersparte. Vielleicht war die Tochter von Mr. Parslow in Great Bookham so begeistert, dass der Betreiber der ersten privaten Goldhamsterfarm in England eine Marktlücke erkannte. Oder 1939, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, war die Zeit einfach reif für ein neues, besonders niedliches Kuscheltier. Jedenfalls wurden die Wühler in den angelsächsischen Ländern bald zu beliebten Haustieren.

Erst 1948 kam die friedliche Goldhamsterinvasion nach Deutschland. Der Münchner Pelztierfarmer Behringer holte sich fünf Tiere aus den USA, und wieder begann der Aufstieg des Goldhamsters, nun in Deutschland, zunächst als Labortier. Die Kinder reklamierten aber auch hier bald den Hamster für sich. Etwa eine Million der Nager leben heute in deutschen Kinderzimmern.

Es hat immer wieder zufällige Wildfänge von Goldhamstern gegeben, die aber nie zu Züchtungen führten. Daher sind die Geschwister von 1930 immer noch die Urahnen aller Haustier-Goldhamster. Erst 1999 gelang es bei einer Expedition der Universität Halle ebenfalls in Aleppo die Baue von wilden Goldhamstern auszugraben, die Tiere zu fangen und später auch zu vermehren. So konnte man erstmals vergleichen, wie sich Wildhamster von Hamstern in Gefangenschaft unterscheiden. Nach 70 Jahren in menschlicher Obhut sind 30 Prozent des Erbguts unterschiedlich. Überraschend: Die niedlichen Kuscheltiere könnten auch in freier Wildbahn überleben. Der Goldhamster ist also nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Vielleicht deshalb, weil Männchen und Weibchen Solitäre sind, also je allein in ihrem Bau leben. Nur zur Paarung kommen sie zusammen. Die Jungen werden, sobald geschlechtsreif, von der Mutter vertrieben. Deshalb heißt es in einem Kleintierratgeberbuch treffend: "Achtung, alleine sind Goldhamster nicht einsam. Sie brauchen keine sozialen Kontakte. Die Anwesenheit von Artgenossen empfinden sie (außer zur Paarung, die schnell vorübergeht) als Stress und unangenehm."

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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