Besteck:Ein Silberstreif bei Tisch

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Eigentlich ist Silber im Haushalt altmodisch, nur denkbar mit gestärkten Servietten zum Sonntagsbraten. Der deutsch-britische Designer Bodo Sperlein hat den Klassiker aufpoliert.

Von Oliver Herwig

Keine Frage: Silber im Haushalt ist altmodisch. Das Edelmetall taucht in der Gegenwart eher als Munition gegen Werwölfe auf, als Sportmedaille oder wird auf dem Flohmarkt stückweise und ironisch für die WG zusammengekauft. Silberbesteck klingt eben nach gestärkten Servietten, Omas Kristallgläsern und Sonntagsbraten. Der in London lebende Designer Bodo Sperlein möchte Silber jetzt aber wieder dorthin bringen, wo es Jahrhunderte seinen würdigen Platz hatte: auf dem Tisch und mitten im Leben.

Als Grund für diese Missionarsarbeit sagt der gebürtige Bayer: "Mich reizen Materialien, wenn sie altmodisch werden." Schon als Kind konnte er sich für die Vergangenheit begeistern. "Wenn andere Kinder auf dem Abenteuerspielplatz rumtobten", erinnert sich Sperlein, "bin ich in die Prähistorische Sammlung gezogen." Diese Leidenschaft für angejährte Objekte führte ihn schließlich nach London, wo er bis 1997 Produktdesign am Camberwell College of Arts studierte und sich in kürzester Zeit einen Namen machte, für Zerbrechliches auf dem Tisch. Bald wurde die Porzellanmanufaktur Nymphenburg auf ihn aufmerksam, später auch noch der Kristallspezialist Swarovski. Als einige britische Spitzenrestaurants ihn um ein ganz besonderes Porzellan baten, fiel ihm etwas auf: Es hatte sich etwas verändert. Nicht nur, dass der Küchen-Unort England zu einer kulinarischen Kreativschmiede geworden war, sondern vor allem, dass die alte Tischetikette über den Umweg dieser neuer Restaurants auch wieder zurück auf den heimischen Tisch gelangte. Und er, Sperlein, war inzwischen Experte geworden für all die Werkstoffe, die seit Jahrhunderten für elegantes Speisen stehen.

Für alle, die nicht mit dem Silberlöffel gefüttert wurden: Pearl Spoons in 925er-Silber. (Foto: Graeme Duddridge/Tane)

Porzellan, Kristall, jetzt also Silber. Und wenn der Designer heute über Tischkultur nachdenkt, geht es nicht mehr um einige Teller, er arbeitet global und mit ganzen Kollektionen . Die Klagen alteingesessener Silbermanufakturen wischt er ganz wörtlich vom Tisch. "Manchen geht es nur schlecht, weil sie nichts Neues auf den Markt bringen." Für den mexikanischen Hersteller Tane legte er jetzt ein ganzes Programm an Objekten für einen gehobenen Haushalt auf: Schalen und Wasserkaraffen, Kaviarlöffel und geflochtene Brotkörbe, Champagnerkühler. Für kühl-funktionale Küchenästhetik, wie sie lange Zeit aus den Ateliers der Designer kam, um die neue, männliche Zielgruppe zu erreichen, hat Sperlein wenig übrig. Ein luftig-leichtes Teeservice mit englischen Himmeln, die er bei Turner sah, handgehämmerte Väschen, dazu Schalen mit Recinto-Steinfassung, Tischglocken, Leuchter, Pfeffermühlen und hölzerne Serviertabletts mit eingearbeiteten Silberspuren - so wie er das Edelmetall verarbeitet, ist es gleichzeitig sinnlich aber eben auch ganz neu verstanden. Und wie modern dieser Werkstoff sein kann, beweist die Krönung der Kollektion, die LED-Leuchtenserie "Hadron": Je drei bewegliche Arme lassen eine v-förmige Acrylschlinge mit eingearbeiteten Dioden herab wie ein wirbelndes Springseil. Weiter könnte das Metall nicht entfernt sein vom Dekostück der guten Stube.

Mit diesem radikalen Neuanfang in Silber ist Sperlein übrigens ziemlich allein - zwar übertreffen sich Schmuckdesigner mit neuen Silberarbeiten, aber in Sachen Haushalt und Küche setzen andere Hersteller wie etwa die Silberschmiede Georg Jensen doch überwiegend auf klassische Formsprache und gediegene Designs.

Vielleicht muss man es deshalb auch noch mal ganz deutlich schreiben: Silber möchte benutzt werden! Und man muss sich darum kümmern, jeden Tag. Nur dann bleibt es das Metall mit dem höchsten Reflexionsgrad, das die Blicke anzieht. Dabei war Silber nie einfach nur schön, wer es besaß, wollte immer auch repräsentieren. Das weiß Annette Schommers, Referentin für Edle Metalle im Bayerischen Nationalmuseum. Sie sieht kostbares Esswerkzeug als Teil des offiziellen Tafelzeremoniells der Höfe. Jedes Material war mit einem bestimmten gesellschaftlichen Rang verbunden: "Gold und vergoldetes Silber stand Fürsten, Königen und Mitgliedern des Kaiserhauses zu, Silber nur adligen Personen; der vornehme Privathaushalt musste sich mit Zinn oder Fayence begnügen." So gesehen erlebt Silber in seinen modernen Neuauflagen auch irgendwie eine abermalige Demokratisierung.

Bodo Sperlein achtet sein neues Material besonders und deswegen will er "nichts zu Modisches entwerfen, weil es ebenso schnell wieder altmodisch ist." Man könne schließlich einen Raum, sagt er, mit einer einzigen Birne gestalten. Nur bei einer Figurengruppe ist ihm der Gaul durchgegangen: Kampfhähne, teils noch vergoldet, stürmen die große Tafel. "Solch auffällige Tischdekoration", sagt der Designer, "gab früher den Anstoß zu angeregter Konversation." Tischschmuck als Alternative zum Gespräch über das Wetter! Die mexikanische Manufaktur, mit der Sperlein zusammenarbeitet, war auch für solche extravaganten Wünsche gut gerüstet. In den letzten Jahrzehnten studierten ihre Handwerker im Louvre alte Techniken und arbeiteten für Tiffany New York. Heute gehört Tane zu Grupo Bal - zusammen mit der größten Silbermine der Welt. Dort wird gefördert, was die Conquistadores übrig ließen von den Schätzen der Neuen Welt. Einst war die Gold- und Silberschmiede das, was heute die Chip-Produktion ist: Spitzentechnologie, ein Geschäft für Spezialisten. Allein in Augsburg, der europäischen Goldschmiedemetropole im 17. und 18. Jahrhundert, hämmerten bis zu 250 von ihnen an feinsten Tafelaufsätzen. Heute werden viele Silber-Spezialisten in Mexiko und der Bretagne ausgebildet. Was diese jungen Handwerker können, zeigt zum Beispiel eine gehämmerte Silbervase mit türkisem Bezug, der an das Contre-Emaille früherer Zeiten erinnert. Nur dass es sich um Nanokeramik handelt, ein Hightech-Material. Bei aller Euphorie für Silber bleibt Bodo Sperlein realistisch. "Ich denke in Einzelstücken", sagt er, "und möchte die Leute nicht zwingen, ein ganzes Set zu kaufen." Das vergleicht er mit Mode, wo sich die wenigsten noch ganze Kollektionen zulegen. Vielleicht ist der Abverkauf in diesem Fall auch gar nicht das Entscheidende. Wer die Tane-Showräume durchwandert oder im Katalog blättert, weiß, das Bode Sperlein mit seinen neuen Arbeiten nicht nur das Silber ausgegraben, sondern etwas viel Wertvolleres ans Licht gebracht hat: ein neues, altes Kapitel Tischkultur.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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