"Anziehsache" zur Rückkehr des Rucksacks:Alter Sack, neuer Geist

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Hauptsache praktisch: der Rucksack. (Foto: Illustration: Jessy Asmus / SZ.de)

Der Jutebeutel ist Geschichte, der Rucksack zurück in Hipsterhausen - dem Fahrrad sei Dank. Doch eines hat sich seit den hässlichen Eastpaks der siebten Klasse nicht geändert.

Von Lena Jakat

Er war kantig und groß und kam aus Amerika. Ich war zwölf oder 13 Jahre alt und völlig hin und weg, es muss so in der siebten Klasse gewesen sein. Brauner Lederboden, grüner Nylonstoff, der gestauchte Globus deutlich sichtbar auf der Außentasche. Den Rucksack hatte mir ein Mitschüler aus den USA mitgebracht, wo er ein halbes Jahr gelebt hatte - zum Dank fürs Schulstoffweiterschicken.

Ein echter Eastpak, Direktimport! Seine Form war überaus banal, sein Grün weder modisch noch auffällig. Ein ödes Tannengrün. Objektiv war der Rucksack hässlich, damals schon. Und doch liebte ich ihn und trug ihn, bis der Reißverschluss riss. Es ging nie um die Optik. Sondern ums Dazugehören. Dieser Rucksack war mein erstes Statussymbol.

Wenige Jahre zuvor hatte ich meinen Eltern monatelang in den Ohren gelegen mit meiner Vorstellung von einer coolen Schultasche. Hatte versucht, sie davon zu überzeugen, dass eine schwere Ledertasche viel praktischer sei als ein Ranzen. Habe ihnen erklärt, dass diese auch mit kiloweise Schulbüchern darin total angenehm zu tragen und völlig unbedenklich für die Entwicklung meiner jugendlichen Wirbelsäule sei. Bis sie es mir glaubten oder entnervt aufgaben.

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Dann kam aus dem Irgendwo die amerikanische Marke mit dem Lederboden und die halbe Welt trug wieder Rucksack.

Rucksäcke in Hipsterhausen

Wenn sich heute noch jemand mit Eastpak auf dem Rücken erwischen lässt, dann vielleicht nur, weil er überprüfen will, ob sich das Unternehmen wirklich an seine 30-Jahre-Garantie hält. Die Siebtklässler von heute schleppen Rucksäcke des Kitesurfing-Ausstatters Dakine durch die Gegend. Und die Siebtklässler von damals tragen - je nach Milieu und Budget - den Fjällräven-Fuchs, die doppelten Herschel-Riemen, ein dickes Chanel- oder Moschino-Logo auf dem Rücken spazieren.

Noch vor wenigen Jahren blieben Rucksäcke für Erwachsene ins Gebirge verbannt, doch inzwischen sind sie selbst in Hipsterhausen wieder gern gesehen - in jenen Großstadtvierteln, wo die Menschen besonders viel Wert auf ihr Äußeres und ihren Avantgardismus legen. In diesem Hipsterhausen hat der Rucksack den Jutebeutel abgelöst. Erleichtert wurde der Übergang zwischen Tüte und Sack durch das kurze Intermezzo des Turnbeutels.

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Alter Sack, neuer Geist

Der Rucksack ist also wieder tragbar - was nicht unbedingt an ihm selbst liegt, sondern am Zeitgeist. Denn die neuen Rucksäcke sind noch immer tendenziell eckig, ihre Farben noch immer tendenziell langweilig. Chanel hat sogar die Anmutung der vollgekritzelten Eastpak-Rucksäcke aufgegriffen; ein "H.D.G.D.L. Bussi forever" fehlt darauf allerdings, zum Glück. Die neuen Rucksäcke sind also alles außer spektakulär. Sie taugen - anders als der Jutebeutel mit dem originellen Slogan oder die Designer-Handtasche - nicht einmal dazu, die Aufmerksamkeit von der Laufmasche / dem Kaffeefleck / dem ungebügelten Hemd abzulenken. Denn der Rucksack zeigt sich erst, wenn der Auftritt vorbei ist.

Ein Rucksack kann Statussymbol sein oder praktisch, manchmal beides. Er gehört zu den Typen, die innere Werte verkörpern. Viel mehr - zum Beispiel Schönheit - ist von ihm nicht zu erwarten. Dachte ich jedenfalls und begab mich dennoch kürzlich wieder auf die Suche. Es wurde eine äußerst aufreibende Recherche. Ich hatte schon fast aufgegeben. Und dann begegnete ich ihm: groß, kantig, graumeliert. Ich bin hin und weg.

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