Analyse:Abgehängt

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Erst Laurèl, dann René Lezard, jetzt noch der Handschuhhersteller Roeckl: Was treibt so viele deutsche Modefirmen in die Insolvenz?

Von Dennis Braatz und Angelika Slavik

Vor drei Wochen ging ein Raunen durch Modedeutschland. Roeckl hat Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet! Ausgerechnet der Lederhandschuh-Primus aus München: Seit 1839 gibt es das Familienunternehmen schon. Nun müssen acht von 19 Geschäften in Deutschland geschlossen und 45 Mitarbeiter gekündigt werden. Als die Nachricht die Runde machte, erinnerten sich viele vielleicht noch mal an das Paar hirschlederne Handschuhe hinten im Schrank, das man einst vererbt bekam oder in das man mal investiert hatte. Davor war Roeckl irgendwie in Vergessenheit geraten.

In der letzten Zeit erging es vielen deutschen Modefirmen mit traditionsreichen Namen so. René Lezard, beheimatet in Schwarzach in Unterfranken, stellte Anfang März den Insolvenzantrag. Laurèl, die einstige Tochterfirma von Escada, musste im vergangenen November in die Zahlungsunfähigkeit. Escada selbst hat den Insolvenzprozess vor ein paar Jahren überstanden und gehört jetzt der Gesellschaft von Megha Mittal, der Schwiegertochter des indischen Stahlmagnaten Lakshmi Mittal. Strenesse versucht nach der Insolvenz 2014 den Neustart, allerdings ohne die einstige Eigentümerfamilie Strehle. Rena Lange gibt es nicht mehr: Weil sich keine neuen Investoren fanden, wurde die Marke 2015 liquidiert. So viel zur Premiummode.

Viele Marken wollten wie H&M und Zara wachsen - und haben sich Shop für Shop verkalkuliert

Bei der Golf-Klasse sieht es zwar nicht ganz so düster aus, aber auch bei ihr läuft es nicht gut. Esprit und Gerry Weber haben sich nach herben Verlusten Sanierungskurse verordnet. Der Hemdenmacher Eterna aus Passau, gegründet 1863, kann durch ein neues Schuldscheindarlehen vorerst aufatmen. Natürlich steuert die deutsche Textilindustrie nicht kollektiv auf die Insolvenz zu, es gibt auch positive Beispiele. Aber warum tun sich viele so schwer?

Jede der genannten Firmen hat zunächst eine eigene Geschichte und individuelle Probleme, klar. So hat Roeckl ganz banal das Wetter zugesetzt. "An unserer Umsatzkurve kann man sehen, wann es warm oder kalt war", sagt die Chefin Annette Roeckl. Und richtig kalt wird der deutsche Winter nicht mehr, weshalb der Einzelhandel seine Sales auch immer früher startete. Eine derartige Häufung von Finanzproblemen ist aber auch kein Zufall.

Es gibt Parallelen, allen voran einen fatalen Hang zur Expansion. Vor ungefähr 15 Jahren fingen deutsche Modefirmen an, einen Shop nach dem anderen zu eröffnen. Vorbilder waren erst Luxusdesigner wie Prada oder Gucci, die in immer mehr Metropolen vertreten waren. Später orientierte man sich vor allem an Fast-Fashion-Anbietern, die selbst vor Kleinstädten nicht haltmachten. Von einer erhöhten Präsenz in den Einkaufsstraßen erhofften sich mittelständische Firmen, übrigens in ganz Europa, ähnliche Erfolge wie Zara, Mango und H & M. Nur konnten sie mit deren Strukturen nicht mithalten: Für riesige Filialnetze muss effizienter und in größeren Stückzahlen produziert werden, zudem haben Fast-Fashion-Anbieter unerreicht schnelle Lieferketten. Diese Erkenntnis führt nun dazu, dass Filialzahlen schon wieder reduziert werden.

Gerry Weber hat bereits mehr als 70 Läden geschlossen, in diesem Jahr sollen noch 28 weitere folgen. "Überdistribuiert" sei das Unternehmen, sagte der Vorstandschef Ralf Weber neulich. Roeckl mag organischer gewachsen sein. Trotzdem klingt es logisch, dass Standorte wie Aachen, Bremen, Karlsruhe oder Mannheim dichtgemacht werden: Wer kein schnelles Wegwerfprodukt verkaufen kann oder will, darf nicht im McDonald's-Stil an jeder Ecke ein Geschäft hochziehen. Selbst Hugo Boss, deutlich entfernt von Zahlungsproblemen, schließt Filialen.

Viele dieser Firmen haben ihre überhastete Expansion mit Mittelstandsanleihen finanziert. Sie haben sich also Geld bei Anlegern geborgt, die sie mit hohen Zinsversprechen gelockt haben. Diese Anleihen müssen sie nun in einem schwierigen Marktumfeld bedienen. Manche sind davon finanziell überfordert: Laurèl etwa flehte schon vor Monaten bei den Anlegern um Gnade, bevor das Unternehmen schließlich doch in die Insolvenz rutschte.

Bei den meisten Premium-Anbietern - und auch das gilt europaweit - kommt erschwerend hinzu, dass sie sich an den Entwürfen der Luxusdesigner orientieren. Aus Verkaufssicht klingt das nach sicherer Bank. Aus Sicht des Käufers geht es häufig nach hinten los. Zum Beispiel gibt es bei Strenesse gerade großflächige Palm- und Farnprints. Der Trend begann vergangenes Frühjahr bei Dolce & Gabbana, die Fast-Fashion-Anbieter legten ihn sofort in einer Billigversion auf. Strenesse bietet ihn also nicht nur zu spät, sondern auch auf einem Preisniveau an, das einem eigentlichen "last season"-Teil die Attraktivität nehmen kann; ein Kleid kostet knapp 500 Euro. Wenn daneben nur noch hängt, was die Kundin sowieso schon kennt, also die Klassiker wie Business-Blazer und Hängerchen in A-Linie, dann wird es schwer, ihre Sehnsüchte zu wecken. Das aber müssen Marken in Zeiten der Übersättigung und ständigen Verfügbarkeit schaffen, da kann die Qualität noch so gut sein.

Strenesse gelang das, eher zufällig, zum letzten Mal 2010: als Jogi Löw zur Fußball-WM in Südafrika einen hellblauen Babykaschmirpullover trug. Er war sofort ausverkauft, Strenesse wurde regelrecht überrannt. Die damalige Kreativdirektorin Gabriele Strehle erklärte im Interview: "Nachdem wir die Herrenkollektion bisher nur in unseren eigenen Läden vertreiben, ist das Kontingent nicht so groß." Zweimal musste nachgeliefert werden.

Hinzu kommt, dass der Generationswechsel in den oft familiengeführten Betrieben nicht gut genug vorbereitet wurde. Mal wurde dem Patriarchen ein verständliches, aber zögerliches Nicht-loslassen-Können nachgesagt (siehe Willy Bogner). Mal installierte er firmenfremde Manager und dann doch wieder seine Kinder (siehe Gerd Strehle bei Strenesse). Mal teilte er das Unternehmen für seine Kinder gleich in zwei eigenständige auf (siehe Stefan Roeckl, dessen Tochter die Leder- und dessen Sohn die nach wie vor gut laufenden Sporthandschuhe bekam). Dass dabei Entscheidungsprozesse erschwert und verlangsamt, viel Budget und gute Synergien verbrannt werden können, ist naheliegend.

Generationswechsel in den Familienunternehmen haben gute Geschäfte erschwert

Wie kompliziert ein Generationswechsel ablaufen kann, hat die Modedesignerin Iris von Arnim erst kürzlich bei einer Veranstaltung erzählt. Arnim war einst nur durch einen Zufall zum Stricken gekommen. Aus dem Zeitvertreib wurde ein Label. Und genau so, wie sich ihre Karriere entwickelt hatte, führte Arnim auch ihre Firma: intuitiv, bisweilen impulsiv, ohne feste Strukturen oder Abläufe. Als sie ihren Sohn Valentin dann zum Einstieg ins Unternehmen überredet hatte, führte eben das zu Problemen. "Es gab überhaupt keinen Plan, keine Verteilung der Zuständigkeiten, gar nichts", sagt sie. Valentin von Arnim hatte zuvor in den USA studiert und für die Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet. "Das hat mich so beeindruckt, ich dachte, der kann absolut alles." Gleichzeitig fand Valentin von Arnim, der Laden seiner Mutter sei "ein ungeschliffener Diamant", werde also erst richtig glänzen, wenn er professioneller geleitet werde. Mittlerweile hat sich das Duo arrangiert: Valentin von Arnim führt das Tagesgeschäft, seine Mutter wacht über das Design. Der Weg dahin sei mühsam gewesen. "Wir haben wirklich viel Geld für Coachings ausgegeben damals."

Soll niemand sagen, in den Luxusmodeländern Italien und Frankreich sei alles besser. Auch hier gab es in der Vergangenheit Unstimmigkeiten und Streit bei den Nachfolgen. Inzwischen ist vieles geklärt. Es wurden maßgeschneiderte Lösungen gefunden: In manchen Häusern führen Geschwister nun gemeinsam (Etro). Oder Kinder, Neffen und Nichten werden von Beginn an in den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen für die Übernahme trainiert (Missoni, Ferragamo). Aber auch Dutzende Anteilseigner können eine Marke tragen - wie bei Hermès, wo 52 Verwandte im Verbund das Haus gegen die Übernahme Dritter schützen.

Wer bei der Digitalisierung jetzt nur halbherzig mitmacht, wird sofort abgehängt

Diese Unternehmen sind den Deutschen auch noch in einer anderen Sache voraus: im Digitalen. Gemeint sind nicht zu spät gegründete Onlineshops, auch viele große Namen machen damit nach wie vor nicht das dicke Geschäft. Gemeint sind digitale und soziale Medien. Die Entwicklung hat erst in den vergangenen Jahren richtig Fahrt aufgenommen, aber sie ist so schnell und intensiv, dass jeder, der nur halbherzig mitmacht, sofort abgehängt wird.

Es reicht nicht mehr, der digitalen Gefolgschaft ein Foto vom Frühstücksmüsli der Chefdesignerin oder der letzten Magazinveröffentlichung zu zeigen. Der Verkauf der Ware lässt sich jetzt immer selbstverständlicher mit Facebook und Co. verbinden. Der Shop-now-Button, den Instagram vergangenes Jahr erfolgreich testete, ist ein Beispiel: Der User soll Produkte, die er auf Fotos entdeckt, direkt bestellen können, ohne Instagram verlassen zu müssen. Dafür braucht es aber speziellen Content, also Inszenierungen des Produkts - kleine Clips, Kooperationen und Geschichten, die auffallen und geteilt werden. Aber sie wollen geschickt ausgedacht und produziert werden, und das braucht Know-how.

Annette Roeckl weiß um die Wichtigkeit des Digitalen. "Wir werden das deutlich stärker ausbauen", sagt sie. Zusätzlich steht auf ihrer Agenda jetzt eine Konzentration auf Groß- und Hauptstädte sowie ein saisonübergreifendes Produktportfolio. "Damit die Leute zwölf Monate im Jahr auf uns Lust haben. Wir werden da durchtauchen, uns die Krise zur Chance machen."

Ein Vorbild könnte Marc O'Polo sein: Das Unternehmen aus Stephanskirchen hat seinen Umsatz in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Es sieht sich selbst als Premiumanbieter, ist aber eher in der Mittelklasse einzuordnen. An internationalen Trends hat man sich nie groß orientiert. Das Produkt ist gut, gefällig entworfen, überfordert den Kunden nicht und unterhält ihn Saison für Saison mit kleinen Neuerungen. Zuletzt warben für Marc O'Polo internationale Charakterköpfe: die Schauspieler Jeff Bridges und Mads Mikkelsen sowie das Topmodel Lara Stone.

Und kürzlich dann der Scoop: Robbie Williams und seine Ehefrau Ayda Field designen für diesen Sommer eine Kollektion. Die Zusammenarbeit wurde raffinierterweise über Williams' eigenen Instagram-Account bekannt gegeben. Marc O'Polo erreichte so mit einem Schlag Zehntausende potenzielle Neukunden auf der ganzen Welt - und schaffte so etwas wie den ersten deutschen viralen Modehit.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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