Abschied:Geschichte aus der Gruft

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Ende eines Kampf-Kults: "The Undertaker" begräbt offenbar seine Wrestler-Karriere. Ein Nachruf auf die große Zeit dieses Sportes.

Von Claudia Fromme

Es ist wohl kein Zufall, dass der Ringkampf in dem Land erfunden wurde, aus dem auch das Drama stammt. Große Gesten gehören seit Inbetriebnahme der gewichtigen Sportart im antiken Griechenland dazu, vor allem im modernen Schaukampf, und so legt einige Tausend Jahre später Mark Calaway im Citrus Bowl von Orlando zu angemessen dramatischer Musik seinen Schlapphut und den langen schwarzen Mantel in die Mitte des Rings, bevor er von dannen schreitet. 75 000 Menschen säumen seinen letzten Weg aus der Arena, manche weinen hemmungslos in die Kameras, ein Beobachter sagt, dass sich im Moment des Abgangs der Himmel verfinstert habe.

Mark Calaway alias The Undertaker ist der wohl berühmteste Wrestler der Fachrichtung Show, kein Profi stand länger im Ring als der "Bestatter", wie sein Kampfname übersetzt lautet. 1990 absolvierte der Texaner, der 136 Kilo wiegt und 2,03 Meter groß ist, seinen ersten Schaukampf. Bei der 33. Wrestlemania, der maßgeblichen Veranstaltung der Branche, verlor er in Orlando unlängst gegen Roman Reigns, obwohl er sich redlich mühte, den Gegner drehbuchgerecht unter Gezeter am Schopf durch die Arena zu ziehen. Nachdem er seine Arbeitskleidung im Ring zurückgelassen hatte, hört man tagelang nichts von ihm, dann twittert er: "Nach all den Jahren spüre ich das Alter." Darum setze er sich zur Ruhe. Calaway ist 52 Jahre alt.

Der Taker war im Kampf der meist albernen Figuren das düstere Kontinuum

Wer schon einmal in einer Arena bei einem Kampf zugegen war, weiß, dass Wrestling ähnlich sorgsam inszeniert wird wie der Ring in Bayreuth. Längst geben sich auch die Veranstalter keine Mühe mehr, so zu tun, als seien Siege und Niederlagen nicht abgesprochen. Die Show geht bisweilen ins Operettenhafte, mit Charakteren, die größtenteils schon in den Neunzigern ihr ikonografisches Erbe begründeten, was auch zeigt, dass die große Zeit des Wrestlings vorbei ist: Hulk Hogans wirre Superman-Biker-Interpretation, die Bushwhackers mit ihrem Trippeltanz, der Boogeyman, der gigantische Wecker mit sich führte, Mantaur mit Bullenkopf und Menschenkörper, und Urgestein Ed Leslie in diversen Rollen, unvergesslich als Brutus Beefcake, der mit einer Riesenschere Besiegten das Haupthaar wegfräste. Die überwiegend sehr vermögenden Wrestler haben schon 20 Jahre vor der Werbung erkannt, dass story telling alles ist. Wer keine komplett irre Vita, die sich oft im Bereich des Halbseidenen zugetragen hat, erzählen kann, ist die Fernsehmilliarden nicht wert, die Veranstalter mit Wrestling verdienen.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum der Undertaker ganz vorne mitgespielt hat: Er hatte immer die beste Geschichte. Natürlich ist es unfassbar albern, zu behaupten, man sei Bestatter von Haus aus, halb tot, halb lebendig, aber während die Wecker, Ochsenköpfe und anderen Gadgets irgendwann verschwanden, war der Taker stets das düstere Kontinuum im Ring. Er ist seiner apokalyptischen Rolle fast drei Jahrzehnte treu geblieben, inhaltlich und ästhetisch, und hat sich doch ständig in ihr gewandelt. Er lief als Untoter herum, als Auferstandener, als satanischer Priester, als Biker, dann wieder als Untoter mit neu erworbenen Fähigkeiten in Mixed Martial Arts und zum Ende als alternder Totengräber, der sich mehrmals von der Bühne verabschiedet hat und kurioserweise zwischendurch in Aufmachung des Phantoms der Oper aus dem Jenseits den Hades zurücküberquerte.

Natürlich ist es nicht undenkbar, dass er wiederkommt. Der Rücktritt vom Rücktritt ist beim Wrestling ein alter Kniff, Hulk Hogan soll angeblich auch wieder in den Ring steigen. Beim Undertaker scheint es ernster zu sein. Der Wrestling Observer schreibt, dass der Hüne eine künstliche Hüfte bekommt, die Ärzte schließen ein Comeback aus.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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