Abendmode der Deutschen:Leidenschaft für Seidentaft

Angela Merkel Joachim Sauer Bayreuth Festspielhaus Wagner Oper

Angela Merkel repräsentiert auf roten Teppichen den deutschen Stil: Am liebsten Seidentaft, am besten flieder- oder petrolfarben.

(Foto: REUTERS)

Die Ballsaison steht bevor, und mit ihr kommt die Angst der Modekritiker vor deutschem Geschmack. Die Gesellschaft putzt sich heraus für Opernpremieren und Charity-Abende - manchmal mit katastrophalen Folgen. Über die Schwäche der Deutschen für dramatische Stoffe, glänzende Strumpfhosen und andere Merkwürdigkeiten.

Von Julia Werner

Ein Abendkleid darf, wie ein guter Witz, tonnenschwer sein, aber es darf auf gar keinen Fall so wirken. Elegant ist, was hinterher nur den Eindruck eines Lufthauchs hinterlässt, so könnte man die Regeln für einen gelungenen Abend in einem Satz zusammenfassen. Ein gutes Beispiel dafür sind Couture-Kleider von Valentino: Zehntausende Perlen nähen die Schneiderinnen manchmal auf ein Kleid, und trotzdem heißt das Schlüsselwort in den Gängen des Ateliers unweit der Spanischen Treppe: Leggerezza! Leichtigkeit, sie ist das einzige Ziel.

So. Und jetzt zum wahren Leben. Bald beginnt die Ballsaison, und auch die Deutschen stellen sich wieder todesmutig der Herausforderung des leichtfüßigen Amüsements. Deutschlands Leistungsträger, vom Bauunternehmer über die Bankerin bis zum Bundesminister, werden wieder in ihre guten Sachen steigen und sich ins Getümmel stürzen. Es gibt jede Menge zu feiern: Opernpremieren, Charity-Abende in Düsseldorfer Hotels, den Bundespresseball in Berlin, natürlich Silvester, und danach folgen schon die Kölner Karnevalssitzungen in Black Tie.

Deutschland macht sich fein

Die Smoking-Jacken sind schon jetzt gereinigt, die Ballkleider von hinten links im Schrank nach vorne gehängt worden. Sie sind zwar schon ein bisschen älter, aber man hat sie ja pfleglich behandelt. Bestimmt liebäugeln auch in diesem Jahr wieder Damen mit dem Gedanken, es mal mit einer Stola in einer verrückten Knallfarbe zu versuchen und dem Gatten einen darauf farblich abgestimmten Kummerbund zu verpassen.

Deutschland macht sich fein für den großen Auftritt, und das ist jedes Mal wieder auch ein Drama. Denn, so Patricia Riekel, Chefredakteurin der Bunten: "Die Deutschen haben ein Problem damit, sich schön anzuziehen. Sie kaufen sich das teuerste Auto, aber an der Garderobe wird gespart." Die meisten Deutschen interessieren sich nicht für Mode. Das führt im Alltag zu kleineren Ungeschicklichkeiten, auf dem roten Teppich - für Teutonen die unnatürlichste Lebensumgebung überhaupt - aber zu wandelnden Katastrophen. Man könnte den roten Teppich auch als deutschen Sonderweg bezeichnen.

"Es gibt viele Frauen, denen man in Sachen Glamour nichts erklären muss. Doch das ist nicht die Mehrheit. Die denkt: Hauptsache, es glitzert und kracht, dann bin ich gut angezogen", sagt Adrian Runhof, die eine Hälfte des auf Abendmode spezialisierten Designer-Duos Talbot Runhof. Der Markt liefert Entsprechendes: Alle hiesigen Premium-Marken haben auch ein paar Abendkleider im Programm - oder vielmehr das, was man sich hierzulande von so einem Kleid erwartet.

"Zu viel Taft, zu viele Rüschen, zu viele Schleifen!"

"Da wird gestickt und gerüscht, was das Zeug hält, und das heißt dann glamourös", seufzt Runhof, "das Publikum hat leider vor allem Schneewittchenkleider im Kopf." "Zu viel Taft, zu viele Rüschen, zu viele Schleifen!", sagt auch Patricia Riekel, die sich auf nationalem wie internationalem Party-Parkett bewegt. "Ich bin regelmäßig auf Theaterpremieren: Nirgends sieht man mehr sogenannte kultivierte Bürger - und nirgends mehr Pullover! In angelsächsischen Ländern zieht man sich sogar für eine Vernissage besonders an. Es ist eine Frage des Respekts."

Sicher: Es gibt auch in Deutschland Leute, die wissen, was sich gehört. Die Stoibers zum Beispiel, und die Westerwelles. Aber um sie herum wogen die Schneewittchenkleider und die entweder zeltweiten oder presswurstengen Smokingjacken. Zu stark glitzern oder in der Hexenhölle schmoren, weil man es mit Lippenstift und schwarzer Spitze übertrieben hat: Solche Fauxpas sind auch Oscar-Preisträgerinnen und Mailänder-Scala-Abonnentinnen schon passiert. Aber unser roter Teppich muss besonders viele Fehltritte schlucken.

Die Leidenschaft der Deutschen für Seidentaft

Fangen wir mal beim größten an: der Leidenschaft für Seidentaft. Der schwerste aller Seidenstoffe hängt in allen Pastellfarben und Formenvarianten in deutschen Kaufhäusern. Er wird gerne als langer Rock und mit gewickeltem Carmen-Oberteil oder als ganzes Kleid getragen. Er ist nicht figurfreundlich, wird aber von deutschen Damen heiß und innig geliebt. Gut, wenn er fliederfarben ist, besser noch, wenn er rötlich changiert!

Und wenn es dazu die passende Abendtasche aus demselben Material gibt, als Alternative zum Täschchen am langen Henkel - natürlich nicht in der Hand getragen, sondern ordentlich an die Schulter gehängt. Voluminös pufft sich dann der Taft um runde Ministerinnen-Schultern, oder er unterstreicht das üppige Dekolleté, von dem die Öffentlichkeit vorher gar nicht wusste, dass es existiert. Leichtigkeit? Doch eher: Wuchtbrummigkeit. Auf Menschen aus dem Ausland muss dieser Anblick wirken wie "Wetten, dass. . ?" auf einen Hollywood-Star: ganz schön eigenartig.

Merkel und ihr deutsches Partyvolk

Damals, als Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Oper zu Oslo den Kleiderskandal provozierte, ging es in der Debatte um den tiefen Ausschnitt, nicht aber um das Kleid an sich. Tatsächlich war das Dekolleté der einzige Trumpf einer ansonsten etwas altbackenen Robe.

Ein andermal marschierte Merkel in einem Kleid über den Bayreuther roten Teppich, unter dessen zu kurzem Rock hautfarbene Nylonsöckchen hervorblitzten. Das Volk hat es ihr nicht verübelt. Es erwartet von seiner Kanzlerin, dass sie die Renten sichert, nicht, dass sie dabei auch noch gut aussieht. Klar, da ist was dran. Darüber hinaus dürften die Nylon-Söckchen aber einen geradezu tröstenden Effekt gehabt haben - hätten doch die meisten keinen blassen Schimmer, welchen Fummel sie sich bei so einer Gelegenheit überwerfen sollen.

101. Bayreuther Festspiele - Eröffnung

Nylonsöckchen und Abendmode aus Seidentaft haben in Deutschland Tradition - auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: dpa)

Wer nicht nur erfolgreich ist, sondern dabei auch noch gut aussieht, ist den Deutschen sowieso suspekt. Bis vor ein paar Jahren sei es unter deutschen Stars cool gewesen, möglichst nachlässig auf Events zu kommen, nach dem Motto: Wer Wert auf sein Aussehen legt, ist kein echter Künstler, erzählt Patricia Riekel. Die typisch deutsche Einstellung "Wenn du zu viel in den Spiegel schaust, schaut der Teufel wieder raus" wandle sich nur langsam. Die Festspiel-Perfektion etwa der Guttenbergs wird nicht nur bewundert, sondern immer auch misstrauisch beäugt.

Pastellfarbene "Sahnebaisers"

Merkel hingegen ist ihrem Partyvolk modisch ähnlich. Und das trägt einen mitunter absurden Mix aus schlecht sitzenden Smokings, gerne auch mit ein bisschen Glanzeffekt, und - warum nicht - Schuhen mit Gummisohle. Außerdem: pastellfarbene "Sahnebaisers", wie es Wolfgang Joop einmal formulierte, und Seidenschals, die die Oberarme verdecken sollen. Meistens natürlich in Schwarz, denn Schwarz - alte deutsche Style-Regel - passt ja zu allem. Die Sektgläser werden stets korrekt am Stiel gehalten, die Lippenstiftmünder beim Bussi gespitzt, damit bloß nichts kleben bleibt. Mit jedem Detail signalisiert der deutsche Feingemachte aus, dass er jetzt eben fein unterwegs ist.

Hier und da mischt sich, je nach Event, auch mal eine Funktionsjacke unter die Menge, als ob der Weg zum Fest eine Begebenheit wäre, die mit der Gala nichts zu tun hat. Die Dekolletés der Mittelklasse ziert sachlicher Schmuck, schnörkellos, gern Silberbügel mit mickrigen Anhängern. Diese Provinz-Goldschmied-Träume sind typisch deutsch, die Angst vor zu großem Schmuck gibt es in keinem anderen Land. In Frankreich und Italien tragen die Damen ihre Diamanten so nonchalant, als wäre es einfacher Strass.

Sie würden den Weg zur Gala auch nicht in festem Schuhwerk antreten, das sie dann an der Garderobe gegen die Pumps mit dem kleinen Absatz oder metallisch glänzende Sandalen in der Tüte eintauschen. Letztere werden auch gerne zu hautfarbenen oder - schlimmer - glänzenden Strumpfhosen getragen. Gegen die Kälte.

Abendkleider wie Gardinen

Von regelmäßigen Vorfällen dieser Art berichtet eine Kölner Dame, die sich selbst eher von der internationalen Mode inspirieren lässt und an einem solchen Abend mindestens drei Mal den folgenden Altherren-Spruch weglächeln muss: Für diese Schuhe brauchen Sie aber einen Waffenschein! Ihre Schuhe sind meistens von Prada, spitz und ziemlich klassisch.

Deutsche Frauen hielten es mit Abendkleidern so wie mit Gardinen, sagt sie: nicht zu lang, sondern auf praktischer Knöchellänge, so dass das Kleid nicht schmutzig wird und man nicht drüber stolpert. Sie kämen nie auf die Idee, dass man ein Abendkleid beim Laufen in der Hand raffen kann. Und dass man in einer Robe eben nicht im Kartoffelfeld-Stechschritt marschieren darf, so wie sonst, im Funktionsjackenleben. Sie selbst fühle sich auf solchen Veranstaltungen regelmäßig wie eine Besucherin aus einer Modemagazin-Parallelwelt.

Deutscher Modegeschmack: Halt, Sicherheit, Schutz

Den inneren Konflikt zwischen der Lust am Herausputzen und dem Verzicht aufs Funktionale verbildlicht nichts deutlicher als all die pflegeleichten Kurzhaarschnitte, die beim Bundespresseball auf Seidentaft treffen. Es ist ein verstörender, gleichzeitig irgendwie anrührender Kontrast: wie Menschen in falschen Körpern. Fließende Mousseline-Stoffe, die selbst älteren Frauen gut stehen, wenn das Kleid Ärmel hat, sieht man hingegen nur selten.

Es ist, als hätten die Damen Angst, dass mit solch luftigen Stoffen das ganze eigene patente Dasein wegflösse. So wie mit leicht-luftigem Haar. Festgetackerte Helmfrisuren und steifer Taft hingegen geben Halt, Sicherheit, einen Schutz vor dem Aufdonner-Kontrollverlust.

Dabei könnte es doch so einfach sein: Wenn man den Rocksaum und das Fest einfach mal so feiern würde, wie sie fallen.

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