Zweitligist St. Pauli:Chewalds Aufbruch

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Mit altem Trainer und neuen Spielern: Lienen stehen ab sofort auch die Angreifer Lennart Thy und Mats Möller Daehli sowie Spielmacher Johannes Flum zur Verfügung. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Ungewöhnliche Maßnahme: Der Tabellenletzte setzt weiterhin auf Trainer Lienen. Einige Zugänge sollen schon gegen den VfB Stuttgart im Kampf gegen den Abstieg helfen.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Wenn Ewald Lienen am Sonntag mit dem FC St. Pauli gegen den VfB Stuttgart in die Zweitliga-Rückrunde startet, stellt er nicht nur wegen seines Alters etwas Besonderes dar. 63 ist er, für einen Fußballtrainer ist das durchaus biblisch. Was ihn zudem hervorhebt, ist seine lange Amtszeit. Alle Klubs ab Tabellenrang zwölf - von Kaiserslautern, Fürth und Karlsruhe bis zu 1860 München und Arminia Bielefeld - haben den Übungsleiter in Abstiegspanik ausgetauscht, nur Aues Pavel Dotchev macht weiter. Und Lienen.

Der Trainer des Tabellenletzten ist immer noch da, und er verbreitet nach dem Trainingslager in Spanien Aufbruchsstimmung: "Ich sehe eine Mannschaft, die hoch motiviert ist, zusammen steht und begriffen hat, worauf es ankommt." Und noch etwas martialischer: "Wir befinden uns im Überlebenskampf."

Dass Lienen noch da ist, hat ohne Zweifel mit seinem besonderen Verhältnis zum Kiezklub und den dort handelnden Personen zu tun. Der von vielen linken Fans in Anlehnung an Che Guevera "Chewald" genannte Trainer musste sich selbst nach den schlechtesten Spielen keine "Lienen-raus"-Rufe anhören. Bei den Anhängern ist er auch deshalb so beliebt, weil er selbst für die Werte steht, die dieser Verein vertritt (gegen Faschismus, Sexismus, ausufernden Kapitalismus im modernen Fußball). Und trotzdem gab es im November und Dezember Spekulationen darüber, wie lange sich St. Pauli diesen zuletzt erfolglosen Trainer noch leisten könne. Befeuert wurden sie durch die Aussage des Sportdirektors Andreas Rettig, der nach der zehnten Niederlage kundtat, auch für Lienen gebe es "keinen Freifahrtschein".

Doch selbst nach den vier Punkten, die St. Pauli nach dieser Bemerkung erkämpfte (2:0 in Fürth, 1:1 gegen Bochum), hörten die Mutmaßungen über Lienens Zukunft nicht auf. Als kurz vor Weihnachten eine Pressekonferenz mit Präsident Oke Göttlich und Lienen angesetzt wurde, vermuteten manche Beobachter einen Wechsel: Der Trainer werde den kommissarischen Sportchef Rettig ersetzen, und der im Herbst angestellte Assistent Olaf Janßen (vorher Assistenztrainer beim VfB Stuttgart) übernehme die Mannschaft. Alles falsch. Die Medienrunde wurde abgesagt, weil Lienen angeblich andere Termine hatte. Vermutlich wurde ein solcher Plan mal intern diskutiert, aber verworfen.

Es blieb also alles wie es war. Zuletzt wurde Rettig so zitiert: "Wir sind nach wie vor der Meinung, dass wir mit Ewald Lienen die größten Chancen haben, unser Ziel Klassenerhalt zu erreichen." Vergessen waren also auch einige taktische Säumnisse des Coaches, die neben dem Verlust von vier Stammspielern im Sommer (Rzatkowski, Thy, Alushi, Maier) und dem fehlenden Ersatz als Ursache dafür genannt werden, dass der Vorjahrs-Vierte abstürzte.

Nun hat der Klub in Lienens Sinne noch einmal aufgerüstet. Der zu Werder Bremen gewechselte Stürmer Lennart Thy kommt für einige Monate ans Millerntor zurück, von Eintracht Frankfurt wurde Spielmacher Johannes Flum abgeworben, der allerdings wie die neue, vom SC Freiburg ausgeliehene Offensivkraft Mats Möller Daehli (ein dänischer Nationalspieler) nach längerer Verletzungspause zuletzt kaum Spielpraxis hatte. Alle drei aber sind ballsichere Spieler, die dem FC helfen könnten, den Drei-Punkte-Rückstand auf Platz 15 gutzumachen. Dorthin hatte Lienen den damaligen Tabellenletzten St. Pauli auch geführt, nachdem er im Dezember 2014 ans Millerntor kam. Damals richtete er das angeschlagene Team mit viel persönlichem Einsatz wieder auf, weshalb man ihm fast ein Denkmal gebaut hätte.

Dass St. Pauli in dieser Saison ganz andere Pläne als Abstiegskampf hatte, war am ersten Spieltag in Stuttgart zu beobachten. Eine Stunde lang spielten die Hamburger den Bundesliga-Absteiger an die Wand und führten bis zur 67. Minute durch ein Tor der Neuerwerbung Aziz Bouhaddouz mit 1:0. Dann glückte Alexandru Maxim der Ausgleich, den Kapitän Christian Gentner drei Minuten vor Schluss noch in einen Stuttgarter Sieg verwandelte. So gut wie damals beim VfB haben die Paulianer bisher nicht wieder gespielt.

Und ein Handicap gibt es beim Rückspiel auch schon wieder: der August-Torschütze Bouhaddouz weilt mit Marokko beim Afrika-Cup.

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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