Zweiter 1860-Sieg in Serie:Das Löwenherz

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Daniel Bierofka war beim TSV schon Jung-Profi, Rückkehrer, Kapitän, Nachwuchstrainer. Er ist Münchner von Geburt, schon sein Vater Willi spielte für 1860. Ein ziemlich kitschiges Happy End bahnt sich an.

Von Thomas Hahn, Hamburg

In Daniel Bierofka war immer noch diese Unruhe, die von der Aufregung kommt. Schnell erhob sich der junge Trainer nach der Pressekonferenz zum 2:0-Auswärtssieg seines TSV 1860 München über den FC St. Pauli im Hamburger Millerntor-Stadion. Eilig strebte er zum Ausgang. Im Vorbeigehen warf er seine letzten Gedanken zur Lage der Löwen ab, die sich mit diesem zweiten Erfolg in Serie vorübergehend in die Nichtabstiegszone gerobbt hatten. "Jetzt brauchen sie die Körner." - "So muss es weitergehen." Und er selbst? Musste jetzt erst mal irgendeinen Ort finden, an dem seine zerwühlte Fußballer-Seele etwas Frieden finden konnte. "Wie kommst runter?", fragte ein loyaler Reporter. "Ich weiß es nicht", sagte Bierofka.

Es gibt gerade keine Routine für Daniel Bierofka, 37, den die wilden Wendungen des Fußball-Geschäfts von der vereinseigenen Regionalliga-Mannschaft auf den Cheftrainer-Posten bei 1860 geweht haben. Plötzlich steckt er mittendrin in einem Kampf, der für einen leidenschaftlichen Fußballmenschen wie ihn fast so dramatisch ist wie ein Kampf gegen schwere Krankheit und Verderben. Mit allen Kräften, die ihm zur Verfügung stehen, versucht er gerade, seinen Verein von diesem Abgrund wegzudrücken, der Richtung dritte Liga führt.

Bierofka hat die Mannschaft verwandelt, seit er Möhlmann beerbte

Und auch wenn Bierofka dabei nicht auf Zauberei oder Superhelden-Magie zurückgreifen kann, nicht einmal auf die Empfehlung einer ordentlichen Trainerlizenz und auf nur wenige Erfahrungen als Verantwortlicher an der Seitenlinie - auch wenn Bierofka also in dieser Situation eigentlich nur ein kleiner Fußballer im Kreise anderer kleiner Fußballer ist: Er hat die Mannschaft verwandelt, seit er vor zwei Wochen den Job seines resignierten Vorgängers Benno Möhlmann übernommen hat.

Es ist, als habe der bärtige, etwas grobschlächtige Bierofka seine Leidenschaft auf die Spieler übertragen und mit seinem Löwenherz den Kreislauf des Teams wieder in Gang gebracht. Hatte Möhlmann nicht noch geklagt, er finde keinen Zugriff auf die Mannschaft? Unter Bierofka rennt und kämpft sie wieder. Der Sieg auf St. Pauli war eine Willensleistung, ein ohne falsche Eitelkeiten ergrätschter Triumph gegen das Vorurteil, 1860 sei nur noch eine Ansammlung abgebrühter Balltreter. Die Mannschaft verteidigte zäh, sie konterte ohne Schnörkel, sie spielte wie ein Team, das den Abstiegskampf begriffen hat. St. Paulis Trainer Ewald Lienen, einst selbst 1860-Coach, wirkte ein bisschen beleidigt, dass seine umfassende Fußballlehre an diesem ziemlich humorlosen weiß-blauen Bollwerk zerschellt war. "Ob der Sieg verdient war, sei dahingstellt", nörgelte Lienen. Bierofka konnte es egal sein.

Die Tore von Daylon Claasen (8.) und Levent Aycicek (88.) waren prächtige Beispiele für seine Agenda des Draufhaltens, die er der Mannschaft offensichtlich ganz gut vermitteln kann in seinem klaren, einfachen Fußballer-Bayrisch. Daniel Adlung bestätigte: "Biero hat uns den Mut zurückgegeben." Sportchef Oliver Kreuzer lobte: "Er hat die Mannschaft auch heute wieder zum Laufen gebracht." Mit Bierofka sind die Löwen wirklich wieder Löwen, nicht nur irgendwelche zahmen Fußballwiesen-Bewohner.

Ein Sohn des Klubs bezwingt das Abstiegsgespenst

Dass es so etwas noch gibt in Zeiten der Konzepttrainer und Seitenlinien-Philosophen: Ein Bodenständiger aus der vereinseigenen Kult-Kiste bringt die Hoffnung zurück. Der frühere Nationalspieler Bierofka war bei den Löwen schon Jung-Profi, Rückkehrer, Kapitän, Nachwuchstrainer. Er ist Münchner von Geburt, schon sein Vater Willi spielte für 1860. Ein ziemlich kitschiges Happy End bahnt sich an. Löwe rettet Löwen. Ein Sohn des Klubs bezwingt das Abstiegsgespenst. Der 1860-Kosmos, der vom Geld eines entfernten Jordaniers lebt, kann auch aus sich selbst heraus noch was schaffen.

Aber so weit ist es noch nicht. Der Tabellenletzte Paderborn wird am nächsten Wochenende in München nicht freiwillig verlieren. Zum Abschluss müssen die Löwen zum ebenfalls abstiegsbedrohten FSV Frankfurt. Und der Einsatz in Hamburg hat Personal gekostet: Maximilien Wittek sah die zehnte gelbe Karte, weshalb er gegen Paderborn gesperrt ist.

Die Erleichterung war greifbar bei den Löwen nach dem Erfolg gegen den Tabellen-Vierten St. Pauli. Aber man spürte auch ihre Angst davor, sich zu früh zu freuen. Das 2:0 ein Meilenstein im Kampf gegen die Versetzung? Kreuzer wollte lieber von einem "wichtigen Sieg" sprechen. Kein Nachlassen: "Es heißt immer noch höchste Konzentration." Vorschnellen Bierofka-Elogen nahm er die Luft. "In zwei Spielen wird man kein großer Trainer." Und auch Daniel Bierofka selbst mahnte: "Wir haben noch zwei Endspiele." Er war froh um die drei Punkte aus Hamburg. Aber entspannt wirkte er überhaupt nicht.

© SZ vom 01.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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