Zweite Liga:Einfach noch mal Anlauf nehmen

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Zwei ehemalige Schalker Trainer, nun Konkurrenten im Aufstiegskampf: Hannovers André Breitenreiter (links) und der Berliner Coach Jens Keller. (Foto: Peter Steffen/dpa)

2:0 gegen Union Berlin: Hannover hält Anschluss im wilden Aufstiegskampf.

Von Thomas Hahn, Hannover

Für den Fußballprofi Niclas Füllkrug ist die Vergangenheit eine verbotene Stadt. Da geht er nicht rein, zumindest nicht, wenn er dort noch etwas anderes zu erwarten hat außer den Blumengärten der schönen Erinnerung. Und auch nach dem 2:0 (0:0)-Sieg seines Klubs Hannover 96 im Zweitliga-Spitzenspiel gegen Union Berlin ist der begabte Stürmer Füllkrug, 24, lieber im Augenblick geblieben. Er hatte das wichtige 1:0 erzielt mit einer Volley-Abnahme auf Flanke seines Sturmpartners Martin Harnik. Der schöne Treffer stand wie das Symbol für die Wende im Hannoverschen Fußball-Kosmos nach dem Trainerwechsel, der vor allem Füllkrug wie ein Fortschritt vorkommen muss. Unter Daniel Stendel saß Füllkrug oft auf der Bank, André Breitenreiter, der Neue, nominierte ihn dagegen gleich für die Start-Elf, und Füllkrug deutete an, dass dieses Vertrauen auf ihn wie eine Befreiung wirkte, denn: "Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich alles beweisen muss."

Und vorher? Unter Stendel? Die Reporter schauten ihn neugierig an.

Da stand Füllkrug wieder vor den Toren der verbotenen Stadt. "Keine Vergleiche, weil ich das unfair fände", sagte er und erzählte lieber wieder vom Jetzt. Von seinem schönen Tor. Vom Jubel der Fans. Vom Endspurt im Aufstiegskampf.

Das Ringen um die besten Plätze in der zweiten Liga ist zäh, und nach Entspannung sieht es nicht aus. Im Gegenteil. Das Führungsquartett drängelt sich auf engstem Raum. Am Sonntag schaffte der VfB Stuttgart zu Hause nach einem 0:3-Rückstand in der Nachspielzeit noch ein 3:3 gegen Dynamo Dresden. Eintracht Braunschweig gewann 1:0 in Kaiserslautern. Union Berlin ist deshalb nicht mehr Erster, sondern Dritter hinter Stuttgart und Braunschweig. Alle drei haben 50 Punkte. Hannover 96 lauert mit einem Zähler Abstand dahinter, aber spürt so etwas wie frischen Rückenwind nach Wochen des Kriselns.

Stuttgart erkämpft sich in der Nachspielzeit die Tabellenführung

Es ist, als habe der Klub aus Niedersachsens Hauptstadt acht Spieltage vor Schluss einen neuen Anlauf genommen. Denn das Spitzenspiel gegen Union vor 49 000 Zuschauern im ausverkauften Heimstadion brachte nicht nur die drei Punkte, die der Bundesliga-Absteiger dringend brauchte, um in der Tabelle den Anschluss an die besten Plätze zu halten. Es zeigte auch einen neuen Zug im 96-Auftreten, eine neue Ordnung, mehr Freude, am Ende sogar etwas spielerische Herrlichkeit. Den Schwung, den man für die Versetzung braucht?

Ein Breitenreiter macht noch keinen Aufstieg, aber die Verwandlung der Mannschaft war am Samstag schon deutlich zu erkennen. Sie war nicht mehr so anfällig für Konter wie in den Partien zuvor, sie spielte sauberer nach vorne. Sie war in der ersten Halbzeit gut genug, um starke Berliner nicht zur Entfaltung kommen zu lassen und fasste in der zweiten den Mut, mit dem sie den entscheidenden Angriff setzte. Und als Damir Kreilachs Eigentor zum 2:0 gefallen war, trauten sich die Hannoveraner sogar mal, den Ball wie an der Schnur Richtung Tor laufen zu lassen. Martin Harnik, Hannovers wichtigste Offensivkraft, würdigte deshalb nicht nur das Ergebnis. "Was gut tut, ist, wie wir die Initiative übernommen haben", sagte er.

Trainerwechsel müssen manchmal sein, Hannover 96 bietet dafür gerade ein anschauliches Beispiel. Aus der Distanz hat sich mancher darüber gewundert, dass die Debatte um den braven Trainer Stendel schon lief, als die Mannschaft noch auf einem Aufstiegsplatz stand. Hatte sich der Coach nicht etwas mehr Ruhe für seine Arbeit verdient? Spielte seine Mannschaft nicht auch deshalb so verkrampft, weil Vereinschef Martin Kind den Wiederaufstieg zur Pflicht erklärt hatte?

Breitenreiter predigt die Freude am Erfolgsgebot

Unter Kennern der 96-Welt war der Rauswurf folgerichtig. Das Verhältnis zwischen Mannschaft und Coach soll durchwachsen gewesen sein. Stendel soll die Zweitliga-Profis geführt haben wie jene Jugendspieler, für die er vor seiner schnellen Beförderung zum Cheftrainer in den Wirren des verlorenen Bundesliga-Abstiegskampfes 2016 zuständig war. Öffentlich beklagte sich kein Spieler, weil keiner aus der Rolle des professionellen Teamplayers fallen wollte. Aber Stendels gängelnder Ton muss schlecht angekommen sein. Dazu ließ Stendel ein offenbar unausgegorenes Pressing-System spielen, das gerade jemandem wie dem Stürmer Füllkrug, einem 2,2 Millionen-Euro-Zugang aus Nürnberg, Laufleistungen abverlangte, die dieser nur schwer erfüllen konnte.

Breitenreiter, 43, im Jahr 1992 als Spieler Pokalsieger mit Hannover 96, hat die ersten nötigen Korrekturen vorgenommen und paart im Arbeitsalltag natürliche Autorität mit guter Laune. Er sieht sich als Vertreter eines Offensivfußballs, der die richtige Balance zwischen Vorsicht und Frechheit sucht. Den SC Paderborn hat er mit dieser Spielidee 2014 in die Bundesliga gecoacht, den FC Schalke 04 2015/16 bis zu seiner vorzeitigen Freistellung nach einem Jahr immerhin in die Europa League. Keine Angst vor dem Aufstiegsgebot - das ist Breitenreiters Botschaft. "Wir müssen uns positiv damit beschäftigen", sagt er, "dass wir es genießen, auf den Platz zu gehen."

Über die Arbeit des Vorgängers sagt Breitenreiter sinngemäß nicht viel mehr, als dass er darauf aufbauen könne. Mit Sportdirektor Horst Heldt und seinem Trainerteam wird er sie sicher analysiert haben, sonst wüsste er ja gar nicht, welche Verbesserungen er vornehmen muss. Trotzdem sagt Breitenreiter: "Ich möchte mich nicht groß mit der Vergangenheit beschäftigen." Stendel soll kein Thema mehr sein. Auch Harnik sagt: "Ich finde es immer ein wenig sehr unfair bzw. noch zu früh, Vergleiche zu ziehen." Er spricht fast wortgleich wie Niclas Füllkrug. Wer aufsteigen will, muss vergessen können.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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