Zehnkampf:Ein neuer König

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Der Kanadier Damian Warner ist nach dem Karriere-Ende von Weltrekordhalter Ashton Eaton der designierte Thronfolger. Dafür hat er sein Zehnkampfleben völlig neu geordnet.

Von Johannes Knuth, Götzis

Damian Warner wirkte ein wenig unentschlossen. Er war umweht von stiller Zuversicht, aber noch etwas unsicher, ein bisschen wie beim ersten Date. Dann knipste der 27-Jährige doch ein Lächeln an. 10,35 Sekunden hatte er am Samstagvormittag über die 100 Meter benötigt, bei seiner ersten Verabredung mit der neuen Bahn, die sie vor der diesjährigen Ausgabe des Mehrkampf-Meetings im kleinen Stadion von Götzis in Vorarlberg ausgerollt hatten. Es wäre wohl noch mehr drin gewesen, die neue Piste ist schnell, im Vorjahr war Warner an gleicher Stelle sogar nach 10,15 Sekunden ins Ziel gestürmt - Weltrekord in einem Zehnkampf. Aber so ist das halt mit diesem großen Puzzle, das sich Mehrkampf nennt.

"Im Zehnkampf fühlst du dich ganz oft kurz vor dem Ziel", hat Warner einmal gesagt, "du denkst: Du musst nur noch das oder dies schaffen, dann ist es vollbracht. Und wenn es geschafft ist, geht garantiert irgendetwas anderes schief." Wie auf einer Langzeitbaustelle, auf der ständig irgendetwas anderes bröckelt.

Warner spielte als Kind Basektball, stolperte zufällig in die Leichtathletik

Es ist eine spannende Saison für Warner, auf der Reise an die Spitze des Zehnkampf-Gewerbes. Er hat schon ein paar gute Jahre hinter sich, 2015 gewann er WM-Silber, nebenbei hob er den kanadischen Rekord auf 8695 Punkte an, im Vorjahr Platz drei bei Olympia. Die prestigeträchtige Leistungsmesse in Götzis hat er bereits zwei Mal gewonnen, 2013 und 2016. Dazwischen, 2015, hatte er es geschafft, die Kugel drei Mal neben den Sektor zu wuchten, das gab null Punkte. Warner sammelte trotzdem 7893 Punkte, bis heute quasi Weltrekord im Neunkampf. Er war einer, der irgendwie immer kurz vor dem Ziel war, und zuletzt war er diesem Ziel noch mal nähergekommen. Ashton Eaton, der Weltrekordinhaber aus den USA, hatte nach seinem zweiten Olympiasieg in Rio seine Karriere beendet, mit 28 Jahren. Also tat Warner, der designierte Thronfolger, etwas so Überraschendes wie Logisches: Er ordnete sein Zehnkampfleben völlig neu.

Den Thron im Blick: Damian Warner will der neue Dominator im Zehnkampf werden. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Warner hatte bis zum vergangenen Jahr ein ungewöhnliches Geschäftsmodell gepflegt. Er beschäftigte vier Trainer aus seiner Heimatstadt London im Süden Ontarios: Vickie Croley, Dave Collins, Gar Leyshon, Dennis Nielsen. Leyshon und Nielsen, zwei Gymnasiallehrer, hatten Warner einst für ihr Basketballteam an der High School von Montcalm rekrutiert, in einem Problembezirk. Warner verpasste oft den Unterricht, den Sport aber mochte er, er ist einer dieser Menschen, die als Kind offenbar in einen Topf voller Athletik gefallen waren. Er spielte zunächst Basketball, stolperte zufällig in die Leichtathletik; ein Mitschüler, der einzige, der an der Schule den Sport betrieb, hatte ihn zu einem Wettkampf mitgenommen. Leyshon und Nielsen arbeiteten sich in den für sie neuen Sport ein, investierten viel Geld und Nerven, um Warner voranzubringen. Bei den Spielen 2012 wurde er Fünfter. Er war am Ziel, fast.

Warner, hat Leyshorn einmal dem Portal CBC Sports gesagt, ist einer der wenigen Spitzenkräfte, die nicht zum Erfolg ziehen, sondern den Erfolg dort suchen, wo sie aufgewachsen sind. Er blieb seinen Jugendlehrern lange treu, er ist überhaupt sehr heimatverbunden, höflich, ausgestattet mit einem Lächeln, mit dem er problemlos Zahnpasta bewerben könnte. "Eine echte kanadische Geschichte", findet Leyshorn. Aber wer ganz ans Ziel kommen will und nicht nur fast, muss irgendwann ausbrechen, und Warner spürte nach seiner Bronzemedaille in Rio, dass dieser Zeitpunkt nun gekommen war. Er kam in manchen Disziplinen nicht mehr recht voran, im Diskus und Stabhochsprung. Im vergangenen Dezember zog er nach Calgary, zu Les Gramantik, einem Profitrainer, der Warners Landsmann Michael Smith 1995 zu WM-Bronze gelenkt hatte. Sein Umfeld zu verlassen, das war "eines der härtesten Dinge, die ich je tun musste", sagt Warner, weil er nicht nur Trainer, sondern eine Art Familie hinter sich ließ. Andererseits gilt auch, was David Bowie einst sang: "Turn and face the strange, if you want to be a richer man."

"Es ist ein großes Puzzle, das ich versuche, zusammenzubauen"

Ärmer ist Warner durch den Umzug jedenfalls nicht geworden, im Gegenteil. Gramantik hat die Würfe überarbeitet, er hat Warner härter trainieren lassen, mit mehr Gewichten. Der Samstag in Götzis lief fast "daaaadellos", wie die Stadionsprecher urteilten, Warner sprang 7,85 Meter weit, stieß die Kugel auf 14,09 Meter, sprang 2,03 hoch, lief die 400 Meter in 47,49 Sekunden. Zur Halbzeit hatte er 4532 Punkte beisammen, sein Landesrekord könnte am Sonntag in Gefahr geraten. Wobei, wenn der erste Tag aufgeht, kann am zweiten Tag immer noch eine Menge schiefgehen, Warner kann einiges davon erzählen. Er balanciert gerne auf diesem schmalen Grat zwischen Erfolg und Versagen, der auch deshalb so schmal ist, weil eine Trainingswoche nie genug Stunden übrig hat, um alle zehn Disziplinen gleichzeitig zu zähmen. "Es ist ein großes Puzzle, das ich versuche, zusammenzubauen", sagt Warner. "Es ist sehr hart, aber im Hinterkopf habe ich das Gefühl, dass ich es einen Tag schaffen kann. Deswegen liebe ich den Zehnkampf."

Warner glaubt, dass er irgendwann einmal ans Ziel kommt, in drei Jahren in Tokio will er endlich Olympiasieger werden, klar. Und im August muss in London ja auch noch irgendwer Weltmeister werden, der Franzose Kevin Mayer etwa, oder halt Warner. Er sagt: "Ich glaube, dass ich dieser Jemand sein kann."

© SZ vom 28.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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