WM-Tickets:Mit verdeckten Karten

Lesezeit: 5 min

Wachsende Ticketing-Probleme entzweien das WM-OK und die Fifa, deren Partner im Hintergrund wirken.

Thomas Kistner und Klaus Ott

Kurzen Schrittes durchquert der Präsident die Hotellobby, umschwirrt von Gefolge, er schüttelt Hände im Vorübergehen. Sepp Blatter, Herrscher über den Weltfußball, und dessen Verband, die Fifa, ist in Eile. Am Morgen hat die Ticketkommission getagt, danach das Ressort Marketing, weitere Termine stehen an. In einer Woche beginnt hier in München die WM, vieles ist noch zu besprechen. Vor allem wegen der 3,2 Millionen Eintrittskarten, von denen offenbar täglich mehr in dunklen Kanälen verschwinden. Das Treffen der Ticketkommission sei eine "Krisensitzung" gewesen, raunt ein Teilnehmer der Fifa-Tagungen im Bayerischen Hof, einem der vornehmsten Hotels am Platze. Von undurchsichtigen Geschäften ist die Rede, von Seilschaften und fragwürdigen Partnern der Fifa, und von einem nationalen Sicherheitskonzept für die Stadien, das erkennbar schon zur Farce wird.

Glücklich schätzen können sich jene, die ihre Karten bereits in den Händen halten. (Foto: Foto: Reuters)

Nun taucht ein weiteres Problem auf. Insidern zufolge droht ein ähnliches Szenario wie 2002 bei der WM in Fernost, als kurz vorm Anpfiff noch viele Tickets fehlten. Noch am Freitag sei mit der Fertigung von Karten für den VIP-Bereich, offenbar auch für die Verbände gerungen worden. Technische Probleme könnten sogar dazu führen, dass mancher ordentlich registrierte Ticketkäufer dasselbe nicht ausgehändigt bekomme, wenn er an den Schaltern in den Stadien vorspreche. Es ginge um 25 000 Tickets, die auf dem Last-Minute-Weg zu drucken seien, weitere Kontingente könnten hinzu kommen. Für das Ticketing 2002 war die Firma Byrom zuständig, eine Art Hausagentur der Fifa, die jetzt wieder im Geschäft ist. Dabei bekam die Fifa für die Fehlentwicklungen bei der WM 2002 von Japans Regierung sogar eine Klage angedroht.

So viele Fragen drängen sich auf, doch Blatter hat, als am Donnerstag die Sitzungen beginnen, keine Zeit für die Presse. Fifa-Generalsekretär Urs Linsi, der treu an der Seite des Verbandschefs schreitet, wehrt ab. Man müsse weiter. Und Horst R. Schmidt, Vizepräsident des von Franz Beckenbauer geleiteten WM-Organisationskomitees (OK) und dort für die Billetts zuständig, taucht seit Wochen ab. Keine der konkreten Fragen zu all den Widersprüchen und Ungereimtheiten, die nach und nach zu Tage treten und immer mehr Fans erzürnen, wird von ihm konkret beantwortet.

Machtloses WM-OK

"Wir bräuchten gut und gerne 30 Millionen Tickets", stöhnte Schmidt bereits vor Monaten ob der großen Nachfrage. Aus seinem OK verlautet, man kämpfe um jedes Billett, das für den freien Verkauf zu haben sei. Doch das OK kontrolliert nur zwei der drei Millionen Karten, und selbst diese nur noch zum Teil. Eine Million Tickets werden über die Fifa und deren Partner vertrieben, die sich laut Insidern längst auch bei den OK-Kontingenten einmischen. Wo die begehrte Ware wirklich landet, ist manchmal schwer durchschaubar, sogar für das OK, obwohl das mit Schmidt im Fifa Ticket Subcommittee (TSC) vertreten ist. Dort wird offiziell alles besprochen. Doch wenn es so wäre, hätte schon viel früher auffallen müssen, dass die Inhaber von 200 000 bis 300 000 VIP-Tickets nicht registriert wurden; entgegen den Vorgaben des Bundesinnenministeriums, das der Sicherheit wegen alle Besucher erfassen will.

Blatter und seine Vertrauten lassen sich grundsätzlich ungern in die Karten schauen. Fußball ist für die Fifa knallhartes Geschäft. Derweil versucht OK-Vize Schmidt verstaubte Werte hochzuhalten, an die sowieso keiner mehr glaubt: "Der Fan steht im Mittelpunkt." Das war einmal. Schmidts OK hat sich redlich bemüht, doch es fehlt erkennbar an der notwendigen Durchsetzungskraft. Längst haben Spezialfirmen wie Byrom und ISE, die nur Kennern der Szene bekannt sind, einen großen Teil des Tickethandels an sich gerissen; als Auftragnehmer der Fifa mit besten persönlichen Beziehungen zum Weltverband. Ihr Job: Möglichst viele Karten zu möglichst hohen Summen vermarkten: bei den VIPs, in Kombination mit Reisen oder Hotels, und so weiter. Manche Kontingente landen, wie auch immer, bei Agenturen, die Wucherpreise verlangen und kassieren.

Der Kontrast zum OK könnte größer nicht sein. Dessen Spitzenleute wie Schmidt und Theo Zwanziger, Chef des DFB, wollen möglichst viele Tickets zu den regulären, halbwegs erschwinglichen Tarifen offerieren, ohne Koppelgeschäfte. Seit Wochen streiten OK und Fifa um womöglich hunderttausende unverkaufter Tickets. Als wie brisant die Lage gilt, zeigt der Umstand, dass der DFB schon im April beim Verteidigungsministerium beantragte, leere Sitzplätze kurzfristig mit Soldaten zu besetzen. Diese Meldung des Spiegel bestätigte ein Ministeriumssprecher am Freitag in Berlin. Die Bundeswehr genehmigte dies nicht, der DFB zog sein Begehr vor wenigen Tagen zurück. Verteidigungsminister Franz Josef Jung sei die Idee, Soldaten in Zivil zu Tausenden auf freie Sitze zu verteilen, Mitte April während eines Besuchs beim DFB eröffnet worden. Sitzfleisch strapazieren fürs Vaterland? Die Militärführung habe darauf beharrt, dienstlich ins Stadion befohlene Truppen müssten Uniform tragen. Das habe die Fifa nicht gewollt. OK-Sprecher Jens Grittner: "Es gab verschiedendste Ideen, wie man die leeren Ränge füllen könnte, darunter auch die Überlegung mit Volunteers."

Aus der Chefetage des OK wird von "hohem Spannungspotenzial" berichtet. Was zuweilen durchschimmert, wenn Beckenbauer die Fifa-Mitgliedsverbände anfleht: "Gebt die Karten zurück, die ihr nicht braucht" - um leere Ränge zu vermeiden. Oder wenn Zwanziger mahnt, die Geschäftemacherei nicht zu übertreiben - ohne die Fifa beim Namen zu nennen. Mit dieser will man es sich ja nicht verderben. Eingeweihte wissen, wem solche Attacken gelten: Blatter und dessen Kompagnons wie den Byroms.

Die Brüder aus Mexiko, Jaime und Enrique, waren mit ihrer in England ansässigen Firma Byrom plc schon bei der WM 2002 als offizielle Ticketagenten der Fifa in Misskredit geraten. Byrom schaffte es nicht, viele über das Internet bestellte und bezahlte Karten rechtzeitig an die Besteller auszuliefern. Zugleich bereicherten den Schwarzmarkt sogar Kartenkontingente von Sportverbänden gewisser Fifa-Spitzenfunktionäre; das Chaos beherrschte tagelang die Schlagzeilen. Nach der WM aber, als sich der Rauch verzogen hatte, zauberte die Fifa ein Gutachten über die prächtige Arbeit von Byrom hervor - die alten Partner kamen auch 2006 wieder ins Geschäft. Derzeit, heißt es, wiederholten sich gewisse technische Probleme von 2002 - als zehn Tage vor dem Eröffnungsspiel noch eine halbe Million Karten fehlten.

Trotzdem verwaltet die Byrom plc mit ihrer Schweizer Tochterfirma Seamos Marketing AG erneut die Kartenkontingente der Fifa. Sprecher Andreas Herren: "Das ist unser verantwortlicher Dienstleister für diesen Bereich."Offenbar nicht nur dafür. Ein Insider berichtet, der Weltverband habe im Nachhinein durchgesetzt, dass Byrom auch Zugriff auf Tickets erhalte, die für die WM-Teilnehmerverbände bestimmt sind. Ursprünglich sollten diese knapp 600 000 Billetts in der Obhut des deutschen OK bleiben; nun könne Byrom auch hier zugreifen. Es sieht so aus, als entgleite dem OK, das sich dazu nicht äußert, zunehmend die Kontrolle. Dabei hatte Beckenbauer einst festgehalten: "Ein Horst R. Schmidt hat in diesen Dingen mehr Erfahrung als die gesamte Fifa."

Gute Stimmung beim Weltverband

Entschieden wird alles im TSC, dem Ticket Subcommittee des Weltverbands. Dort hat es Experte Schmidt mit Fifa-Spitzenfunktionären zu tun, denen er wohl unterlegen ist. OK-Leute berichten, gelegentlich kehre Schmidt guter Dinge vom TSC zurück, weil es ihm gelungen sei, Rest-Tickets für den OK-Verkauf via Internet zu ergattern. Oft aber sei er nach den Treffen mit der Fifa frustriert, weil sich diese den größten Teil der noch freien Karten sichern wolle. Derweil herrscht gute Stimmung beim Weltverband, Blatter lässt Jubelmeldungen verbreiten. Sprecher Herren verkündet stolz, es sei gelungen, das Ticketvolumen für die teilnehmenden Verbände von 16 auf knapp 20 Prozent zu steigern.

Passt nur ins diffuse Bild, dass bei den Schulungen der Ticket-Betreuer an den Stadien das OK bereits vorsorglich darauf hinwiesen ließ, diverse Verbände hätten die Käufer ihrer Karten gar nicht ordnungsgemäß registriert. Man solle die Billets trotzdem ausgeben und auf nachträgliche Personalisierung verzichten, wenn die Kaufbestätigung erbracht werde. Die Mitarbeiter wurden dazu verdonnert, nichts davon an die Presse zu geben. Das OK äußert sich auch dazu nicht.

Schallende Ohrfeige

Fragwürdiges Geschäftsgebaren offenbarte auch die Schweizer Agentur ISE, die im Auftrag der Fifa so genannte VIP's zu Höchstpreisen für die WM ködern soll. Die teuren Tickets erwiesen sich nur als schwer verkäuflich. Daraufhin legte die ISE für ihre eigenen Mitarbeiter ein flottes Sondervertriebsprogramm zu Vorzugspreisen auf: Die "Family & Friends" benannte Aktion wurde erst gestoppt, als sie öffentlich ruchbar geworden war.

Für Blatter aber gibt es auch hier keine Probleme: "Man hat mir gesagt, dass alles okay ist." Der Fifa-Chef geht zum Gegenangriff über und rügt das deutsche Ticketing insgesamt: "Wenn man Sicherheit über alles stellt, muss man auch die Konsequenzen tragen." Die Fifa werde künftig das Ticketing wieder selbst ausüben. "Für die WM 2010 in Südafrika ist das schon beschlossen. Wir übernehmen Organisation und Verkauf." Eine schallende Ohrfeige für das WM-OK. Doch das schweigt und mauert, dass sich Klinsmanns Defensive dabei einiges abschauen könnte.

© SZ vom 3.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: