WM-Qualifikationsspiel:Mystik und Magie

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In einem berauschenden Spiel gegen Uruguay wendet Fußballweltmeister Brasilien eine historische Pleite ab.

Von Javier Cáceres

Zu den unergründlichen Phänomenen des modernen Fußballs zählt Ronaldos slim fast. Ein wenig übergewichtig wirkt er, und manchmal hat man gar den Eindruck, als würde sich das Kinn des Stürmers von Real Madrid allmählich doppeln. Doch ein Ball an seinem Fuß wirkt wie eine Diätkur, die seine Silhouette wundersam verdünnt. Ein Wimpernschlag nur, und plötzlich ist Ronaldo einer Verwandlung unterzogen. Dann spannt sein gelbes Leibchen nicht mehr und wirkt er derart explosiv, dass man meint, sein Laufweg habe viel mit einer Zündschnur gemein.

Am Mittwoch erlitt dies in Curitiba, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Paraná, die Auswahl Uruguays - in einem WM-Qualifikationsspiel der Südamerikagruppe, das 3:3 (2:0) endete. Und in seinem berauschenden Emotionsreichtum der Mystik und Magie des südamerikanischen Klassikers durchaus gerecht wurde.

2:0-Führung zur Pause

15 Minuten lang hatte Uruguay das Geschehen in die brasilianische Hälfte verlagern können. Und Brasiliens Abwehr um den erschreckend verunsicherten Leverkusener Lúcio ("ein schwarzer Tag") in Konfusion gestürzt. Dann aber versteifte sich Brasilien darauf, seinem Ruf entsprechend zu brillieren - angetrieben vom einfallsreichen Jungstar Kaká (AC Mailand), der das 1:0 erzielte (19.), und vom Fleiß und der Umsicht Zé Robertos, der beim Unentschieden in Peru vom Samstag noch ein Schatten seiner selbst gewesen war.

In der 28. Minute schickte der Mittelfeldspieler des FC Bayern Ronaldo in den Strafraum, und dieser verlieh dem Ball mit der Brust einen Impuls, der den herausstürzenden Torwart Uruguays in Wackel-Elvis-Postur ins Leere springen ließ. Ronaldo vollendete zu seinem 50. Treffer fürs Nationalteam. Und es glich einem Wunder, dass der Vorsprung nicht anwuchs.

Ausgleich vier Minuten vor dem Schlusspfiff

In der Halbzeit aber wechselte Uruguay den (angeschlagenen) Regisseur Alvaro Recoba (Inter Mailand) ein, der nicht nur im Offiziersrock auf den Platz schritt, sondern das Kommando auch übernahm. Vor allem harmonierte er prächtig mit dem bis dahin isolierten Diego Forlán (Manchester United), der dann auch die Tore zum Ausgleich erzielte (57./75.).

Das mitnichten unverdiente 3:2 entsprang einem Eigentor Gilberto Silvas (77.), der einen Freistoß ins eigenen Tor köpfelte - und damit Geister der Vergangenheit weckte. Denn immerhin lag der erste uruguayische Sieg auf brasilianischem Territorium seit dem geschichtsträchtigen WM-Finale von 1950 in der Luft. Verhindert wurde die Neuauflage des so genannten "Maracanazo", weil Ronaldo noch nicht ausgesprochen hatte, die Rolle des Protagonisten wieder an sich riss und, nach neuerlicher Vorlage Zé Robertos, den Endstand erzielte. Vier Minuten vor dem Schlusspfiff.

Brasilien nur Dritter

Damit ist Weltmeister Brasilien nach vier Spieltagen mit acht Punkten Dritter der Südamerikagruppe, hinter Paraguay und Argentinien, den beiden nächsten Gegnern (31. März/2. April). Paraguay hatte am Dienstag Chiles Gegenentwurf zum Fußball abgestraft und in Santiago 1:0 gewonnen, derweil Argentinien am Mittwoch in Barranquilla, Kolumbien nur ein 1:1 erzielte.

Es war Kolumbiens erster Punktgewinn im laufenden Wettbewerb. Francisco Pacho Maturana erklärte dennoch seinen Abschied, vom Amt des Nationaltrainers und vom kolumbianischen Fußball - voll Schmerz und Zorn, wie er sagte, "über die irrationale und verletzende Kritik, die einem Land im Zerfall wohl eigen ist". Womöglich wird er nicht der einzige Trainer bleiben, den Misserfolge in der Qualifikationsrunde den Job kosten.

In Argentinien schwillt die Unbill über Marcelo Bielsa wieder an, seine Aufstellung hielt das Sportblatt Olé auch deshalb für mysteriös, weil er sowohl Andrés D'Alessandro (Wolfsburg) als auch Juan Sebastián Verón (Chelsea) auf der Bank ließ. Weitere Wackelkandidaten sind Nelson Acosta, der mit Bolivien gegen die Baseball-Nation Venezuela verloren hatte, und Chiles Juvenal Olmos. Und in Brasilien riefen sie Carlos Alberto Parreira "burro" (Esel) hinterher - dass Ronaldo "Brasilien vor einer Schande bewahrte" (O Estado de São Paulo), war nicht genug.

Und Ronaldos Gewicht? Papa Nélio Machado sagt, dass der Sohn "84, 85 Kilo" wiegt, zwei mehr als bei der WM 2002. "Wenn er wieder trifft, wird keiner darüber reden", hatte Nélio gesagt. Sollte man nicht ernst nehmen? Vielleicht doch. Denn Nélio hatte auch gesagt: "Gegen Uruguay macht er zwei Tore." Und Recht behalten.

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