WM-Ausscheiden:Flirt mit der Historie

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In Bedrängnis: Gerrit Fauser wehrt sich vergeblich gegen Kanadas Sean Couturier (r.). (Foto: Marius Becker/dpa)

Die deutschen Eishockeyspieler wehren sich tapfer, müssen sich im Viertelfinale der Heim-WM am Ende aber 1:2 gegen Weltmeister Kanada geschlagen geben.

Von Johannes Schnitzler, Köln

Am Donnerstag hatte sich eine dickwandige Dunstglocke über Köln gestülpt. Der Abend war schwülwarm gewesen, am frühen Morgen hatte es geregnet. Nun dampfte die Luft. Beim Morning Skate der deutschen Eishockeyspieler, dem sogenannten Anschwitzen vor dem WM-Viertelfinale gegen Kanada, bildete sich feiner Nebel über der Eisfläche. Daraus erhob sich die Erinnerung an große Momente: an den 5:3-Sieg gegen Kanada 1987 in Wien, das 5:1 neun Jahre später, wieder in Wien, die beiden einzigen Erfolge gegen das Eishockey-Mutterland in 35 WM-Duellen. Aber: "Das ist die Vergangenheit. Wir wollen neue Geschichte schreiben", sagte Bundestrainer Marco Sturm und fügte keck hinzu: "Das wäre heute ein guter Moment dafür."

Welcher Gegner wäre besser geeignet zur Legendenbildung als Kanada, der Weltmeister der vergangenen beiden Jahre, 26-maliger Champion, Weltranglisten-Erster. "Gegen Kanada haben wir absolut nichts zu verlieren", sagte Sturm, nur alles zu gewinnen: "Wir dürfen nicht zufrieden sein mit dem Viertelfinale. Man muss hungrig sein auf mehr." Jeder könne jeden schlagen bei diesem Turnier, versicherte er: "Die Schweiz hat Kanada geschlagen. Warum nicht auch wir?" Kapitän Christian Ehrhoff sagte: "Kanada ist die beste Mannschaft, keine Frage. Aber wir müssen daran glauben, dass wir sie schlagen können."

Der 18. Mai 2017 wird nun als der Tag in die deutsche Eishockey-Geschichte eingehen, an dem die Nationalmannschaft fast zum dritten Mal bei einer WM gegen Kanada gewann. Aber nur fast. Sie verlor 1:2 (0:1, 0:1, 1:0). Kanada trifft am Samstag im Halbfinale auf Rekordweltmeister Russland, der Tschechien in Paris 3:0 besiegte; in der zweiten Partie kämpfen Finnland (2:0 gegen die USA) und Schweden (3:1 gegen die Schweiz) um den Einzug ins Endspiel.

Fast erzielen die Deutschen die frühe Führung, fast den schnellen Ausgleich. Aber nur fast.

Etwas überraschend hatte der Bundestrainer Thomas Greiss wieder aufgeboten. Der wegen seiner Social-Media-Beiträge zum US-Präsidentschaftswahlkampf umstrittene NHL-Torhüter nahm erstmals seit dem Spiel gegen Dänemark wieder auf der Bank Platz. Zuletzt hieß es, er sei verletzt, wobei die Verletzung nie benannt worden war. "Wir brauchen alle Männer an Bord, sonst werden wir nicht überleben", sagte Sturm. Im Tor stand zu Spielbeginn indes Philipp Grubauer, ebenfalls NHL-Keeper. Der 25-Jährige von den Washington Capitals hatte das deutsche Team mit seinen Paraden im Penaltyschießen gegen Lettland (4:3) ins Viertelfinale geführt. Sonst blieb die Aufstellung unverändert, das hieß, auch diesmal würde der Kölner Philip Gogulla nur zusehen.

Zweite, größere Überraschung: Zu Spielbeginn waren einige Plätze in der Kölner Arena leer. Glaubensfrage?

"Wir müssen einen guten Start erwischen und vielleicht das erste Tor schießen", hatte Ehrhoff gesagt. Die Hoffnung nährte Grubauer, als er in der vierten Minute mit Hilfe des linken Pfostens gegen Ryan O'Reilly rettete. Und fast hätte Ehrhoff das erste Tor geschossen (6.). Fast.

Kanada setzte sich sofort im deutschen Drittel fest. Marcus Kink und David Wolf setzten wuchtige Checks dagegen. MacKinnon schubst mich? Yannic Seidenberg schlug zurück. Sie fighteten. Dann bekam Kanada die erste Überzahlchance. Mark Scheifele schoss das 0:1 (18.).

Wie reagiert die Mannschaft, wenn sie ein Tor bekommt? "Lassen wir die Köpfe hängen?" Die Frage, Sturms Frage, hätte Seidenberg fast mit dem Ausgleich beantwortet. Aber nur fast. Konrad Abeltshauser hatte das 1:1 auf dem Schläger. Calvin Pickard parierte. Als die Deutschen einen Mann mehr auf dem Eis hatten, rettete Grubauer gegen Sean Couturier (30.).

Die Kanadier erkannten, dass sie Geduld brauchen würden. Als ihr Kapitän Claude Giroux wegen Spielverzögerung auf die Strafbank musste, hatte Dennis Seidenberg freie Schussbahn. Er holte aus - und hätte fast getroffen (37.). Aber eben nur fast. 112 Sekunden vor der zweiten Pause erhöhte Jeff Skinner auf 0:2. Torschüsse im zweiten Drittel: 20:1 für Kanada.

Auch gegen die Schweiz hatten die Kanadier 2:0 geführt - und noch verloren. Als die Deutschen schon geschlagen zu sein schienen, brach Yannic Seidenberg in Unterzahl zum Konter auf - das 1:2. Und noch mehr als sechs Minuten zu spielen. Jetzt glaubten sie wieder an ihre Chance. Aber der Glaube versetzte nicht diesen kanadischen Berg. "Klar ist die Enttäschung groß, "sagte Seidenberg später, "wir haben die Scheibe im Aufbau oft zu leicht hergegeben. Wir haben es ihnen ein bisschen zu leicht gemacht."

Deutschland beendet die WM also als Achter und wird in der Weltrangliste an Weißrussland und der Slowakei vorbei auf Platz acht vorrücken, zum ersten Mal seit 2011. Die nächste Chance, Geschichte zu schreiben, hat Sturms Team 2018, bei den Winterspielen in Pyeongchang.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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