Wladimir Klitschko:Eminent wichtiger Blödsinn

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Um im Geschäft zu bleiben, muss Wladimir Klitschko nach dem K.o. gegen Danell Nicholson so tun, als sei ihm etwas Großes gelungen.

Kiel - Die Oberbürgermeisterin der Stadt Kiel ist eine kleine, patente Frau, die weiß, dass es dann und wann zu den Aufgaben von Bürgermeistern gehört, in der Öffentlichkeit Blödsinn zu erzählen. Am Samstagabend sagte Angelika Volquartz: "Das ist ein Ereignis, das in die Geschichte der Stadt Kiel eingehen wird", und sie sagte es ganz ernst, noch immer ein wenig berauscht von all dem, was gerade geschehen war. Das Ereignis: Schwergewichtsboxer Wladimir Klitschko hatte gegen den chancenlosen US-Amerikaner Danell Nicholson in der vierten Runde durch Technischen K.o. gewonnen. Sollte das reichen, um in die Geschichte der Stadt einzugehen, muss man dort künftig auch in den historischen Schriften vermerken, dass sich Knud Knudsen beim Fischmann um die Ecke einige leckere Sprotten gekauft hat.

Dass Klitschko diesen Kampf gegen den 36 Jahre alten Amerikaner gewinnen würde, war bereits klar, als die beiden nebeneinander im Ring standen. Nicholsons Augen: Am Freitag beim Wiegen hatten sie noch kampfeslustig geblitzt. Nun lag ein Schleier auf diesen Augen, sie waren geweitet, sie bewegten sich unruhig, wie sein ganzer Kopf, als wolle Nicholson eine Fliege von seiner Nasenspitze verscheuchen. Es waren die Augen eines Mannes, der weiß, dass er gleich eine Faust in seinem Gesicht findet, und dass die ihm Schmerzen bereiten wird. Danell Nicholson, zu diesem Zeitpunkt 42 Siege, vier Niederlagen, hatte Angst.

Für Klitschko war es ein eminent wichtiger Kampf. Nachdem er im März von Corrie Sanders reichlich Prügel bezogen hatte, K.o. nach 3:27 Minuten, hatte er sich im September am Argentinier Fabio Moli versucht, einem freundlich lächelnden Mann, der es vorzog, nach 1:49 auf dem Ringboden liegen zu bleiben. Sein Renommee hatte Klitschko damit nicht aufpäppeln können, und so sollte dieses Mal ein hochkarätiger Gegner her. Nicholson eben, der bereits gegen Kirk Johnson, David Tua und Andrew Golota geboxt hat. Die Kleinigkeit, dass Nicholson diese Kämpfe verloren hat, mochte niemand so recht erwähnen. Stattdessen wies Klitschko darauf hin, die Beinarbeit des Gegners erinnere ihn an Muhammad Ali. Diese wahnwitzige Übertreibung ist nur so zu erklären, dass Klitschko nicht Ali, den Boxer, meinte, sondern Ali, den kranken Mann, der heute 61 Jahre alt ist und an der Parkinsonschen Krankheit leidet. Ali steht sehr konzentriert bei seinen öffentlichen Auftritten, und manchmal wackelt sein Kopf so ein bisschen, ganz wie der Kopf Nicholsons vor dem Kampf wackelte. Vielleicht ist Klitschko auch einfach ein Mann, der weiß, dass es zu den Aufgaben eines Profiboxers gehört, dann und wann in der Öffentlichkeit Blödsinn zu erzählen.

Der Kampf: Nicholson hielt seine Führhand weit ausgestreckt. Dabei duckte er sich und schaute ängstlich nach oben, wie Menschen in Filmen, denen sich aus den Himmeln großer Schrecken nähert. Die Menschen in Filmen halten dem Schrecken gern Kruzifixe entgegen, Nicholson hatte nur seine Faust, was zu wenig war. Er erkannte das rasch und wechselte so schnell es ging vom Ducken ins Klammern. Er habe nie einen Rhythmus gefunden, sagte er später, aber das stimmt nicht, sein Rhythmus war Ducken, Klammern, Ducken, Klammern, und zwischendrin versuchte er zur Auflockerung mächtige Schwinger, welche die Luft in der Kieler Ostseehalle zerteilten.

In der zweiten Runde verhängte Ringrichter John Coyle wegen Klammerns einen Punktabzug gegen den US-Amerikaner, in der dritten ermahnte er ihn erneut, in der vierten übernahm Klitschko das Ermahnen und setzte Nicholson seine linke Faust zweimal ins Gesicht. Da waren sie, die Schmerzen, vor denen Nicholson Angst gehabt hatte. Er sank zu Boden. Erstaunlicherweise stand er noch einmal auf, doch Klitschko schickte ein weiteres Ermahnungspaket ins Gesicht seines Gegners, so dass Ringrichter Coyle dem Kampf nach 1:42 Minuten in der vierten Runde abbrach.

10500 Zuschauer jubelten Klitschko zu, der auf den Ringseilen posierte. Dann pfiffen sie den Amerikaner aus, der das mit jetzt traurigen Augen ertrug und ins Hallenmikrofon sagte, er sei zum ersten Mal in Deutschland, und es sei viel schöner als er sich das vorgestellt hatte. Ein höflicher Mann. Ein Gegner für Klitschko war er nicht.

Promoter Klaus-Peter Kohl sagte: "Für mich ist es nur wichtig, dass der Kampf überzeugend gewonnen wird. Und das war so." Das ist wichtig, weil Kohl Wladimir und dessen Bruder Vitali unter Vertrag hat und nun beide zu Weltmeistern machen könnte. Gegen wen Wladimir um einen Titel boxt, hängt dabei von Lennox Lewis ab. Kohl bemüht sich um einen Rückkampf zwischen Vitali und Lewis. Er gibt sich da zuversichtlich, auf "90 Prozent" schätzt er die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden boxen. Sollte es so kommen, ergäbe sich für Wladimir die Möglichkeit, erneut gegen Corrie Sanders anzutreten.

Kohl spricht vom "Abschluss"

Kämpft Lewis nicht, träte Vitali gegen Sanders an. Für Wladimir blieben als mögliche Gegner Lamon Brewster und David Tua. Es gab zuletzt einige Spekulationen, ob die Klitschkos ihren bis Ende 2004 laufenden Vertrag bei Kohl verlängern. Der überraschte mit der Äußerung: "Erst einmal möchte ich beide zu Weltmeistern machen. Das wäre doch auch ein schöner Abschluss." Der schönste Abschluss blieb dem Sieger des Abends überlassen. Wladimir Klitschko, doch ein wenig überrascht davon, dass er gerade in die Geschichte der Stadt Kiel eingegangen war, sagte: "Jede Frau, jeder Mann, jeder Freund - ich möchte sie mit Weihnachten begrüßen. Ich hoffe, dass das nächste Jahr gesund wird."

Die Kieler Oberbürgermeisterin nickte bei diesen Worten versonnen. Sie wusste, wovon der Boxer sprach.

Christian Zaschke

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