Witali Klitschko:Die unfertige Karriere

Lesezeit: 3 min

Witali Klitschko gehört zu den talentiertesten und komplettesten Boxern aller Zeiten. Dass seine Karriere dennoch unvollständig wirkt, liegt nicht nur an ihm. Er hat wenig Zeit, das zu korrigieren.

Jürgen Schmieder

Witali Klitschko stand nach diesem Kampf im Ring und stammelte irgendetwas in die Mikrofone. Es war kaum verständlich, man musste die englischen Worte "win", "dominated" und "referee" irgendwie zusammensetzen, dass ein sinnvoller Satz dabei herauskam. Es war am 22. Juni 2003, als Klitschko im Staples Center in Los Angeles gegen den WBC-Weltmeister Lennox Lewis antrat. Er dominierte die ersten sechs Runden lag bei allen Punktrichtern - das wurde nach dem Kampf bekannt - deutlich in Führung.

Klitschko gegen Lewis. (Foto: Foto: dpa)

Lewis hatte ihn nicht oft getroffen - und dennoch sah das Gesicht von Klitschko aus, als wäre er mit einer Eisenstange verprügelt worden. Von der Augenbraue tropfte Blut, von der Wange tropfte Blaut, aus den Lippen tropfte Blut, so viel, dass der Ringrichter den Kampf auf Empfehlung des Ringarztes abbrach und Lewis zum Sieger erklärte. Einen Rückkampf gab es nicht, weil Lewis sogleich seine Karriere beendete.

Es war erst die zweite Niederlage in der Profikarriere des Witali Klitschko - und doch brachte sie ihm mehr Respekt ein als die 32 Siege zuvor. Er hatte sich tapfer geschlagen gegen den zu diesem Zeitpunkt besten Boxer der Welt, ja, er hätte gewinnen müssen, wären da nicht diese Wunden gewesen, die so schauderlich aussahen. An diesem Kampf wurde jedoch der Makel in der Karriere des Ukrainers deutlich: Der Makel ist die Karriere selbst.

Witali Wolodimirowitsch Klitschko wurde 1971 in Belowodskoje geboren, ein Ort in der damaligen Kirgisischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Er ist der Sohn eines Offiziers und einer Pädagogin, er hat einen jüngeren Bruder, der Waldimir heißt. Als Jugendlicher verschrieb er sich zunächst dem Kickboxen, dann wurde er Amateurboxer. Er gewann bei der Amateur-WM die Silbermedaille, an den Olympischen Spielen durfte er nicht teilnehmen, weil ihm zuvor bei einer Dopingprobe das Steroid Nandrolon nachgewiesen wurde.

Die Klitschko-Brüder bei "Wetten, dass...???" (Foto: Foto: dpa)

1996 unterschrieb er beim deutschen Boxstall Universum, er boxte zu Beginn seiner Profikarriere gegen Mike Acklie, Calvin Jones und Derrick Roddy - Namen, von denen man vor und nach ihrer Knockout-Niederlage gegen Klitschko nichts gehört hatte. Klitschko machte das wenig aus, kaum einer seiner Kämpfe dauerte länger als drei Runden, er wurde von Universum als Antithese zu Axel Schulz vermarktet, dessen Kämpfe sich meist über öde zwölf Runden erstreckten und am Ende immer häufiger mit einer Niederlage endeten. Klitschko trat im Fernsehen auf, er bekam Werbeverträge, Stefan Raab dichtete ein "Raabigramm" auf ihn. Er wurde ein Star in Deutschland.

Klitschko galt als neue Hoffnung im Schwergewicht, als feiner Techniker mit hervorragender Beinarbeit, der seinen wohlüberlegten Jabs mit der Führhand auch einen rechten Haken folgen lassen konnte, der zum K.-O.-Sieg führte. Nach Amerika wolle er, verkündete Klitschko schon 1999, als er Europameister war und er nach einem Kampf um die Weltmeisterschaft strebte. In Amerika, da waren die Gegner, nach denen sich Klitschko sehnte und die eine Herausforderung dargestellt hätten. Evander Holyfield etwa, Mike Tyson, Lennox Lewis - mit Abstrichen auch Michael Moorer.

Klitschko musste jedoch zunächst gegen Herbie Hyde kämpfen, am 26. Juni London war das und auch noch um den WBO-Titel, den unbedeutendsten der vier Verbände. Klitschko gewann durch K. O. in der zweiten Runde - und sprach wieder von Amerika, von Don King und von den Kämpfen gegen die großen Boxer. Er sprach von Los Angeles, Las Vegas und New York.

Sein Promoter Klaus-Peter Kohl ließ ihn jedoch in Oberhausen antreten, in Braunschweig und in Hannover. Die Gegner waren Ed Mahone, Ross Puritty und Vaughn Bean. Er durfte nur gegen einen namhaften Gegner boxen, das war der Amerikaner Chris Byrd. Es wäre am 1. April 2000 in Berlin die Gelegenheit gewesen für Klitschko, sich einen Namen zu machen im gelobten Boxland Amerika. Nach neun Runden lag Klitschko klar in Führung - und musste aufgrund einer Schulterverletzung aufgeben. Wie drei Jahre später gegen Lewis erntete er Respekt, aber am Ende stand eine Niederlage, die Kritiker an seinen Nehmerqualitäten zweifeln ließ.

Es folgten Verletzungen, Klitschko bestritt in den vergangenen fünf Jahren gerade einmal drei Kämpfe. Es sind drei Dinge, welche die Profi-Karriere des Witali Klitschko unvollendet machen. Aufgrund der Karriereplanung von Klaus-Peter Kohl, der ihn als Helden in Deutschland behalten wollte, bekam er kaum die Gelegenheit, sich wirklich zu beweisen. Wenn er das dann doch tun musste - oder durfte -, konnte er die Prüfung aufgrund von Verletzungen nicht bestehen.

Nun ist Klitschko wieder Weltmeister, er tritt in Stuttgart an gegen Juan Carlos Gomez. Der Kubaner ist ein feiner Techniker, quirlig auf den Beinen, er schlägt ebenso hart wie zielsicher. Trainer Fritz Sdunek bezeichnete den Kubaner einmal als größtes Talent, das er je in die Finger bekommen habe. Allerdings ist der talentierte Gomez ein Lebemann, in dessen Dopingprobe man schon einmal Kokain fand, der vor diversen Freundinnen und Steuerberatern flüchtet. Vor dem Kampf tönte Gomez in gewohnter Boxersprache: "Ich bin zu schnell. Klitschko wird staunen, was ich alles mit ihm anstellen werde."

Es ist eine Pflichtverteidigung an diesem Samstag in Stuttgart, der promovierte Sportwissenschaftler Klitschko weiß: Er muss diesen Kampf gewinnen, damit seine Karriere nicht allzu löchrig wird. Unvollständig indes wird sie bleiben - weil er auch bei einem Sieg nicht gegen den derzeit besten Schwergewichtler der Welt boxen wird. Das ist sein Bruder Wladimir - und die beiden haben ihrer Mutter geschworen, nie gegeneinander anzutreten.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: