Wirtschaft:Hoffen auf den großen Schub

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Ökonomen streiten sich über Wachstumseffekte der Weltmeisterschaft / Bauwirtschaft, Tourismus und Unterhaltungsindustrie profitieren

Uwe Ritzer

Schön hörte sich der Gesang nicht gerade an, aber der Refrain blieb unvergessen. "Fußball ist unser Leben", trällerten Deutschlands Nationalkicker zur Fußball-WM 1974. 32 Jahre sollte es dauern, bis sich diese Zustandsbeschreibung auf den Alltag des ganzen Landes zu übertragen scheint.

Alles Fußball: Wursthüllen in Form von Stollenschuhen (Foto: Foto: dpa)

Der Hardcore-Fußballfan dieser Tage wäscht sich morgens mit "Golden-Goal"-Duschgel, frühstückt "WM-Brötchen", fährt mit der "WM-Bahncard 25" zur Arbeit, isst mittags einen "Championburger" und trinkt dazu die WM-Sponsoren-Cola aus einem Glas mit Fußballemblem. Am Nachmittag bespricht er mit seinem Banker die "Doppelpassanleihe", ehe er am Abend in dem mit WM-Maskottchen "Goleo" dekorierten Kinderzimmer mit den Kleinen den offiziellen WM-Spielball als Puzzle zusammenfummelt.

Anschließend setzt er sich vor seinen neuen Flachbildschirm-Fernseher, trinkt mit seiner Frau ein Glas speziell gekelterten WM-Wein, ehe er auf seiner mit Fußball-Bettwäsche überzogenen Liegestatt wahlweise zur WM-Edition eines Kondomherstellers greift oder zu einem der vielen neuen Fußballbücher.

Wer so handelt macht sich um die deutsche Wirtschaft verdient. Tatsächlich ist unter Fachleuten aber höchst umstritten, ob die Konsumenten einer solchen WM-Euphorie verfallen und dementsprechend einkaufen. GfK-Marktforscher Rolf Bürkl glaubt zwar "prinzipiell" an eine gestiegene Kauflust, schränkt aber ein, die zuletzt spürbar gestiegene Konsumneigung der Bürger sei weniger WM-bedingt, als vielmehr ein Vorgriff auf die anstehende Mehrwertsteuererhöhung.

Starker Impuls bei WM 1998

Wie groß und vor allem wie dauerhaft die volkswirtschaftlichen Effekte der WM insgesamt sein werden, ist mindestens so umstritten wie die Erfolgsaussichten des deutschen Teams auf dem Rasen. Manche Optimisten tun so, als könnte das Fußball-Spektakel Reformpolitik ersetzen und die Konjunktur anfeuern. "Arbeit und Wachstum in Deutschland", prophezeit Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Pessimisten, wie jene des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), winken ab. Die WM bringe der Konjunktur überhaupt nichts.

Auch ein Blick zurück ergibt kein klares Bild. Mehr Wachstum war im WM-Jahr 1974 nicht zu spüren, was aber womöglich an der Ölkrise lag. Frankreich hingegen, Gastgeberland 1998, verzeichnete damals einen Wachstumssprung von 1,6 Prozentpunkten auf 3,3 Prozent, was prompt vier Jahre anhielt. Ratlosigkeit hinterlassen die Zahlen aus 2002. Der eine WM-Gastgeber Südkorea meldete sieben Prozent Plus, das Partnerland Japan dagegen ein Minus von 0,3.

Deshalb ist Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) lieber vorsichtig. Einerseits dürfe man die positiven Effekte der WM nicht unterschätzen, andererseits werde sie das Wachstum auch nicht in ungeahnte Höhen treiben, sagte er. Offiziell rechnet die Bundesregierung mit einem Impuls von zusätzlichen drei Milliarden Euro, die sich auf drei Jahre verteilen.

Was den Arbeitsmarkt angeht, stützt sie sich auf Zahlen der Nürnberger Bundesagentur, die von 50 000 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ausgeht, von denen bis zu 20 000 auch nach dem Abpfiff des WM-Finales Bestand hätten.Unstrittig ist, dass nicht alle Branchen gleichermaßen profitieren werden. Den größten Reibach werden wohl Hersteller und Händler von Sport- und Fanartikeln sowie Unterhaltungselektronik machen. Grundsätzlich gilt: Je stärker ein Produkt von Haus aus mit Fußball verbunden ist, desto besser verkauft es sich in WM-Zeiten.

Die deutsche Bauwirtschaft hat bereits profitiert, und zwar von den fünf Milliarden Euro, die in Stadien und deren Verkehrsanbindung verbaut wurden. Die Tourismuswirtschaft freut sich über eine Million ausländischer WM-Gäste und jene Deutschen, die von weit her zu einem Spiel anreisen und wenigstens einmal übernachten. Profitieren werden auch Sicherheitsdienste, Transport- und Verkehrsunternehmen.

Besonders hohe Erwartungen haben jene drei deutschen Konzerne, die neben zwölf ausländischen Hauptsponsoren die WM als Werbeplattform nutzen dürfen: Die Sportartikelfirma Adidas, die Reifensparte von Continental und die Deutsche Telekom. Die Postbank, die zumindest als einer von sechs nationalen Förderern der WM mit im Sponsorenboot sitzt, hat mit die höchste volkswirtschaftliche WM-Prognose abgegeben.

Chefvolkswirt Marco Bargel glaubt an einen Wachstumsimpuls von 0,5 Prozentpunkten, davon allein in diesem Jahr 0,3. Rund sechs Milliarden Euro zusätzlich würden durch das Fußballfest in die Volkswirtschaft fließen. Bargels größter Gegenspieler Markus Kurscheidt, Sportökonom der Ruhr-Universität Bochum, beziffert den WM-Effekt auf maximal 1,5 Milliarden Euro, verteilt auf zehn Jahre - also "verschwindend gering". Auch sein Bremer Kollege Rudolf Hickel warnt, es werde weder einen Konjunkturaufschwung, noch weniger Arbeitslosigkeit geben. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, bezieht eine optimistische Mittelposition. Im Bezug auf eine Kosten-Nutzen-Analyse, die den WM-Effekt auf 3,5 Milliarden Euro beziffert, schrieb Walter in der Börsen-Zeitung: "Deutschland wird deutlich stärker profitieren, denn die WM ist für Deutschland vor allem eines: eine Marketingaktion ohnegleichen."

Angesichts von addierten 30 Milliarden TV-Zuschauern weltweit böte die WM eine perfekte Werbebühne für den Standort Deutschland. Vorausgesetzt, es gibt keine Zwischenfälle mit Hooligans, Terroristen und Rechtsradikalen. Wenn dann noch Siege der deutschen Kicker dazukämen, könnte ein alter Begriff positiv wiederbelebt werden: Made in Germany.

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