Wintersport in China:Eine Winterreise ins Maschinenweiß

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In großer Gesellschaft: Kea Kühnel (Vierte von rechts) hat sechs Jahre vor den Winterspielen in Peking schon erste Freundschaften geschlossen. (Foto: Severin Guggemoos)

Freeski-Fahrerin Kea Kühnel hat die Resorts rund um Peking begutachtet.

Von Thomas Hahn, Bremerhaven

Dieser Winter kam der Freeski-Fahrerin Kea Kühnel manchmal vor wie eine kaputte Jahreszeit. Und dann wieder wie ein Fest voller Möglichkeiten. Er war zu warm in Europa, er brachte zu wenig Schnee. "Schrecklich", sagt Kea Kühnel, "wir mussten nach Amerika ausweichen, um skifahren zu gehen." Auf der anderen Seite markiert dieser Winter den Anfang ihrer Karriere als Sportprofi mit Olympia-Aussichten. Zum ersten Mal war sie mit der Nationalmannschaft des Deutschen Skiverbandes (DSV) unterwegs, auch bei den European Open in Laax/Schweiz an diesem Wochenende ist sie im Einsatz. Und dann war da ja noch ihre Expedition ins größte Neuland der Wintersportwelt: nach China, dorthin, wo die Hoffnungen der Ski-Industrie liegen.

Kühnel hat den Eindruck, dass die Chinesen den Wintersport für sich entdecken

Kea Kühnel, 24, gehört zu jenen Quereinsteigerinnen des Wintersports, die es ohne die jungen Kreativ-Disziplinen der olympischen Welt wahrscheinlich nicht gäbe. Sie kommt aus Bremerhaven, einer Nachbarstadt der Nordsee, die nicht unbedingt als Talentschmiede fürs skifahrende Gewerbe bekannt ist. Erst 2012 kam sie nach Innsbruck in Tirol zum Wirtschaftsstudium und tauchte dort in die landestypische Sportkultur ein. Als konventionelle Skifahrerin wäre sie dabei nicht aufgefallen, aber als Skifahrerin, die Überkopfdrehungen machen kann, tat sie es doch. Kea Kühnel war früher Turnerin, "daher kannte ich das". Die Trainer des deutschen Freeski-Teams wurden aufmerksam, und plötzlich war sie National-Freeski-Fahrerin. In der nächsten Saison will sie sich der Qualifikationsmühle für die Winterspiele in Pyeongchang stellen.

Deshalb wollte sie auch gleich in diesem Winter ihre China-Idee umsetzen. Peking, Gastgeber der Winterspiele von 2022, ist als Wintersport-Standort ungefähr so berühmt wie Bremerhaven. Und als Chinas Hauptstadt im vergangenen Jahr den Zuschlag bekam, wunderten sich viele Europäer: Wintersport im Reich der Mitte - geht das überhaupt? Kea Kühnel wollte eine Antwort auf diese Frage geben, sie hielt sich aus gutem Grund geeignet dafür. Seit der elften Klasse interessiert sie sich für China, sie nahm an einem Schüleraustausch mit Taiwan teil und machte nach dem Abitur zwei Jahre lang verschiedene Praktika bei Unternehmen in Shanghai.

Sie spricht Chinesisch, sie kennt China persönlich. Sie wollte dem Vorurteil begegnen, dass chinesische Winterspiele eine weit hergeholte Idee seien. Und sie fand ein Format für diese Aufgabe: Hinfahren für das Jugendprogramm des Bayerischen Rundfunks, Eindrücke sammeln, anschließend davon erzählen. Ihre Sponsoren fanden die Idee brillant.

Kein Wunder. Der Ski-Industrie in Europa geht es nicht besonders gut. Die schneearmen Winter zehren, und wenn wie in diesem Jahr die Temperaturen zu hoch sind, kann man die Sorgen auch nicht mit Schneekanonen wegschießen. China mit seinen 1,4 Milliarden Menschen ist deshalb eine große Hoffnung. Es gibt Berge sowie eine Mittelschicht, die sich die Freizeit auch mal was kosten lassen kann. Und Winter-Olympia ist natürlich eine gigantische Investition in den Standort, bewerkstelligt von der resoluten chinesischen Ein-Parteien-Regierung, die schon bei Sommer-Olympia 2008 die Athleten tanzen ließ.

Im Januar war Kea Kühnel in China, und sie hat dort tatsächlich den Eindruck gewonnen, dass die Chinesen den Wintersport für sich entdecken. Das Gebiet, in dem in sechs Jahren die Schnee-Wettbewerbe stattfinden werden, hat sie dabei nicht besucht. Das brächte wahrscheinlich auch nicht viel. Die Sportstätten in den Bergen nordwestlich von Peking rund um die 4,6-Millionen-Einwohner-Stadt Zhangijakou und im Landkreis Yanking sind noch nicht da. Kea Kühnel war vor allem im Nanshan Ski Resort im Kreis Miyun, das es schon seit fast 15 Jahren gibt, mitbegründet von einem Snowboarder und früheren Sinologie-Studenten aus Wien. Steve Zdarsky gilt als einer der Schrittmacher des Snowboardens in China. Die Snowboard-Industrie war vor der Ski-Industrie dort, deshalb gilt Europas einstiger Rebellen-Wintersport unter Chinesen auch als das klassischere Freizeitvergnügen. "Aber immer mehr Skifahrer kommen hinzu", sagt Kea Kühnel. Vor allem etablierte Gutverdiener nutzen das Resort von Nanshan. Weniger Schüler und Studenten, denn die haben keine Zeit. "Die stehen im Wettbewerb um ihre Studienplätze, die sind eigentlich nur am Lernen", sagt Kea Kühnel.

Mit U-Bahn, Bus und Taxi ist sie am ersten Tag von ihrem Hotel in einem Pekinger Hutong-Viertel die 60 Kilometer nach Nanshan gereist. Umständlich war das, aber auch billig: drei Euro. Im Resort hat sie dann gepflegte Freeski-Schanzen vorgefunden, viele Buckelpisten, getrennte Anfängerhänge für Skifahrer und Snowboarder. Und keine tief verschneiten Landschaften. "Das ist alles Kunstschnee." Rund um Peking schneit es selten. Aber kalt ist es, die Schneekanonen funktionieren. Der Betrieb läuft auf einem weißen Band inmitten brauner Berge.

Kea Kühnel kennt die Kritik der Menschenrechtler an Chinas nicht-demokratischer Regierung. Aber Skifahren ist für sie unpolitisch, und der Wintersport-Markt ist nun mal da. "Es gibt ungefähr 500 Skigebiete in China mittlerweile", sagt sie, allein rund um Peking gibt es noch 20 kleinere neben dem Nanshan Ski Resort. Kea Kühnel hat sicher auch die Interessen ihrer Branche im Kopf, wenn sie ihre kleine Winterreise ins chinesische Maschinenweiß Revue passieren lässt. "Es war extrem cool", sagt sie, "ich wäre am liebsten da geblieben."

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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