Wimbledon:Miss Li spricht

Lesezeit: 3 min

Li Na steht als erste Chinesin im Viertelfinale von Wimbledon - und verliert.

Claudio Catuogno

Zunächst einmal gilt es etwas Grundsätzliches zu klären. "Was ist Ihr Vorname?", fragt ein englischer Journalist die Chinesin auf dem Podium. Li? Oder Na? "Na", sagt Li Na. Oder Na Li, je nachdem. So richtig weiß man ja immer noch nicht, wie die junge Frau nun heißt, die in Wimbledon gerade Tennisgeschichte geschrieben hat. Wird in China der Familienname nicht zuerst genannt? Also doch Li Na. Oder einfach: Miss Li.

"Es gibt keinen Grund, warum man ein Spiel gewinnt", sagt Li Na, die beste chinesische Tennisspielerin. (Foto: Foto: AP)

Das hätte man die schöne Anna Kurnikowa mal fragen sollen. Oder die stolze Maria Scharapowa. Wie sie eigentlich heißen. Das hätte einen schönen Eklat gegeben.

Die Russinnen sind ja schon vor einigen Jahren mit unvergleichlicher Wucht in den elitären Zirkel des Frauentennis' eingedrungen. Nun folgen also die Chinesinnen. Als erste hat Li Na, 24, gerade die Top30 der Weltrangliste erreicht, in Wimbledon stand sie am Dienstag als erste Chinesin überhaupt im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers. Und doch ist alles ein bisschen anders als damals mit den Russinnen.

Die Russinnen, jedenfalls viele, setzten sich so selbstverständlich auf die Pressepodien, als wären sie auf Pressepodien geboren worden und auf Pressepodien aufgewachsen, und plauderten in akzentfreiem Englisch über ihr Spiel.

So wie man es in Florida spricht

Oder besser: in von russischem Akzent freiem Englisch. Scharapowa zum Beispiel spricht so, wie man nun mal in Florida spricht, wo sie bei Nick Bollettieri in die Tennislehre ging: well, you know, well, you know.

Li Na sitzt mit großen Augen in den Katakomben des Center Courts, neben ihr eine Dolmetscherin, und antwortet ein wenig rätselhaft auf die Fragen, die nach jedem Match zum Standard gehören, die ihr aber doch so fremd vorzukommen scheinen, wie sie selbst den Menschen in Wimbledon fremd vorkommt.

Was war ausschlaggebendfür ihren Erfolg im Achtelfinale gegen die junge Nicole Vaidisova? Die Übersetzerin sagt etwas. Miss Li sagt etwas. Dann sagt die Übersetzerin: "Es gibt keinen Grund, warum man ein Spiel gewinnt." Natürlich gibt es immer einen Grund, warum man ein Spiel gewinnt, auch bei Chinesinnen.

Hatte sie den besseren Aufschlag? Die bessere Konzentration? Was sind ihre größten Stärken auf dem Platz, was muss sie verbessern? Kurzes Hin und Her, dann sagt die Dolmetscherin: "Ich weiß nicht, wie ich Ihre Frage beantworten soll." Soll heißen: Li Na weiß es nicht.

So ist natürlich nicht viel herauszubekommen über Miss Li und die anderen Chinesinnen, von denen bereits sieben unter den besten Hundert der Welt rangieren. Niemand auf der Tour weiß viel über sie, weil ja niemand viel mit ihnen spricht, selbst wenn manche deutlich besser Englisch können als Li Na.

Aber vor und nach den Matches sind sie immer freundlich und höflich, so wie die chinesischen Kollegen nebenan im Pressezentrum, die stets eifrig und still vor ihren Monitoren sitzen. Die Spielervereinigung WTA weiß auch nur im Stakkato-Stil über Li Na zu berichten: "Trainiert von Chen Li ...

Herangeführt an das Spiel im Alter von acht, nachdem sie zwei Jahre lang Badminton spielte ... Bevorzugt Hartplätze ... Mutter Yan-Ping ist Buchhalterin ... Lieblingsfarben sind weiß und schwarz ... Auch am Schwimmsport interessiert ... Hobby ist lesen ... Besucht gerne Peking ... Verehrt Andre Agassi."

Die Gesichter hinter den Erfolgen mögen noch ein bisschen blass bleiben, die Entwicklung des chinesischen Frauentennis vollzieht sich rapide. 2004 in Athen holten Li Ting und Sun Tiantian als erste Tennisspielerinnen der Geschichte für China eine olympische Medaille: Gold im Doppel. Bei den Australian Open Anfang des Jahres gewann ein anderes Duo, Zheng Jie und Yan Zi, den ersten Grand-Slam-Titel, ebenfalls im Doppel.

Nirgendwo sonst boomt Tennis so wie in China: Anfang der neunziger Jahre gab es im ganzen Land laut Tennis-Weltverband ITF etwa 10000 Tennisspieler. Inzwischen gibt es 10.000 Tennisplätze - und eine Million Aktive. Gerade erst haben die Chinese Tennis Association (CTA) und das Erziehungsministerium Tennis zur Schulsportart befördert. In Kürze werden also etwa 200 Millionen Kinder den Schläger schwingen. Li Na wird nicht das letzte Talent aus dem Riesenreich bleiben.

Am Dienstagnachmittag verlor Li Na im Viertelfinale von Wimbledon 4:6, 5:7 gegen Kim Clijsters. Die Belgierin trifft am Donnerstag im Halbfinale auf ihre Landsfrau Justine Henin-Hardenne, die sich 6:4, 6:4 gegen die französische Qualifikantin Séverine Bremond durchsetzte.

Die Weltranglistenerste Amélie Mauresmo besiegte die Russin Anastasia Myskina 6:1, 3:6, 6:3, ihre nächste Gegnerin ist Maria Scharapowa (6:1, 6:4 gegen Jelena Dementiewa). Aus dem ersten Grand-Slam-Halbfinale mit chinesischer Beteiligung ist es also doch nichts geworden.

Was ihr noch fehle zum ganz großen Erfolg, wurde Li Na zum Abschied gefragt. "Das ist nichts, worum ich mich kümmern muss", sagte die Übersetzerin, "sondern das ist die Sache von meinem Trainer." Also von Chen Li. Oder Li Chen. Von Mister Li eben.

© SZ vom 5.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: