Wimbledon-Jubiläum für Michael Stich:Aufschlag, Return, in die Knie

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Wimbledon-Finale 1991: Michael Stich jubelt über seinen deutlichen 6:4, 7:6 (4), 6:4-Erfolg gegen Boris Becker. (Foto: Rolf Kosecki)

Ein einmaliges deutsches Wochenende: Vor 25 Jahren besiegte Michael Stich Boris Becker im Finale von Wimbledon.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Es ist ein schöner Moment, als Michael Stich im Aorangi Park steht. Die Sonne blitzt durch den Himmel, was sie bei diesen vor allem in der ersten Woche verregneten 130. Championships nicht oft tat. Menschen mit Schlägertaschen und ohne Schlägertaschen kommen vorbei, viele grüßen den Deutschen, "nice to see you", schön dich zu sehen, Stich lächelt.

Er drängt sich nicht auf, so war das meist bei dem Norddeutschen aus Elmshorn, deshalb zögert er erst, als er auf sein Jubiläum angesprochen wird. Vor 25 Jahren gewann der immer noch schlanke 47-Jährige das wichtigste Turnier im Tennis. Wimbledon, 7. Juli 1991, 6:4, 7:6 (4), 6:4, das waren die Fakten. 25 Jahre, eine lange Zeit. "Ich habe natürlich nicht mehr alle Bilder im Kopf", sagt Stich, aber den Matchball, den könnte er noch nachstellen: "Aufschlag auf die Vorhand, Return nach links, ich sinke in die Knie, während der Schläger in die Luft fliegt." Sein Gegner war Boris Becker, und das machte diesen Triumph, sein einziger bei einem Grand-Slam-Turnier, noch spezieller.

"Ich spiel' mein schlechtestes Tennis", jammerte Boris Becker

Stich selbst hat das stets nüchterner gesehen, "für mich war es nur ein Finale, das ich gewinnen wollte", sagt er jetzt auch. Für die Öffentlichkeit, die deutsche, war es nicht so einfach, denn es gab ja nicht nur das Novum, das zwei Einheimische gegeneinander antraten, sondern es standen sich zwei Antipoden gegenüber. So wurde es wahrgenommen, der Emotionale gegen den Analytischen, der Schimpfende gegen den Coolen, der Raue gegen den Feinsinnigen, manche schrieben auch: der Geliebte gegen den Nichtgeliebten. Becker, mit dem Hunderttausende vor den Fernsehern mitlitten, der insgesamt sechs Grand Slams gewann, hatte auch den Vorteil, dass er 1985 aus dem Nichts diese Liebe entzünden konnte als Erster, mit dem Triumph in seinem Wohnzimmer an der Church Road. Stich wurde respektiert, so gingen beide ins Finale. Stich war an Nummer sechs gesetzt, Becker an zwei, er galt als leichter Favorit, er hatte schon seine drei Wimbledon-Titel in der Bilanz. "Ich war mir sicher, dass ich gewinnen werde", sagt Stich im Rückblick. So wie er damals spielte, muss er so überzeugt gewesen sein. Stich demontierte Becker.

Noch immer ist Stich, heute Chef des Hamburger Turniers am Rothenbaum, der Realist, die sechs Siege auf dem Weg in sein Endspiel zählt er ohne Nuancen auf. Erste Runde der Amerikaner Dan Goldie in drei Sätzen, zweite Runde der Italiener Diego Nargiso in vier Sätzen, dann dessen Landsmann Omar Camporese auch in vier, "gegen den Russen Alexander Wolkow stand ich schon vor dem Aus". 7:5 im fünften Satz, im Viertelfinale tat er sich leichter. Jim Courier aus den USA fertigte er in drei Sätzen ab, ehe er sich mit dem Schweden Stefan Edberg ein Tie-Break-Duell lieferte, 4:6, 7:6, 7:6, 7:6 - damit hatte er noch vor dem Finale Becker einen Dienst erwiesen. Der wurde zur neuen Nummer eins der Weltrangliste.

Das Finale, gutes Wetter, Prinzessin Diana saß in der Royal Box, "ich war ein bisschen nervös", erinnert sich Stich, aber "ich spürte hauptsächlich Vorfreude". Erstaunlicherweise war es Becker, der gelähmter von diesem Moment wirkte, Stich nahm früh war, dass "Boris unzufrieden war und schimpfte". Unvergessen sind dessen Tiraden ohnehin, "Wimbledon-Finale, und ich spiele mein schlechtestes Tennis", klagte Becker an diesem 7. Juli, und dann wimmerte er, ein ewiger Klassiger: "Rüber, rüber!" Aber der, der den Ball präziser rüber, rüber spielte, war Stich.

Im Internet ist ihr Match immer noch zu bestaunen, wie bei einem Tischtennisspiel flitzen die Bälle hin und her, nur dass einer immer, wirklich immer ans Netz stürmte und entweder passiert wurde oder eben mit einem Volley den Punkt machte. Hopp oder topp, so wurde damals gespielt, ehe Andre Agassi bewies, dass man Wimbledon von hinten, von der Grundlinie gewinnen kann. Stichs Vater Detlef hielt viele Szenen auf einer Kamera fest, sie war so groß, als würde er einen Hollywood-Film drehen, 25 Jahre, lange her eben. "Schwer zu sagen, ob mein Leben danach besser wurde oder nicht", sagt Stich, ganz der Analyst, er meint: Vielleicht hätte er auf andere Weise sein Glück gefunden. "Aber es hat auf jeden Fall mein Leben verändert."

Dass Schiedsrichter John Bryson "Game, Set, Match Becker" reflexartig rief, weil es ja meist so war, wenn Becker spielte, hatte er zunächst gar nicht gemerkt. Er war auf die Knie gesunken, der Jubel und Applaus setzte ein. Stichs Sieg rundete ein deutsches Finalwochenende ab, das es bis heute nicht mehr geben sollte. Steffi Graf gewann auch bei den Frauen den Titel und die heutige Bundestrainerin Barbara Rittner bei den Juniorinnen. Für Stich hat sein größter Triumph einen Vorteil: Er ist seitdem Mitglied im All England Club und jederzeit willkommen. "Ich muss nicht ständig an die Vergangenheit denken, aber dieses Mal habe ich mich schon besonders auf den Besuch gefreut", sagt Stich, der am Dienstag in der Royal Box sitzen durfte, und wieder ruft jemand: "Hi, Michael, wie geht's?"

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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