Wettskandal:Gekaufte Teams

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Wie in einem Dominospiel weiten sich die Ermittlungen im Fußball-Wettskandal aus - inzwischen haben die Behörden 250 Verdächtige aus 15 Ländern im Visier. Der Betrug hat System.

Hans Leyendecker

Es gibt Affären, die zunächst wie ein großer reißender Strom daherkommen und dann in viele kleine Bächlein abzweigen und am Ende versickern. Hier mal eine stille Verurteilung, dort eine Geldbuße oder gar die Einstellung des Verfahrens. Der Fußball-Wettskandal, der seit Januar 2009 von der Bochumer Staatsanwaltschaft und dem für Organisierte Kriminalität/ Bandenkriminalität zuständigen Kriminalkommissariat 21 der Revier-Stadt aufgearbeitet wird, verrinnt dagegen nicht. Im Gegenteil: Immer mehr Verdächtige (250), noch mehr vermutlich verschobene Spiele als bislang bekannt (270), noch mehr von illegal operierenden Zockern befallene Länder (15), und auch die Summe der bislang ermittelten Wetteinsätze auf manipulationsverdächtige Spiele ist noch einmal gestiegen - sie liegt derzeit bei rund zwölf Millionen Euro.

Der europäische Fußball wird vom größten Wettskandal seiner Geschichte erschüttert. Jetzt haben die Bochumer Ermittler einen ersten Zwischenbericht vorgelegt. (Foto: ag.ddp)

Schiedsrichter, Trainer, Spieler und sonstige Angehörige des Gewerbes sollen mit etwa anderthalb Millionen Euro bestochen worden sein. So sehen die Rahmendaten einer Zwischenbilanz aus, die am Dienstag von der Bochumer Justiz präsentiert wurde: In Deutschland sitzen noch acht der Verdächtigen in Untersuchungshaft. In der Türkei sind derzeit 35 Verdächtige in Haft, in Kroatien 22. Schon in Kürze sollen im Deutschland-Komplex die ersten Anklagen dem Bochumer Landgericht zugestellt werden. Die Hauptbeschuldigten müssen mit Strafen rechnen, wie es sie im europäischen Zockermilieu noch nicht gegeben hat: Die Staatsanwaltschaft peilt Strafanträge bis zu sechs Jahren Haft an. Nur zum Vergleich: Der Haupttäter im ersten großen deutschen Wettskandal war zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt und bald schon gegen Bewährungsauflagen freigelassen worden.

Obwohl noch niemals zuvor der systematische Wettbetrug derart intensiv nachgewiesen worden ist wie in dem Bochumer Fall, ist das Interesse der Fachöffentlichkeit an den Ergebnissen gesunken: Die erste Bundesliga ist, entgegen allen umlaufenden Gerüchten, vermutlich nicht vom Betrugsbazillus befallen worden. Zwar sind statt den von den Ermittlern im November vergangenen Jahres zunächst vermuteten 32 Spielen in der zweiten und dritten Liga, sowie in den Regional- und Oberligen vermutlich insgesamt 53 Spiele in Deutschland verzockt worden, aber für rituelle Empörung braucht es aber hierzulande schon die Top-Liga.

Systemimmanenter Wettbetrug

Die Ermittlungen zeigen, dass globaler Wettbetrug quasi systemimmanent und wie Friedhelm Althans, der Leiter des Kommissariats 21, feststellt, längst ein Zweig der Organisierten Kriminalität (OK) geworden ist. Die Täter seien unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen arbeitsteilig vorgegangen und an den für die Definition der OK notwendigen Gewalt oder zumindest Einschüchterungsversuchen soll es auch nicht gefehlt haben. Zwölf bis zeitweise fünfzehn Beamte seines Kommissariats arbeiten den Fall auf, und die Spuren des Geldes führen in Steueroasen wie die Isle of Man, wo auch zwei Internet-Wettanbieter lizenziert sind oder nach Gibraltar oder Singapur. Die Ermittlungen haben Erstaunliches offenbart: Manchmal wurde die gesamte Mannschaft gekauft und nicht mal vor B-Jugendlichen machten die Wettbetrüger Halt.

Im Reich des Fußballs und des Sports allgemein gibt es also kaum einen Fußbreit Boden, den man sorglos betreten kann. Aber rechnet sich die Manipulation von Spielen wirklich? Einige der inhaftierten Zocker haben in Vernehmungen geklagt, dass sie am Ende nur verloren hätten, aber Althans macht an einem Beispiel eine andere Rechnung auf: So seien beim "MSN-Betting" (Wetten per Telefon) bei einem einzigen asiatischen Wettanbieter in 118 Fällen insgesamt 5,54 Millionen Euro eingezahlt worden. Bei den Spielen ohne Manipulationsverdacht hatten die Zocker unterm Strich 147 000 Euro verloren. Bei den verdächtigen Spielen lag der Gewinn bei etwa 1,1 Millionen Euro. Die bislang durch die Sonderkommission "Flankengott" festgestellten Gewinne liegen insgesamt bei 7,5 Millionen Euro.

Immer neue Fälle

Geradezu euphorisch reagieren Bochumer Strafverfolger, wenn nach Erfahrungen mit der Rechtshilfe in anderen Ländern gefragt wird: Der zuständige Bochumer Oberstaatsanwalt Norbert Salamon spricht von "umfassender Rechtshilfe", die dank des "großartigen polizeilichen Informationsaustausches hervorragend" laufe. In elf Ländern würden derzeit Rechtshilfeersuchen der deutschen Behörden bearbeitet, Anfragen in vier weiteren Ländern würden vorbereitet. Besonders eng ist die Zusammenarbeit mit der Türkei. Die Zahl der verdächtigen Spiele hat sich in der Türkei seit November von 29 auf 74 erhöht. Mittlerweile rollen am Bosporus Ermittler den landeseigenen Wettskandal selbst auf. Eigene Ermittlungen führt beispielsweise auch die Schweizer Bundesanwaltschaft durch. In einigen Ländern bleibt abzuwarten, was am Ende herauskommen wird. Bosnien (8 Fälle) und Slowenien (7 Fälle) beispielsweise sind die einzigen Länder, in denen seit Beginn des Verfahrens kein neuer Fall hinzugekommen ist.

Aber man darf nicht vergessen, dass mancherorts auch bei zuvor fiebrig geführten Ermittlungen zum Schluss die Akten dann doch gern mit dem Stempel "erledigt" oder "eingestellt" versehen werden.

© SZ vom 14.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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