Wettmanipulation im Tennis:"Sauber zu machen, ist gut"

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Bild mit Symbolwirkung: Arbeiter wischen den Hartplatz in Dubai, nach der Unterbrechung des Spiels zwischen Caroline Garcia und Carla Suarez Navarro. (Foto: Marwan Naamani/AFP)

Eric Butorac, Präsident des ATP-Spielerrates, erklärt, warum das Betrügen im Tennis so einfach ist. Er kritisiert das Sponsoring durch Wettanbieter und sagt: "Wir müssen alle die Polizei sein."

Interview von Gerald Kleffmann, München

Zwei Meldungen in dieser Woche zum Thema Wettbetrug betrafen wieder einmal den Tennissport. Zuerst teilte die Anti-Korruptionsorganisation Tennis Integrity Unit mit, dass der 22 Jahre alte Thailänder Jatuporn Nalamphun, der auf unteren Profitouren eher erfolglos spielt, für 18 Monate gesperrt wurde; er habe drei Verstöße zwischen Juli und November 2014 zugegeben. Dann wurde verlautbart, dass knapp drei Viertel der vom Manipulationsverdacht überschatteten Sportwetten grundsätzlich aus dem Tennis kommen; dies bestätigte die ESSA (Sports Betting Integrity) dem britischen Sender BBC. Die Organisation mit Sitz in Brüssel wird von den Buchmachern aus ganz Europa informiert, wenn auffällig hohe Einsätze auf bestimmte Wetten vorliegen. In 73 von 100 gemeldeten Fällen 2015 soll es sich dabei nach Angaben der ESSA um Tennis-Matches gehandelt haben.

Schon zum Turnierstart der Australian Open Mitte Januar sorgten zwei Medienberichte für Aufregung. Die BBC und das Online-Portal Buzzfeed News publizierten damals, dass in den vergangenen zehn Jahren 16 Profis aus den Top 50 im Zusammenhang mit möglichem Wettbetrug im Tennis auftauchten. Im SZ-Interview spricht Eric Butorac darüber, wie die Profis dieses Problem erleben. Der 34-jährige Amerikaner aus Boston löste im vergangenen Jahr den Schweizer und 17-maligen Grand-Slam-Sieger Roger Federer als Präsident des Spielerrates der Männertour ATP ab. Butorac ist Doppelspezialist und errang in seiner Karriere seit 2003 insgesamt 16 Titel.

SZ: Herr Butorac, wie beurteilen Sie als Präsident des Spielerausschusses der ATP das Thema Wettbetrug im Tennis? Haben Sie die Meldungen überrascht?

Eric Butorac: Natürlich ist das ein Thema, das wir genau beobachten. Und das Thema ist ja nicht neu. Die Tennis Integrity Unit, die als Anti-Korruptionsbehörde 2008 gegründet wurde, hat ja schon vorher Spieler gesperrt. Ich glaube aber nicht, dass es ein Thema ist, das die höchste Ebene, die Spitze der Tour betrifft. Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

Wie wird in den Spielerkabinen darüber geredet?

Ich kann das nur aus meiner Sicht darstellen. In der Umkleide höre ich nur wenig zu diesem Thema. Ich denke, der Wettbetrug betrifft die unteren Ebenen, kleinere Turniere. Dort müssen die Spieler Wege finden, wie sie Geld verdienen. Die Sperren betrafen auch Spieler, die auf den Einstieg ins Profigeschäft hoffen. Vielleicht ist es auch eine kulturelle Angelegenheit.

Wie meinen Sie das?

Manche Typen haben vielleicht eine größere Akzeptanz diesen Dingen gegenüber. Ich habe eine Null-Toleranz. Die Tennis Integrity Unit macht einen guten Job. Wir kriegen aber nicht alle Informationen, weil die TIU eine von der ATP getrennte, eigenständige Organisation ist. Es ist einfach sehr schwer, Betrüger zu fassen. Man muss ja Beweise haben. Nur Verdächtigungen aufgrund auffälliger Daten reichen nicht aus. Aus diesem Grund wurde ja auch in den Artikeln keine Namen genannt. Auch die Medien haben keine Beweise. Fürs Tennis ist das alles keine gute Presse, aber so groß ist der Fall nicht, wie er dargestellt wird. Aber wenn es hilft, Tennis sauberer zu machen, ist das gut. Und eines ist klar: Wenn jemand erwischt wird, sollte er lebenslang ausgeschlossen werden vom Tennis.

Wie leicht ist es für Spieler, auf dem Platz zu betrügen?

Das hängt von der Integrität des Spielers ab. Das Problem ist, dass ein einzelner Spieler ausreicht, um krumme Dinger zu machen. Also entscheidet er alleine, ob er 100 Prozent Einsatz gibt oder nicht. Genau deshalb kaufen die Zuschauer ja Tickets, weil sie zwei Spieler sehen wollen, die alles geben und kämpfen.

Könnten Sie als erfahrener Profi sagen, ob jemand 100 Prozent gibt, wenn Sie ihn spielen sehen?

Das könnte ich nicht. Wir Profis reisen um die Welt, jeder hat auch hin und wieder kleinere oder größere Probleme, körperliche, private. Du weißt nie, was in den Köpfen der anderen Spieler wirklich vorgeht.

Werden Sie das Thema Wettbetrug im Spielerausschuss diskutieren?

Absolut. Wir hatten bereits in Melbourne vor dem Turnier eine Sitzung, allerdings bevor die Meldung herauskam und das Thema veröffentlicht wurde. Bei der nächsten Sitzung wird das oben auf der Liste stehen. Wir müssen überlegen, wie wir die TIU stärken können. Wie wir ihr mehr Informationen geben können. Wie wir die Spieler erreichen können, um allen die Botschaft klarzumachen, dass jede Information hilfreich sein kann. Wenn jemand etwas mitbekommt oder hört, was in diese Richtung geht, muss es gemeldet werden. Es ist doch so: Wenn der Sport seine Integrität verliert, schadet das allen. Wir müssen alle die Polizei sein. Wir müssen uns gegenseitig helfen.

Ein Ansatz, um die Anfälligkeit von Spielern auf den unteren Touren zu unterbinden, wäre, das Preisgeld dort anzuheben. Damit die Spieler erst mal über die Runden kommen. Müsste das Preisgeld nicht gerechter verteilt werden?

Ich habe mir kürzlich die Entwicklung der vergangenen fünf Jahre und der vergangenen zehn Jahre angesehen. Ich glaube, jeder Spieler von Platz eins bis 250 hatte deutlich steigende Einnahmen. Und keine Gruppe erfuhr einen Anstieg der Einnahmen um weniger als 37 Prozent. Manche Gruppen lagen eher bei 70, 80 Prozent höherer Einnahmen. Das ist eine großartige Entwicklung angesichts eines relativ kurzen Zeitraumes. Aber auf der untersten Ebene ist das Geld, das verdient werden kann, zu gering, um eine Karriere zu beginnen. Wenn du von Steigerungen von 50 Prozent des Preisgeldes ausgehst, ist das immer noch nicht genug. Ich war immer ein Befürworter, dass deutlich mehr Preisgeld in die unteren Turniere gesteckt wird. Die Turniere wollen das Geld natürlich für die besten Spieler verwenden und den Siegern und Finalisten die größten Schecks zahlen. Wir kämpfen oft mit ihnen, damit auch die Spieler weiter unten mehr verdienen, die nicht so weit bei den Turnieren kommen. Es wäre ein toller Schritt für unseren Sport, wenn auch die Spieler um die Ränge 300 abwärts ein besseres Auskommen hätten. Dann würde vielleicht auch das Thema Wettbetrug kein Thema mehr werden.

Warum findet diese gerechte Verteilung des Preisgeldes kaum statt?

Es ist ein Prozess. Bei den letzten Verhandlungen vor drei Jahren um die Preisgeldstruktur bei den vier Grand-Slam-Turnieren haben wir eine große Steigerung erreicht. Vor allem in den ersten Runden wird mehr verdient. Und auch in der Qualifikation kann man nun mehr verdienen. Wenn du jetzt die erste Runde bei einem Grand Slam erreichst, kriegst du einen Scheck über 50.000 Dollar. Das ist wunderbar. Das ist für manche so viel, wie sie in einem halben Jahr sonst verdienen. Auf der Challenger-Ebene ist es schwieriger, weil die Turniere dort selbst kaum Geld verdienen. Deshalb ist es schwer, sie dazu zu drängen, den Spielern mehr zu zahlen. Wir sollten daher schauen, dass die ATP etwas abgibt und diesen Spielern dort unten hilft. Wir müssen mehr kreative Wege finden, um Geld nach unten zu bringen.

Ist es richtig, dass ein Tennisprofi, der um die Welt reist, rund 150.000 Dollar braucht, um auf der richtigen Seite zu sein?

Das hängt davon, wohin du reist, wo du auch fest lebst, wie groß dein Team ist. Ich lebe in Boston, das ist eine teure Stadt, habe Frau und Kind. Ich muss schon so viel verdienen. Aber wenn du Single bist und keinen Coach hast, kommt man auch mit weniger klar. Aber ich denke, mit 150.000 im Jahr lässt sich auch etwas zur Seite legen.

Wen machen Sie für Matchabsprachen und das Problem des Wettbetrugs verantwortlich: Sind es schwache Spieler, die nicht Nein sagen können? Oder ist es das Wettsystem?

Ich persönlich beschuldige Spieler, die schwach werden. Für mich gäbe es keine Summe und keinen rationalen Grund, warum ich den Sport korrumpieren sollte. Egal, wo man spielt, sollte man aufstehen und sagen: Nein, das mach' ich nicht. Es ist so, als ob jemand zu mir nach Hause kommt, um es zu säubern. Und weil sie nicht viel dabei verdienen, finden sie es gerechtfertigt, etwas aus dem Haus mitgehen zu lassen. Am Ende des Tages, wenn die Zuschauer Tickets kaufen, müssen sie sicher sein können, dass sie echten Sport sehen.

Und sollten Turniere Wettanbieter als Sponsoren haben? Die Australian Open haben erstmals einen solchen Partner, als erstes Grand-Slam-Turnier überhaupt.

Ich denke, es ist sicher kein großartiges Branding für unseren Sport. Aber letztlich müssen die Spieler für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden.

© SZ vom 21.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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