Wettbetrug im Tennis:Augen zu und durch

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Wett-Experten halten die Anti-Betrugs-Einheit im Tennis für ein Feigenblatt: Selbst konkrete Hinweise würden ignoriert. Obendrein wirken Manipulationen angesichts der ungerechten Verteilung des Preisgelds fast schon logisch.

Von Thomas Kistner, München

Fußball, Leichtathletik, Tennis. Wie zuvor die Funktionäre der Skandal-Verbände Fifa und IAAF ruft das britische Parlament nun die internationalen Tennisgremien zur Anhörung. Das heißt: Es wird ernst. Und die geschockten Vertreter des weißen Sports begreifen so langsam, dass sie sich nicht länger hinter ihrer hauseigenen Anti-Korruptions-Einheit "Tennis Integrity Unit" (TIU) verstecken können.

Noch zu Wochenbeginn, als die BBC und das Onlineportal Buzzfeed detaillierte Vorwürfe zu Spiel-Absprachen und Wettbetrug im Profitennis erhoben, hatte Chris Kermode routiniert vom "Mangel an Beweisen" gesprochen - und, klar: Gäbe es die, "würden wir sie natürlich veröffentlichen". Kermode, der Chef der Spielerorganisation ATP, hob dabei die Unabhängigkeit der TIU hervor. Doch an der zweifeln nicht nur immer mehr Aktive, die einen ganz anderen Eindruck von der Manipulationsdichte in ihrem Sport vermitteln als Geschäftsfunktionäre wie Kermode. Dessen ATP ist übrigens wie der Weltverband ITF, die Frauen-Organisation WTA und die Grand-Slam-Vereinigung zu je einem Viertel an der TIU beteiligt.

Professionelle Betrugsfahnder, die den Markt für sogenannte Wettradar-Firmen nach Auffälligkeiten absuchen, beklagen offen: Das Gros der Sportverbände habe kein Interesse an harter Spielbetrugs-Bekämpfung. Und nirgendwo sei diese Verweigerung größer als im Tennis. Immer wieder, sagt nun ein europäischer Wett-Beobachter der SZ, hätten TIU und ITF von Wettradar-Agenturen Hinweise auf Auffälligkeiten erhalten, auch von Firmen, die gar nicht vertraglich für den Tennissport angeheuert wurden. Doch ihre Daten sind offenbar gut: Eine Agentur hat soeben bei einer Nachprüfung den Verdacht gegen acht der 15 am Mittwoch namentlich belasteten Tennisprofis anhand eigener Erhebungen erhärtet; einige seien bei ihr mehrfach auffällig und weitergemeldet worden.

Passiert ist aber nie etwas. Das rückt die TIU in den Fokus. Wurde sie wirklich für harte Kontrollen installiert - oder soll sie Glaubwürdigkeit vor allem simulieren? "Sie ist wie eine Blackbox, in die alle Informationen reingehen, aus der aber keine Information rauskommt", sagt ein Insider.

Eigentlich haben die Tennis-Korruptionsjäger starke Instrumente zur Hand: Sie kennen die eng getakteten Turnierpläne, wissen etwa, ob ein Spieler ein Match verlieren muss, weil er sonst das gebuchte nächste Event nicht erreicht. Sie kennen die Investoren hinter manchen Spielern und wissen, ob kriminelle Figuren darunter sind. Sie dürfen im Verdachtsfall Handys, Tablets und Laptops der Akteure einsehen; wer sich sträubt, riskiert eine Zwei-Jahres-Sperre. Zuletzt traf es einen polnischen Profi. War der nur Sündenbock?

Immer mehr spricht für den Verdacht, dass die TIU fürs Publikum gedacht war: Seht her, die Tennisbranche tut etwas gegen die Betrugsgefahr im weißen Sport. Offenbar haben die Korruptionsjäger nicht einmal mitgekriegt, dass der neue Millionensponsor bei den Australian Open, ein britisches Wettbüro, während der Matches Online-Wetten anbietet. Dieses "In-Play-Betting" via Handy ist im Smartphone-Zeitalter gang und gäbe, aber nach australischem Recht nicht erlaubt. Nun ermittelt die australische Polizeibehörde AFP.

Die meisten Profis bekommen von den Preisgeld-Millionen gar nichts ab. Wettbetrug sichert den Lebensunterhalt

Tatsächlich kennt die Tennisbranche sehr genau ihr Systemproblem - sogar aus wissenschaftlichen Studien, die die ITF selbst in Auftrag gegeben hat. Eine Erhebung der Universitäten von Victoria (Melbourne) und Kingston (London) und des australischen Tennisverbands über die Saison 2013 ergab Erschreckendes: Nur 1,8 Prozent der männlichen und 3,1 Prozent der weiblichen Spieler konnten den Lebensunterhalt aus Preisgeldern bestreiten. Zugrunde gelegt hatte das Team um Datenanalyst Michael Bane den Betrag von 160 000 Dollar, der für die Teilnahme am Profi-Zirkus inklusive Reisen, Unterkunft, Kleidung übers Jahr anfiel. "Man denkt, mit wachsendem Preisgeld und der verbesserten Präsentation des Tennis leben auch Durchschnittsspieler glamourös", sagte Bane dem Sender ABC. Die Studie zeigt das Gegenteil: Nur 160 der 8874 Männer und 150 der 4862 Frauen fuhren überhaupt einen Profit ein; die Hälfte verdiente kein Preisgeld. Und das, obwohl bei den Männern 150 Millionen Euro und bei den Frauen 110 Millionen ausgeschüttet wurden.

Das Problem ist also nicht ein Defizit an Prämien, sondern die Art, wie sie verteilt werden. 92 Millionen Euro Preisgeld (61 Prozent) kassierten die Top 50 bei den Männern, bei den Frauen strichen die Top 50 die Hälfte aller Prämien ein. Die Studie folgert, die Funktionäre müssten die Überlebensfähigkeit ihrer Profitour dringend unter dem Aspekt überprüfen, dass fast alles Preisgeld einer Handvoll Stars zufalle, die ihren Unterhalt auch aus Werbegeschäften bestreiten könnten. Die Wissenschaftler plädieren für eine bessere Verteilung, und das gar nicht mal wegen der evidenten Betrugsgefahr: "Die Quintessenz ist, dass Talente verloren gehen, weil sie ihre Rechnungen nicht zahlen können. Auf Dauer leiden darunter der Sport und die Fans."

Im März 2015 wollte die ITF die Studie für eine Überprüfung von Preisgeldstruktur und Nachwuchsentwicklung heranziehen. Passiert ist nichts. Nun liefert das Papier wichtige Erklärungshilfen: für Manipulationsmotive, besonders unterhalb der Helden-Ebene. Dort, wo es um verschobene Spiele oder Sätze geht, die am Schalter zwei- oder dreitausend Euro bringen, habe sich ein zentraler Nebenerwerb entwickelt, schließen Wettfahnder aus ihren Daten. In einem Geschäft, in dem Punktesammler ständig auf Achse sein müssen, entscheiden tausend Euro hier und da schon darüber, ob einer per Businessclass zum Event fliegt - oder auf Umwegen in der Holzklasse; ob er im Hotel logiert oder im Campingbus. So dienen ergaunerte Wetteinkünfte in der Alles-oder-nichts-Logik des Tennis nicht einmal der Selbstbereicherung, sondern nur der professionelleren Matchvorbereitung.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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