Werner Lorant in Zentralanatolien:Schäfer mit Kanga-Rudel

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Der einstige Erfolgstrainer von 1860 München ist nach vielen Stationen in der fußballerischen Peripherie gelandet.

Tobias Schächter

Sivas ist eine Stadt mit 250.000 Einwohnern in Zentralanatolien, 250 Kilometer östlich der türkischen Hauptstadt Ankara gelegen. Im Mittelalter eroberten die Seldschuken die Ansiedlung, und seit Mustafa Kemal, genannt Atatürk, im Jahre 1919 einen Kongress in Sivas abhielt, auf dem die Befreiung des Landes von den europäischen Besatzungsmächten generalstabsmäßig geplant wurde, hat die Stadt auch einen Platz in den Annalen der jungen Republik.

Der Drillinstructor aus Zentralanatolien: Werner Lorant. (Foto: Foto: dpa)

Berühmt ist die Region Sivas aber vor allem für die Zucht so genannter "Kangas", riesengroßer Hirtenhunde. Seit diesem Sommer kläfft auch Werner Lorant in Sivas, denn zum ersten Mal ist der örtliche Fußballklub Sivasspor stolzes Mitglied der ersten Liga.

Die Rückkehr des Brachialtrainers in die Türkei zum anatolischen Außenseiter wurde in den türkischen Medien mit ausgiebigem Hohn für Aziz Yildirim, den Präsidenten von Fenerbahçe Istanbul, begangen. Der hatte Lorant im Januar 2002 für den Lieblingsklub von Staatsgründer Atatürk verpflichtet.

"Sieh her Fener, für Sivas ist Lorant gut genug, aber für Fenerbahçe?", höhnte der Chor der Medien bei Lorants Ankunft im Juni. Im türkischen Fußball dreht sich alles um die großen drei Klubs aus Istanbul, Fenerbahçe, Galatasaray und Besiktas, die Mannschaften aus Anatolien werden nur als Staffage gesehen.

Das Bild des mittlerweile 57 Jahre alten Lorant ist in der Türkei ambivalent, auch bei den Fenerli, den Anhängern Fenerbahçes. Einerseits lächeln die ironisch ob der harten Methoden des Disziplinfanatikers.

Andererseits hängen noch heute in vielen Tante Emma Läden Istanbuls Bilder jener von ihm trainierten Mannschaft, die am 6. November 2002 den großen Rivalen Galatasaray 6:0 bezwang - ein historischer Erfolg, der höchste in der Derby-Geschichte.

Bemerkenswert erfolglos

Und da im türkischen Fußball Siege in Derbys genauso viel zählen wie Meisterschaften, besitzt Lorant einen Ehrenplatz in der Historie Fenerbahçes. Vergessen wird da gerne das Theater um den argentinischen Superstar Daniel Ortega, den Lorant vergraulte.

"Niemand ist größer als der Coach", sagte Lorant zu seinem Streit mit dem damals teuersten Einkauf der Vereinsgeschichte und musste nur kurze Zeit später lernen, dass in der Türkei in Wahrheit niemand größer ist als der Präsident. Aziz Yildirim feuerte den bemerkenswert erfolglosen Deutschen nach nur zehn Monaten im Dezember 2002.

Die Halbwertszeit Lorants ist bei seinen folgenden Stationen nicht gerade gestiegen. Beim Zweitligisten LR Ahlen ist Lorant, der einst bei 1860 München eine fast zehn Jahre dauernde Ära begründete, nach nur sechs Monaten wieder gegangen.

Es folgten zehn Monate beim FC Incheon in Südkorea. Zuletzt aber hielt er sich gerade mal zwei Monate bei Apoel Nikosia auf Zypern. "Kommunikationsprobleme", gab der Präsident Apoels als Trennungsgrund an.

Nun also Sivasspor. "Wir wollen uns in der Liga etablieren", sagte Lorant zu Saisonbeginn, als er den Aufstiegstrainer Ismail Kartal ablöste. Nach bisher 14 Spielen ist dies dem Kanga-Rudel unter der Obhut des weißmähnigen Schäfers prächtig gelungen.

Mit 22 Punkten steht Sivasspor auf Platz fünf in der Tabelle und gilt mit nur 14 Gegentoren als abwehrstarker und unbequemer Gegner. 27 Profis tanzen nach der Pfeife Lorants. Auch drei Brasilianer sowie je ein Spieler aus Kamerun, Australien und Israel sind darunter.

Staffage in der SüperLig

In Deutschland bekannt sind der Kameruner Raymond Kalla, der beim VfL Bochum spielte und Cem Karaca. Dieser kickte einst mit mäßigem Erfolg für Frankfurt, Kaiserslautern und St. Pauli. Am vergangenen Wochenende gelangte der 29-Jährige aber zu zweifelhafter Berühmtheit.

Es war Karacas Unterleib, der beim Spiel gegen Besiktas von Ailtons Tritt getroffen wurde. Diskutiert wurde anschließend in den Medien aber nicht über Karacas Schmerzen, sondern darüber, ob Ailton mit dieser Tätlichkeit seinen Abgang von Besiktas beschleunigen wollte. Sivas dient eben doch nur als Staffage in der Seifenoper SüperLig.

Wie lange Werner Lorant noch in der fußballerischen Peripherie bellt, ist ungewiss. Sein Vertrag läuft ein Jahr, mit der Option, diesen zu verlängern. Das neue, 16.000 Zuschauer fassende Stadion ist bei jedem Spiel gut besucht. In Sivas herrscht Euphorie.

Der Drillinstructor aus Zentralanatolien, dem ein deutschsprachiger Co-Trainer und ein Übersetzer zuarbeiten, betont aber immer wieder, eine Freigabeklausel für Deutschland zu haben.

Der undurchsichtige Geschäftsmann und Präsident von Sivasspor, Mecnun Otyakmaz, will Lorant aber nicht ziehen lassen. In Sivas sind sie stolz auf den Trainer aus Deutschland. Schließlich, und das ist, was auch in Sivas zählt, hat der schon einmal das große Fenerbahçe trainiert.

© SZ vom 1.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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