Werder rutscht weiter ab:Ohne Mumm und Männer

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Ausgerechnet im Nordderby steuert der SV Werder auf seinen nächsten Tiefpunkt zu. Die 1:3-Heimniederlage wirft grundsätzliche Fragen auf. Trainer Viktor Skripnik denkt laut über Verstärkungen nach.

Von Frank Hellmann, Bremen

Es sah ein bisschen nach Abwehrhaltung aus, wie sich Viktor Skripnik nach dem offiziellen Teil der Pressekonferenz am weißen Tisch im Mediensaal des Weserstadions positionierte. Das Kreuz durchgedrückt, die Arme aufgestützt. Wer wollte, konnte daraus eine gewisse Standfestigkeit ableiten, die der Trainer des SV Werder wohl auch die kommenden Wochen benötigen wird. "Wir sind selber frustriert. Wir haben in Wolfsburg eine klare Klatsche bekommen, und dann passiert in der ersten Halbzeit leider dasselbe wieder."

Tatsächlich haben die Bremer drei unterirdische Halbzeiten aneinandergereiht, was in der Konsequenz bedeutete: Der blamablen 0:6-Abreibung beim VfL Wolfsburg folgte nun eine bittere 1:3-Heimpleite gegen den Hamburger SV. "Das ist sehr unangenehm für uns", wusste Skripnik selbst, schließlich ist für den gemeinen Werder-Fan fast alles erträglich - nur nicht eine Lehrstunde im eigenen Stadion gegen den ungeliebten Rivalen.

Fünfte Heimniederlage hintereinander

Den 0:2-Pausenrückstand quittierte das Publikum bereits mit einem gellenden Pfeifkonzert. Dass die Stimmung nicht vollends kippte, lag daran, dass Anthony Ujah eine forsche Phase nach dem Wechsel mit dem 1:2-Anschlusstreffer krönte (62.), doch keine sechs Minuten später traf Nicolai Müller gegen das viel zu weit aufgerückte Werder-Team zum 1:3. "Wir haben im richtigen Moment den Gnadenstoß gegeben", sagte HSV-Trainer Bruno Labbadia, der mit Kollege Skripnik in den 90er Jahren gemeinsam für zwei Spielzeiten das grün-weiße Dress trug. Auch deshalb erinnerte Labbadia wohl daran, dass noch vor einem halben Jahr die Gefühlslage gänzlich umgekehrt war.

Die Leidensfähigkeit der Bremer Fans wird in diesen Tagen mit dem dritten Tor vom Hamburger Nicolai Müller (l.) mal wieder auf die Probe gestellt. (Foto: imago)

Damals musste er auf der Heimfahrt die düsteren Gedanken verdrängen, während sich Skripnik bereits als Retter feiern konnte. Doch nun steuert Werder in der Hinrunde auf eine sorgenvolle Bilanz zu: Fünf Heimniederlagen in Serie sind ebenso ein Armutszeugnis wie die Vorstellung nach dem frühen 0:1 durch Ivo Ilicevic (3.). "Unsere Mannschaft hat danach komplett den Faden verloren", klagte Geschäftsführer Thomas Eichin. Nicht nur er vermisste danach "Mut und Zweikampfstärke". Letztlich habe Hamburg als "die cleverere und selbstbewusstere Mannschaft" unter dem Strich völlig verdient gewonnen, "wir haben erst mit dem Mut der Verzweiflung alles reingeworfen".

Doch es fehlte nicht nur an der passenden Haltung, sondern es mangelt auch an der nötigen Qualität im dünn besetzten Kader. "Drei ganz, ganz wichtige Spiele" (Eichin) beim VfB Stuttgart, gegen den 1. FC Köln und bei Eintracht Frankfurt stehen für die auf Talfahrt befindlichen Bremer in der Bundesliga noch an - dann werden Skripnik und Eichin gemeinsam Bilanz ziehen.

Eichin meidet eine Trainer-Diskussion - auch weil die Klub-Kasse leer ist

Der Manager wollte am Samstagabend partout keine Trainerdiskussion führen ("Gibt es auch nach dem Stuttgart-Spiel nicht"), sondern gemeinsam möchte man ausloten, ob das Aufgebot aufgefrischt werden muss. Um seinen Job zu behalten, sollte der 46 Jahre alte Ukrainer aber nicht noch drei weitere Niederlagen bis zur Winterpause moderieren müssen. Derzeit wird hinter den Kulissen eher darüber debattiert, wer denn im nächsten Jahr noch weiterhelfen könnte. Das Problem: Die Kasse ist leer, Millionentransfers sind kaum möglich.

Im vergangenen Winter hatten die Hanseaten in einer ähnlich prekären Lage beispielsweise Jannik Vestergaard als Abwehrchef verpflichtet und damit einen Glücksgriff gelandet. Skripnik deutete an, dass erneut Zugänge helfen sollen. "Jede Mannschaft will sich verstärken. Wir müssen schauen, wen wir kriegen können. Ich bin aber fest überzeugt, dass sich etwas in diese Richtung bewegt."

Mängel in allen Mannschaftsteilen

Dabei bestände nach derzeitigem Eindruck beinahe Bedarf in allen Mannschaftsteilen. Die Bremer Abwehr wirkte wacklig, das Mittelfeld um den derzeit völlig indisponierten Antreiber Zlatko Junuzovic entwickelte zu wenig Ideen, der in Ujah und Claudio Pizarro prominent besetzte Angriff zeigte zu selten Durchschlagskraft. Im Grunde können die Hanseaten froh sein, wenn sie nach dem 17. Spieltag auf jene 17 Zähler wie nach der Vorsaison kommen. "Der HSV war giftiger als wir", kritisierte denn auch der von seinen Vorderleuten nicht nur einmal sträflich im Stich gelassene Torwart Felix Wiedwald. Das frühe Gegentor habe alles über den Haufen geworfen, und als dann auch noch der stark spielende Michael Gregoritsch mit einem von seinem Landsmann Junuzovic abgefälschten Freistoß zum 0:2 traf (27.), schien sogar ein Debakel für die Heimelf möglich.

"In der zweiten Halbzeit sind wir dann endlich aufgewacht", sagte Wiedwald, "aber wir müssen kollektiv ein ganzes Spiel kämpfen, kratzen, beißen." Eigentlich hätten sich Bremens Berufsfußballer nur ein Beispiel an der Bremer Polizei nehmen können. Die hatte bei der 103. Bundesliga-Auflage des norddeutschen Evergreens ein wachsames Auge und konnte die gefürchteten Ausschreitungen nach Angaben ihres Sprechers Dirk Siemering weitgehend unterbinden. "Die Fans, die stören wollten, konnten wir aufhalten." Was die Bremer an diesem Tag störte, das war der SV Werder.

© SZ vom 29.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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