Werder Bremen:"Hinten nichts, in der Mitte nichts und vorne nichts"

Lesezeit: 3 min

Sehr eigene Gedanken: Bremens Trainer Viktor Skripnik. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Die vom VfL Wolfsburg vorgeführten Bremer tun sich schwer, das 0:6 zu erklären.

Von JÖRG MARWEDEL, Wolfsburg

Er werde am nächsten Tag bei den Spielern "kein Theater machen", sagte Werder Bremens Trainer Viktor Skripnik. Man habe zwar eine richtige "Klatsche" gekriegt und eine "unterirdische" Leistung geboten. Aber es gebe im Leben "doch Schlimmeres als in Wolfsburg 0:6 zu verlieren". Klar, es tue weh, die fünfthöchste Niederlage seit Bundesliga-Bestehen kassiert zu haben, denn "Werder ist seit 20 Jahren mein Verein". Trotzdem sei er "stolz" auf seine Profis. Die Mannschaft habe in anderen Spielzeiten schon mal fünf solcher Klatschen kassiert, nun sei es doch nur eine an 13 Spieltagen. Auf Skripniks Stirn und seinem weitgehend kahlen Kopf glänzte ein wenig der Schweiß, so sehr hatte ihn das Desaster mitgenommen.

Es wirkte skurril, wie der bremische Ukrainer versuchte, vor dem anstehenden Nordderby gegen den Hamburger SV, der in Bremen so beliebt ist wie eine schlimme Krankheit, seine Mannschaft zu schützen und ihr nicht den Mut zu nehmen. Natürlich gibt es angesichts von Terror und Bürgerkrieg in seinem Heimatland Schlimmeres, als 0:6 in Wolfsburg zu verlieren. Aber Skripnik hat offensichtlich Probleme, bei Niederlagen die richtigen Worte zu finden. Schon nach dem neunten Spieltag hatte der deprimierte Coach nach fünf Misserfolgen in Serie über sein mögliches Ende bei Werder philosophiert. Auch diesmal hat er mit seinen Ausführungen eher zur Verwirrung beigetragen. Vielleicht hätte er besser geschwiegen als zu versuchen, zu retten, was nicht zu retten war.

Geschäftsführer Thomas Eichin hat das natürlich professioneller gemanagt. Er hat von einem "Schockzustand" geredet, in dem er aufpassen müsse, nichts Falsches zu sagen. Dann sagte er aber doch etwas: "Da war hinten nichts, in der Mitte nichts und vorne nichts." Da hatte er Recht. In der Abwehr hatte nicht nur Alejandro Galvez, der mit einem Eigentor in der 11. Minute nach Flanke von Christian Träsch das Bremer Drama eröffnete, einen gebrauchten Tag erwischt. Das 20-jährige Eigengewächs Luca Zander war als rechter Außenverteidiger ebenso überfordert wie Santiago Garcia auf der anderen Seite. Beim 2:0 durch Max Kruse (44.) kam Zander mit seinem Kopf ebenso zu spät wie Abwehrchef Jannik Vestergaard. Die anderen Wolfsburger Torschützen Vierinha, Joshua Guilavogui, Bas Dost und wiederum Kruse standen derart frei, als hätte die Werder Abwehr schon resigniert den Rasen verlassen.

Das Mittelfeld, in dem Kapitän Clemens Fritz und Philipp Bargfrede die Defensive unterstützen sollten, hätte wohl kaum schlechter ausgesehen, wenn die alten Haudegen Skripnik, 46, und Thorsten Frings, 39, noch einmal das Werder-Trikot übergestreift hätten. Es fehlte, so Bargfrede, an allem, was das Team zuletzt stark gemacht hatte: "Bereitschaft, Kompaktheit, Überzeugung." Und da auch nicht der peruanische Zauberer Claudio Pizarro helfen konnte, der in der Halbzeit für den indisponierten Zlatko Junuzovic kam, gab es auch vorne nicht viel mehr als zwei halbe Chancen für Fin Bartels.

So viel Freude am Spiel hat Wolfsburg lange nicht gezeigt

Wolfsburgs Geschäftsführer Klaus Allofs, der bis 2012 mehr als 13 Jahre bestimmte, was bei Werder passierte, macht sich angeblich keine Sorgen um seinen früheren Klub. Er hat die indiskutable Vorführung der Bremer als Ergebnis eines Tages, an dem eben nichts geht, eingeordnet. Die Frage, ob man unter dem Manager Eichin in bald drei Jahren wirklich vorangekommen ist, stellt sich mal wieder. Allerdings mit dem Zusatz, dass Eichin beim seit vier Jahren minus machenden Klub über deutlich weniger Geld verfügen kann als einst Allofs. Viktor Skripnik, der anfangs forsche Übungsleiter, mit dem man sich in der vergangenen Saison gar den Europa-League-Plätzen genähert hatte, stellte jetzt klar: "Wir kämpfen gegen den Abstieg."

Die Wolfsburger dagegen sind wieder in der Spur, nachdem Trainer Dieter Hecking und Allofs ihren Angestellten die Leviten gelesen hatten nach den 0:2-Niederlagen in Eindhoven (Champions League) und Mainz. Sie hätten zu wenig von ihrem Potenzial auf den Platz gebracht, ihnen habe Konzentration und Emotion fehlte. So viel Freude am Spiel wie diesmal hat der VfL schon lange nicht mehr gezeigt. Wobei Max Kruse dem Spiel als hängende Spitze den Stempel aufgedrückt hatte. Er zog die Bälle an, leitete sie oft "mit Raffinesse" (Allofs) weiter oder beförderte sie gleich ins Tor. Für seinen Coach ist er bald so wertvoll "wie Kevin". Also den zu Manchester City abgewanderten Kevin De Bruyne. Der hatte, wenn auch in anderer Position, das VfL-Spiel so beschleunigt, dass viele Gegner nicht mehr mitkamen. So wie jetzt Werder. Dort wurde Max Kruse einst ausgebildet.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: