Werder Bremen:Die Meister-Mathematik

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Der Tabellenführer steckt erneut einen Rückstand und einen Platzverweis weg und zeigt in letzter Minute, wie man auch die schlechten Spiele gewinnen kann.

Von Christoph Biermann

Der gefühlsgesättigte Fußball und die kühle Mathematik gelten gemeinhin als kaum verknüpfbar, sieht man einmal davon ab, dass stets die Tore und Punkte zur Herstellung einer Tabelle addiert werden müssen. Es gibt jedoch eine Form von Fußballmathematik, die nach dem 2:1-Sieg des SV Werder Bremen bei Borussia Mönchengladbach den meisten Beobachtern sofort in den Sinn kam.

Fast jeder am Bökelberg machte nämlich reflexhaft folgende Rechnung auf: Höchst mäßig spielen plus auf den besten Angreifer verzichten müssen (bzw. ihn grippekrank nur eine halbe Stunde lang spielen lassen können) plus 20 Minuten in Unterzahl spielen plus Spiel in der letzten Minute noch gewinnen ergibt: So wird man Meister.

Der FC Bayern hat dem Publikum hierzulande diese Rechenweise über Jahrzehnte eingeprügelt. Und so gilt inzwischen eine Wahrnehmung, nach der nicht die beste Mannschaft Deutscher Meister wird, sondern jene, die auch ihre schlechten Spiele erfolgreich gestalten kann. "Es gibt viele Momente in einer Partie, wo eine Mannschaft beschließen kann: Heute ist nicht unser Tag", sagte Thomas Allofs. Mit einem gewissen Stolz konnte Werders Manager feststellen, dass sein Team beim zehnten Spiel ohne Niederlage keinen davon nutzte.

Dabei hätte der erste Moment am Sonnabend schon das Betreten des Spielfelds in Mönchengladbach sein können. "Was da draußen als Rasen definiert wird, ist eine Katastrophe", stöhnte Trainer Thomas Schaaf. Seine Kombinationskicker schalteten jedoch nicht innerlich ab, weil auf der matschigen Holperstrecke ein gepflegtes Kurzpassspiel absehbar unmöglich war.

"Wir haben den Rasen ganz gut angenommen", sagte Mannschaftskapitän Frank Baumann. Also drosch der Tabellenführer den Ball auch mal lang nach vorne, und selbst ein Künstler wie Johan Micoud machte sich das Leibchen dreckig. "Hier musste die Mannschaft kämpferisch alles bieten, und das hat sie gemacht", stellte Allofs zufrieden fest.

Der Mühe gegen schwache Gladbacher entsprangen in einer insgesamt lausigen ersten Halbzeit aber nur wenig Gelegenheiten, und kurz nach der Pause sahen sich die Bremer nach dem Kopfballtreffer von Vaclav Sverkos auch noch in Rückstand. Doch selbst diese Chance, achselzuckend die Köpfe hängen lassen zu können, ließen sie verstreichen und glichen stattdessen durch Ivan Klasnic nur drei Minuten später aus. Die unnötige Gelb-Rote Karte für Mladen Krstajic in der 71. Minute begriffen die Bremer ebenfalls nicht als unüberwindbares Hindernis. "Die Mannschaft hat in Unterzahl die Ordnung gehalten und den Weg nach vorne gesucht", sagte Schaaf.

Der noch sichtlich geschwächte Ailton wirkte nach seiner Einwechselung in der letzten halben Stunde zwar mehr wie ein Darsteller von Torgefahr, als wirklich eine Bedrohung zu sein. Aber sein Eckball in der letzten Minute war es, der dem Siegtreffer von Baumann voranging. Es ehrt die Bremer, dass sie ihren Erfolg nicht überinterpretierten und ihm eine kühle Klasse a la Bayern München zubilligen wollten. "Auf diese Abgebrühtheit sollten wir uns nicht verlassen, wir hatten zwei Mal in einer Woche sehr viel Glück", sagte Baumann.

Trotzdem wird die Werder-Profis nach dem Sieg bei Borussia Mönchengladbach und der späten Wende beim Pokalerfolg in Fürth das beflügelnde Gefühl so schnell nicht verlassen, bis in die letzten Augenblicke einer Partie die Wende zum Guten noch schaffen zu können.

Für die Gladbacher könnte die kleine Mathematik den Schluss zulassen, dass man - bei der Addierung aller Faktoren - so wohl absteigt. Doch Trainer Holger Fach machte nach der ersten Heimniederlage unter seiner Leitung eine andere Rechnung auf: "Es tut mir zwar Leid, so zu verlieren, aber das wird sich im Laufe einer Saison ausgleichen." Dennoch ist mit zwei Niederlagen nach der Winterpause der Konsolidierungskurs unter Fach zunächst gestoppt.

Gegen Bremen hakte es in allen Bereichen: Die Abwehr um den äußerst schwachen Jeff Strasser machte grobe Schnitzer, das Mittelfeld produzierte wenig Ideen, und im Angriff fiel Ari van Lent neben dem agilen Sverkos deutlich ab. "Jetzt müssen wir uns zwei, drei Gedanken machen", meinte Torhüter Jörg Stiel, doch vielleicht wird bei der Borussia ohnehin zu viel nachgegrübelt. "Man konnte sehen, dass die Mannschaft sehr nervös ist und Angst hatte, Fehler zu machen", sagte Fach.

Einer erneuten Prüfung wird das Nervenkostüm am kommenden Samstag unterzogen. Dass sie gerade beim VfB Stuttgart stattfindet, macht die Sache nicht leichter.

© SZ vom 9.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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