Weltsportler, Teil I: Hermann Maier:Der gelbe Engel

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675 Tage ohne den Herminator lähmten den Weltcup - nun schreibt der weltbeste Skifahrer weiter eine Heldensaga.

Ralf Wiegand

Es gibt auf dieser Abfahrt weitaus gefährlichere Stellen als jene, an der es passierte. Die Piste schlängelt sich in scharfen S-Kurven hinunter ins Tal, zwängt sich verstohlen durch enge Schluchten, täuscht Weite vor, wo hinter der Leitplanke ein Abhang gähnt, taucht unter Lawinendächern weg und wächst geschickt an steilen Felswänden entlang. Auf halber Strecke steht ein Denkmal für die Wegebauer, die Pioniere des Straßenbaus waren.

Hermann Maier, der weltbeste Skifahrer aus Österreich. (Foto: dpa)

Hermann Maier ist hundertmal und öfter an dem Häuschen aus Felsstein vorbei gefahren, auch an jenem Abend des 24. August 2001. Es ist leicht nachzuvollziehen, wie ein Gefühl von Freiheit ihn erfasst haben könnte auf dem Sattel seines Motorrades, allein da draußen auf dem Asphalt zwischen den Gipfeln nach einem erfolgreichen Trainingstag. Von hier aus sind es noch gut acht Kilometer, bis das Gebirge die Tauernstraße wieder in die Zivilisation entlässt, bis die Supermärkte und Autohäuser von Radstadt sie säumen, Ampeln den Verkehr regeln, Fußgänger an Zebrastreifen warten - und mit Linksabbiegern zu rechnen ist.

Bis heute ist die Schuldfrage noch nicht abschließend geklärt, und bis heute ist offen, ob Hermann Maier jemals wieder ein so guter Skifahrer wird wie vor jener Kollision mit dem Auto eines damals 73-jährigen Münchners, der links abbiegen wollte, als Maier auf dem Weg vom Trainingszentrum Obertauern nach Flachau auf dem Motorrad zum Überholen ansetzte. Er war bis zu jenem Moment der beste Skifahrer der Welt.

Stoffschweine in Adelboden

Adelboden, vergangenen Dienstag. Der Finne Kalle Pallander fährt im Riesentorlauf mit Startnummer 56 auf Platz 24 und schreibt damit ein Stück Sportgeschichte. Durch Pallanders Lauf fällt Hermann Maier auf Platz 31 zurück, der Österreicher verpasst zum ersten Mal in seiner Karriere den zweiten Durchgang eines Riesenslaloms, weil seine Zeit nicht gut genug ist. Maier blinzelt im Zielraum in die gestochen scharfe Wintersonne und wirkt kein bisschen unglücklich darüber, dass er für den Weg durch die 53 Tore auf dem Chuenisbergli 3,34 Sekunden länger gebraucht hat als der Schnellste. Sein größter Sieg sei es, sagt er, überhaupt hier zu sein. Zwei Mädchen werfen ihm von der Tribüne Stoffschweine zu, solche, wie sie der Fanartikelhandel von Maier selbst vertreibt.

Das Geschäft kommt wieder in Gang, das ist der größte Segen der Maier- Rückkehr in den Weltcup. 675 Tage ohne seinen Dominator waren beinahe zu viel für diesen eigentümlichen Wanderzirkus, der sich schwer tut, den Ruhm seiner Helden über die schroffen Grenzen der Alpentäler hinaus zu tragen. Es mangelt dem Sport an Persönlichkeiten, denen sich die Medien auch dann an die Fersen heften, wenn sie keinen hauchdünnen Rennanzug in Signalfarbe tragen.

In Italien interessiert sich seit dem Rücktritt von Alberto Tomba kaum noch jemand für das Spektakel im Schnee, dort sind Fernsehübertragungen selten geworden, weil der Bonvivant im Zielraum nicht mehr zu wechselnden Damenbekanntschaften abschwingt. In Deutschland plagt sich der Skiverband bei der Sponsorensuche, alpine TV-Rechte werden verramscht. Deutsche Skistars, ehemalige wie Markus Wasmeier oder aktuelle wie Martina Ertl, taugen höchstens als Werbeträger für Brotaufstrich und Quarkspeise. Die Hauptdarsteller dieses Sports sind gesunde Naturbuschen und stramme Mädels, aber selten Charismatiker.

Vom Maurermeister zum Herminator

Damit der Ski-Weltcup nicht Gefahr läuft, zu einer frostigen Marotte von Bergmenschen mit Pudelmützen zu werden, braucht er Typen. Da genügt einem Sunnyboy wie dem Amerikaner Bode Miller schon ein guter Winter, um für den Wechsel zu einem anderen Skihersteller eine Million Dollar Gage verlangen zu können. Die Teenager verehren ihn und hängen sogar in der Schweiz Bode-Plakate an Fußgängerbrücken. Aber in den USA ist auch er ein Unbekannter. Hermann Maiers Jahrhundertsturz von Nagano 1998 jedoch, als es ihn von der olympischen Abfahrtspiste blies wie ein Schlauchboot im Tornado, war ein Quotenbringer auf der ganzen Welt.

Maier ist ein geheimnisvoller Mensch geblieben, das macht ihn besonders. Interviews mit ihm sind selten, seine Trainingsmethoden rätselhaft. Sein Comeback in Adelboden lockte 930.000 Österreicher vor den Fernseher, morgens um 10.20 Uhr bedeutete das einen Marktanteil von 81 Prozent. Eine Illustrierte nahm Wetten an auf sein erstes Abfahrtsresultat am Freitag in Wengen und lobte ein persönliches Telefonat mit dem Herminator als Hauptpreis aus.

Adelboden begrüßte an einem Dienstag 17.500 Zuschauer an der Piste, mehr als je zuvor. Dass Maiers gelber Rennhelm hier im Berner Oberland zum ersten Mal wieder leuchtete, nannte Rennchef Hans Pieren "das größte Geschenk, das Österreich der Schweiz jemals gemacht hat". Der sagenumwobene Aufstieg Maiers vom Maurermeister zum Herminator war schon ein faszinierendes Märchen - sein Kampf um die Rückkehr mit einem 24 Zentimeter langen Nagel im linken Bein aber ist das Kapitel einer Heldensaga.

Der Held und sein Rennfieber

Österreich liebt seine Helden eben, es hat bloß so verdammt wenige davon. Arnold Schwarzenegger lebt weit weg in Hollywood und muss vermutlich täglich üben, um ein sauberes Amerikanisch mit steirischem Dialekt zu behalten. Dem alternden Muskelprotz ist in seiner Heimatstadt Graz das Fußballstadion gewidmet. Der ehemalige Rennfahrer Niki Lauda hat sich durch die Pleite seiner Fluglinie und penetrante Dauerpräsenz als Formel-1-Experte, der gerne mal wegen Erfolglosigkeit irgendwo entlassen wird, seinen eigenen Mythos zertrümmert. Jörg Haider hat abgedankt.

Bleibt Hermann Maier als einzige Identifikationsfigur. Als er verletzt im Krankenhaus lag und die Ärzte erst um sein Leben und dann um sein Bein kämpften, das amputiert zu werden drohte, schickten der österreichische Bundespräsident und der Bundeskanzler Genesungswünsche, und vom ersten Tag an, als Leben und Bein gerettet waren, begann die Diskussion um sein Comeback.

Es heißt, Hermann Maier habe es nicht mehr ausgehalten, allein in den Krafträumen des Olympiastützpunktes Obertauern, "ihn hat das Rennfieber gepackt", sagt Bruno Kernen, ein Schweizer Ski-Idol, "er war nicht mehr zu bremsen", behauptet Andreas Evers, sein Freund und persönlicher Trainer. Einst galt Maier als schier unschlagbar; dass er nun das Risiko eingeht, wie ein fehlerhafter Mensch einen Hang hinunter zu eiern, mit zu wenig Training und zu viel Angst, ist ein Hinweis darauf, dass ihm wirklich etwas fehlte. Geld hat er genug. Er hat Werbespots gedreht und seinen 30. Geburtstag wie ein Popstar gefeiert, hat Hubschrauber zu fliegen gelernt, aber er war nicht mehr Teil dieser kuriosen Karawane Ski-Weltcup.

"Ich bin glücklich, wieder zurück zu sein"

Wohin zieht es Maier da zurück? Das Beispiel Adelboden zeigt die faszinierende Schrulligkeit der alpinen Tournee. In Bauernhäusern aus dem 14. Jahrhundert servieren sie einen Teller Geschnetzeltes für 39 Franken, an den Imbissständen bekommt man Käsefondue und Powerriegel, an den Getränkebuden Wodka Red Bull oder Früchtetee, Kuhglocken verkaufen sich neben Pressluft- Signalhörner.

Die Turnhalle dient als Pressezentrum für 207 Journalisten, die Hotels des Ortes verwandeln sich in Konsulate der angereisten Ski-Nationen: Die Slowakei im Hari, Italien im Viktoria, Österreich im Adler, Deutschland im Bären. Heute hier, morgen da, und jeden Tag der Blick zum Himmel, ob das Wetter hält. "Ich bin glücklich, wieder zurück zu sein", sagte Hermann Maier, nachdem er an einem Seil zur Startnummernauslosung auf die große Bühne mitten in Adelboden geschwebt war wie ein Engel. Ein Engel mit gelbem Helm.

Das Kraftpaket aus dem Salzburger Land

Maier sei weicher geworden, ernster, bescheidener, sagen die, die ihn seit Jahren beobachten. Mehr als die Hälfte der österreichischen Skifans erwarteten ihn laut einer Umfrage unter den besten Zehn in Adelboden, fast 20 Prozent sogar auf dem Podest. Von ihm selbst - kein Wort darüber. Den von seinen Sponsoren und vom Verband betriebenen Spekulationen um seine Rückkehr begegnete er stets skeptisch, er hatte die Schmerzen, nicht die.

Früher war das anders. Für seine Kollegen im österreichischen Team war das Kraftpaket aus dem Salzburger Land eine ewige Provokation. Niederlagen führte er immer auf eigene Schwäche, nie auf die Stärke des Gegners zurück. In Flachauer Restaurants soll er die Rechnung schon mal mit dem Hinweis auf seinen immensen Werbewert für die Region beglichen haben, und beim Après Ski nach einem Wettkampf tauchte er zwar manchmal im Rennanzug in der Disko auf, aber ohne Geld, obwohl zu seinen besten Zeiten mehr als die Hälfte der Summe, die der österreichische Skisport akquirierte, in das Unternehmen Herminator floss.

Der Österreichische Ski-Verband (ÖSV) stellte ihm einen Pressewart zur Seite, der so hartnäckig im Verweigern von Auskünften und Arrangieren von Gesprächsterminen ist, dass er jetzt "Mister Njet" heißt. Und für PR-Termine während der Rekonvaleszenz wählte das Maier-Team gerne Renntage, um mit drei Schwüngen auf einem Übungshang den anderen die Show zu stehlen.

Der Herminator bewegt nicht nur Österreich

All das ist geduldet worden und wird es auch jetzt. Im besten Ski-Team der Welt wird bis zur WM in St. Moritz in zwei Wochen darüber debattiert werden, ob Maier mitfahren soll oder nicht. Peter Schröcksnadel, der Präsident des ÖSV, ist gleichzeitig Maiers Vermarkter. Er weiß um die Sogwirkung seines Klienten für den Sport.

Maier bewegt nicht nur Österreich, er ist das größte Argument im Kampf um Marktanteile. Und wenn es nichts wird mit der WM, ist wenigstens der Boden für das nächste Geschäft bestellt. "Das Hermann-Maier-Trainingsprogramm" kommt demnächst in den Buchhandel.

Porträt Geboren: 7. Dezember 1972 in Altenmarkt/Österreich. Wohnort: Flachau/Österreich. Verein: USC Flachau. Karriere: Erster Weltcup-Start am 10. Februar 1996 beim Riesenslalom von Hinterstoder (Platz 26). Erster Weltcup-Sieg am 23. Februar 1997 beim Super-G von Garmisch-Partenkirchen. Olympiasieger 1998 in Nagano in Super-G und Riesenslalom, danach erster Gesamtweltcupgewinn. 1999 Weltmeister von Vail in Super-G und Abfahrt. 2000 Gesamtweltcupgewinner mit Weltrekord von 2000 Punkten. Bei der WM 2001 in St. Anton Zweiter in der Abfahrt, Dritter im Super-G. Insgesamt 41 Weltcupsiege. Motorradunfall im August 2001. Comeback am 14. Januar 2003 (Platz 31).

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