Weltrekord im Zehnkampf:In der Heimat ist es doch am schönsten

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2014 hatte Ashton Eaton dem Zehnkampf den Rücken gekehrt, um 400 Meter Hürden zu laufen. Bei seiner Rückkehr zum Mehrkampf verbesserte er seinen Weltrekord.

Von Johannes Knuth, Peking

Peking - Michael Schrader ist ein wenig befangen in dieser Sache, aber das hält ihn jetzt nicht davon ab, diese Frage zu beantworten. "'Türlich!", sagt Schrader. Ein Reporter hat gefragt, ob der Zehnkämpfer Ashton Eaton dem Sprint-Weltrekordhalter Usain Bolt nicht eigentlich überlegen sei. "Der ist Usain Bolt um Längen überlegen", sagt Schrader also.

Aber er ist halt ein wenig befangen, Schrader, 28, aus Duisburg hat gerade selbst seinen Zehnkampf bei der WM in Peking zu Ende gebracht. Ob es erstrebenswert ist, in seiner Schaffenskraft über einem Usain Bolt eingeordnet zu werden, das ist auch die Frage, aber das ist eine andere Geschichte. Schrader hat es wohl auch eher so gemeint, dass dieser gewisse Ashton Eaton mindestens genauso viel Zuwendung verdiene wie der Spaßsprinter aus Jamaika.

Eaton hatte seinen Zehnkampf gerade immerhin mit 9045 Punkten abgeschlossen. Weltrekord, der erste bei der Leichtathletik-WM in Peking.

Eatons Ego ist nicht gewachsen

Es kann schon sein, dass Ashton Eaton aus Portland/Oregon, 27, der wahre Primus des olympischen Kernsports ist. Von ihm selbst wird man Derartiges nie hören. Eatons Ego ist in all den Jahren nie wirklich gewachsen, im Gegensatz zu seinen Erfolgen. Olympiasieger ist er (seit 2012), Weltmeister war er bereits 2013, am Samstag erneuerte er diesen Status mit diesen 9045 Zählern, sechs mehr als bei seiner Weltbestmarke vor drei Jahren.

Eaton rann 10,23 Sekunden über 100 Meter, sprang 7,88 Meter weit, drückte die Kugel auf 14,52 Meter, überquerte 2,01 Meter im Hochsprung, lief genau 45 Sekunden, so schnell wie noch kein Athlet in einem Zehnkampf, über 400 Meter; er leitete den zweiten Tag mit 13,69 Sekunden über 110 Meter Hürden ein, sein Diskus landete bei 43,34 Metern, daran reihte er 5,20 Meter mit dem Stab, 63,63 Meter mit dem Speer und 4:17,52 Minuten über 1500 Meter.

Meer voller Schmerzen vor letztem Rennen

Gerade die letzte Übung stürzte ihn in ein Meer voller Schmerzen. Eaton hechtete über die Ziellinie, er stand wieder auf, suchte nach Halt, seine Hand langte in die Luft, als spiele er Pantomime. Aber da war nichts. Also setzte er sich wieder hin. "Am Anfang war ich echt am Boden", sagte er über seinen Lauf, "aber ich habe mich dann entschlossen, es den Leuten recht zu machen, die an mich glauben."

Es ist gar nicht so leicht, länger als einen Sommer über eine Disziplin zu herrschen. Eaton hat sich in all den Jahren ein recht simples Rezept ausgedacht, "ich versuche immer, mich selbst zu schlagen", erklärte er am Samstag, das hatte in der Vergangenheit recht gut funktioniert. Er war ja meistens als Bester zu einem Wettkampf angereist.

Plötzlich Hürdenläufer

Vor eineinhalb Jahren fand Eaton dann allerdings, dass es Zeit war, ein wenig Abstand zu schaffen zum zehrenden Mehrkampftraining. Und ein wenig mentalen Druck entweichen zu lassen, der sich nun mal aufbaut, wenn man sich ständig selbst überbieten muss, Anlauf zu nehmen für Peking, die Olympischen Spiele 2016 sowie die WM in London 2017. Eaton brach mit dem Zehnkampf, er wandte sich den 400 Meter Hürden zu.

Eaton hatte die Hürden einmal im Training ausprobiert, ihm gefiel die Herausforderung, sich in ein neues Fach einzulernen. Wenn du was Neues hast, bleiben deine Sinne geschärft, weil du dich darauf konzentrierst, besser zu werden", hatte er damals gesagt, "du fällst nicht in schlechte Gewohnheiten und Routinen." Gleichzeitig wahrte er Altbewährtes, die 400 Meter stecken ohnehin in seinem Grundlagentraining drin.

Im Juni 2014 hatte er sich so weit fortgebildet, dass er den Spezialisten beim Diamond-League-Meeting in Oslo davonlief (49,07 Sekunden), es war das erste Mal, dass ein Mehrkämpfer eine Einzelwertung der Diamantenliga für sich entschieden hatte. Wobei Eaton Wert darauf legt, dass der größte Lerneffekt erst dann einsetzte, als er die Hürden wieder abstreifte. "Als ich gestern bei den 100 Metern den Startblock gestiegen bin, ist mir völlig klar geworden: Das ist es", sagte er am Samstag. "Es war gut, ein Jahr zu pausieren. Weil es mir gezeigt hat, wie sehr ich den Zehnkampf vermisse."

"Er hilft auch den anderen"

Ein wenig hatte es den Anschein, als sei da am Samstag jemand von einer langen Reise zurückgekehrt und merkte nun, wie schön es doch in der Heimat ist. "Er macht nicht nur sein Ding. Er hilft auch den anderen", sagte Rico Freimuth, der hinter Eaton und dem Kanadier Damian Warner (8695) Dritter geworden war und der nun in der Pressekonferenz neben Eaton saß. "Du hast im Zehnkampf folgendes Problem: Zwei Tage, neun Disziplinen und am Ende musst du diesen 1500er rennen. Das verbindet einfach."

Eaton, offenbar beseelt von derart viel Zuneigung, packte noch einen drauf: "Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, wie viele Entscheidungen wir im Leben treffen müssen. Es ist gut zu wissen, dass ich diese Entscheidungen aus den richtigen Gründen treffe." Vielleicht wird er in Zukunft noch einmal etwas Neues ausprobieren, fürs Erste, sagte Eaton, werde er aber beim Zehnkampf bleiben. Die Aussicht ist derzeit ja nicht allzu schlecht.

© SZ vom 30.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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