Weltfußballer des Jahres:Begnadeter Narziss

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Cristiano Ronaldo ist der "Weltfußballer des Jahres". Doch vielen Fans ist der Portugiese zu selbstsüchtig und zu protzig - vor allem in seiner Wahlheimat England.

Raphael Honigstein

Wenn Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro den Ball liebkost, ist der Hass nicht weit. Millionen von Fußballfans, kleinen Mädchen und noch kleineren Jungs liegen dem 23-Jährigen weltweit zu Füßen, in seiner Wahlheimat England aber verweigern ihm die Massen nach fünfeinhalb Spielzeiten standhaft die Sympathie. Zu selbstsüchtig und unbescheiden ist ihnen der Portugiese, zu unbehaart an Beinen und Oberkörper, zu südländisch, vor allem viel zu protzig.

Fußball-Legende Pelé überreicht Cristiano Ronaldo die Trophäe. (Foto: Foto: AFP)

Am Montagabend reiste der Flügelstürmer von Manchester United nach Zürich, um sich von der Fifa zum Weltfußballer des Jahres küren zu lassen. Ein Engländer hat den seit 1991 vergebenen Titel noch nie gewonnen, auch kein in England beschäftigter Profi. Cristiano Ronaldos Hattrick an Auszeichnungen - er hat bereits den "Goldenen Ball" und den Titel der Spielergewerkschaft FIFPro bekommen - bestätigt die Ausnahmestellung der Premier League.

Man könnte stolz sein. An der Basis jedoch überwiegt das Unbehagen, weil der 1,85 Meter große Popstar dem englischen Fußball so ungeniert den Spiegel vorhält. Aus der Blut-Schweiß-und-Tränen-Liga der ehrlich kämpfenden Kollektive ist eine Cristiano-Ronaldo-Liga geworden; ein vom Eigentümer bis zum Zeugwart durchglobalisierter Unterhaltungswettbewerb, wo fremde, gerissene Trickser mit körperlosem Spiel gegen die wenigen verbliebenen Einheimischen reüssieren dürfen.

Der Erfolg ließ die Fans die Entfremdung ertragen, die Rezession bringt den Schmerz zurück. Selbst die seriösen Gazetten berichten seit Wochen böswillig über den weiter florierenden Absatz von Luxuskarossen in den von Fußballern bewohnten Enklaven des Reichtums. Das eigene Haus, die Trutzburg jedes Briten, ist derweil nicht mehr viel wert. Und während die Wirtschaft unter der Last der Schulden an die Wand fährt, steigt Cristiano Ronaldo am Freitag in seinen gerade erst für 220.000 Euro erworbenen Ferrari und baut in einer Autobahnunterführung einen Totalschaden. Er entkommt unversehrt, der materielle Verlust für ihn ist nicht der Rede wert.

"You should have died in the tunnel", du hättest im Tunnel sterben sollen, sangen die mitgereisten Chelsea-Anhänger am Sonntag im Old Trafford, als ihre Mannschaft in der zweiten Hälfte kapitulierte. Das ging über die üblichen Frotzeleien hinaus, es war eine überraschend ernst gemeinte Verwünschung. Den heimischen Fans fiel auf die Schnelle keine Antwort ein.

Auch ihr Verhältnis zu dem mit 42 Toren überragenden Spieler der vorigen Saison hat sich abgekühlt, seit der Junge von der Insel Madeira nach der Europameisterschaft einen Wechsel zu Real Madrid forcierte. Das beliebte Lied "Viva Ronaldo!" hat auf der Tribüne "Viva John Terry!" Platz gemacht; United-Fans lassen Chelseas Kapitän für den verschossenen Elfmeter im Champions-League-Finale von Moskau hochleben.

Wechselt er nach Madrid?

Cristiano Ronaldo war wie sein Team vor der Pause keineswegs überzeugend. Hinter der Pressetribüne raunten die Zuschauer, als er mit unnötigen Hackentricks Kollegen in die Bredouille brachte. Chelsea ließ hübsch den Ball laufen, stand sich aber erst selbst im Weg und später nur noch reglos in der Gegend herum. Ohne Konzept und Kampfkraft ließ sich Chelsea von United 3:0 bezwingen. "Wenn wir so spielen, haben wir mit der Meisterschaft nichts zu tun", urteilte Luiz Felipe Scolari ernüchtert.

Chelseas Trainer machte mentale Müdigkeit für die schwachen Leistungen der vergangenen Wochen verantwortlich - nur drei von elf Spielen konnten gewonnen werden. Am Sonntagmorgen hatte ein mutmaßlich von Diego Maradona ausgelöster Feueralarm im Teamhotel die Londoner früh aus den Betten geholt, doch Chelseas Anfälligkeit nach Standardsituationen und der wiederholte Leistungsabfall in den zweiten 45 Minuten weisen auf elementare Trainingsdefizite hin.

Ronaldo kam ebenfalls nicht so richtig in die Gänge, doch für den begnadeten Narziss auf der Außenbahn reichte es immerhin noch zu einer Torvorlage und zwei fälschlich aberkannten Treffern. Den Hass des um Identitätsverlust bangenden Inselstamms wird er im Sommer wohl hinter sich lassen und seinen Traum vom königlichen Trikot verwirklichen. Auch in Spanien dürfte er dominieren, dabei aber doch nie ganz so gut sein, wie er sich selber sieht. Als er im Mai von den englischen Reportern zum Spieler des Jahres gewählt wurde, sagte er: "Eine gute Wahl von Ihnen. Ich scherze." Das Publikum lachte. Es wusste, dass es gelogen war.

© SZ vom 13.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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