Wahnsinn im Stadion:Die hundert Leute von Block K

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Längst entscheiden die gewaltbereiten Fans über die Zukunft des Traditionsvereins Dynamo Dresden.

Juan Moreno und Javier Cáceres

Vermutlich ist es von der Verzweiflung zur Kapitulation nicht weit, nur ein Schritt, sie sind ein wenig verwandt. Trotzdem sagen die Leute lieber, dass sie verzweifelt seien, als dass sie aufgegeben hätten. Kapituliert wird nicht, nicht im Leben, schon gar nicht im Fußball. Kratzend untergehen, das ist das Mindeste. Kapitulation ist das, was übrig bleibt, wenn man der Niederlage die Würde nimmt.

Fans oder Krawall-Macher? In Dresden kaum zu unterscheiden. (Foto: Foto: dpa)

Vielleicht geht es Jochen Rudi nur noch darum. Um die Würde. Rudi ist Präsident von Dynamo Dresden, dem großen Traditionsverein der DDR. Acht Mal Meister, sieben Mal Pokalsieger, Sammer, Kirsten, Dörner, Geyer, sie alle haben dort gespielt. Der Verein mit den meisten Fans im Osten, und dieser Verein ist nun in den Händen von Chaoten, von Ultras. Rudi möchte das nicht zugeben, aber er wird im Laufe des Gesprächs sagen, dass er nicht mehr weiter weiß, dass es eine Gruppe im Fanblock gäbe, die man nicht im Griff habe, dass sie alles versucht hätten, um sie zu stoppen, dass er seit einiger Zeit am Telefon bedroht werde, dass es das Ende sei, wenn Dresden wegen Ausschreitungen Punkte abgezogen bekommt und nicht aufsteigt. Im Grunde ist es nicht wichtig, ob Rudi nach all diesen Sätzen auch noch zugibt, dass er den Fans ausgeliefert ist. Es macht keinen Unterschied.

Seit über vier Jahren ist Rudi Präsident von Dynamo Dresden, vermutlich wird er bald abgewählt werden. Die Mitglieder von Dynamo Dresden sammeln gerade Unterschriften gegen ihn. Er hatte sich vor ein paar Wochen, nachdem es wieder einmal zwischen Fans aus Dresden und der Polizei geknallt hatte, auf die falsche Seite geschlagen, auf die einzige Seite, die der DFB akzeptiert, die Seite der Polizei. Die Treuesten der Treuen hatten sich in Berlin gegen die zweite Mannschaft von HerthaBSC mal wieder wie die Dümmsten der Dummen benommen.

Es gab Verletzte, Verhaftungen, Randale, es war wie immer, wenn ein bisschen was zusammenkommt. Der falsche Gegner, etwas Frust, zu viel Alkohol, zu wenig, dafür zu forsche Polizei, die in Berlin nicht gerade als friedensbewegt gilt. Seit der Wende kommt leider recht häufig in Dresden ein bisschen was zusammen. Vor einigen Wochen hatte es Ärger mit Magdeburg gegeben, davor Lübeck, davor Hannover, davor München, davor Karlsruhe, davor Pauli, davor Leipzig, davor Cottbus, davor Erfurt, davor Berlin, es gab sehr viele Davors. Und es wird Danachs geben, und das kann das Ende von Dynamo Dresden sein.

Am Donnerstag hat der DFB dem Verein Dynamo Dresden eine letzte Chance gegeben. 15000 Euro Geldstrafe für die Ausschreitungen in Berlin. Das ist keine Strafe, das ist ein Witz, eine Warnung, ein Geschenk. Allein das Werfen eines Feuerzeugs auf das Spielfeld kostet einen Verein normalerweise 4000 Euro, eine Rakete 6000 Euro. Dafür gibt es Listen. Dresden steht unter Beobachtung. Kracht es noch ein Mal, randalieren die Fans noch ein Mal, gibt es Punktabzug oder Geisterspiele. Dresden kann sich beides nicht leisten. 5,3 Millionen Euro Etat hat Dresden, ein Spitzenetat in der Regionalliga Nord, mehr ein Versprechen, als ein Etat. Den Sponsoren, den Fans, der ganzen Stadt wurde versprochen, dass man nach den Abstieg aus der 2. Liga sofort wieder aufsteigt. So hat man auch kalkuliert. Ein Mal kann man sich so einen Etat in der Regionalliga leisten, es darf nichts dazwischen kommen, und falls doch, ist nicht nur Jochen Rudi der Meinung, dass sich Dresden davon nicht mehr erholt.

Vermutlich weiß der Präsident wirklich nicht, wie es dazu kommen konnte. Auf seiner Visitenkarte steht, dass er in einem Fahrzeugwerk arbeitet und mit Immobilien zu tun hat, ein langer, schlaksiger Mann, der zu bunte Hemden und zu getönte Brillen trägt und ab und an Sätze mit den Worten beginnt: ,,Wie ich so schön zu sagen pflege.'' Rudi pflegt zu sagen, was viele sagen, wenn man sie nach Erklärungen für die Gewalt fragt. Die Gewalt sei ein gesellschaftliches Problem, kein Dresdner, kein Fußballproblem. Arbeitslosigkeit, Wendeverlierer, Hartz IV, das soziale Netz, viele fallen in Dresden und dem Umland durch, und wenn man Rudi eine Weile zuhört, glaubt man, dass die meisten nach dem Fall direkt in Dynamos Fankurve aufschlagen.

Erklärungen gibt es so viele, wie es Ausschreitungen gibt, manche stehen auf T-Shirts im Fanblock. ,,24 Stunden Gewalt, 90 Minuten Hass, wegen 50 Jahren Terror.'' Die vor 17 Jahren untergegangene DDR, die nie 50 Jahre alt wurde, soll Schuld daran sein, dass heute 16-Jährige Stadien auseinandernehmen?

Geschichte und Geschichten, davon hat kaum ein Verein mehr. Manche handeln von Mielke, dem Chef der Stasi, der Dresden hasste. Sein Lieblingsverein BFC gewann regelmäßig gegen Dresden, trotzdem jubelten die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik den Verlierern zu. Ehemalige Spieler erzählten, dass es in den Jahren vor der Wende für Dresden eigentlich nur um zwei Dinge gegangen sei. Zum einen darum, hinter dem BFC Zweiter zu werden. Der Stasi-Klub wurde von den Schiedsrichtern bevorzugt. Elfmeter wurden gegeben, manchmal wurde auch einfach so lange gespielt, bis der BFC endlich das Tor traf. Es war aussichtslos die Meisterschaft in den Achtzigern gewinnen zu wollen. Eine anderen Sache war der Pokal. Das war das zweite Ziel. Das Finale wurde live übertragen, die gesamte DDR schaute zu, da konnten die Schiedsrichter das Spiel nicht ganz so offensichtlich verpfeifen. Versucht wurde es dennoch.

Eine der lustigsten Geschichten ist die mit Lenin. Nachdem im Uefa-Cup Dresden gegen Spartak Moskau ausgelost wurde, fuhren einige Dresdner zum Auswärtsspiel in die Sowjetunion. Betrunken rannten sie über den Roten Platz, an den Hunderten Wartenden vor Lenins Mausoleum vorbei, bis zur Kasse, und erklärten dort, dass sie jetzt mal den Herrn Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, mit zum Erstrundenspiel Spartak Moskau gegen Dynamo mitnehmen würden. Kurz darauf wurde das Mausoleum aus Sicherheitsgründen geschlossen.

Dresdner Fans galten aber nie als besonders gewalttätig. Die Stasi protokollierte die Ausschreitungen bei Oberligaspielen. Union Berlin war vorne dabei, Chemie Leipzig auch, Dresden war im Mittelfeld. Die Ausschreitungen von BFC-Fans wurden übrigens nie gezählt.

,,Wir können nicht mehr machen'', sagt Rudi nach einer Weile. Stadionverbote, Personenkontrollen, Austausch des Ordnungsdienstes, Kooperation mit der Polizei, alles probiert, und nun stehe man mit dem Rücken zur Wand. Dabei seien es nur hundert Leute, nur ein kleiner Teil der Fan, seien das Problem.

Hundert Leute. Etwa vier Schulklassen, und die stehen seit Jahren immer in Block K, und zwar jeden zweiten Samstag im Monat, von 14 bis 16 Uhr, und man kriegt sie nicht?

,,Sagt mir die Namen, habe ich zwei älteren Fans gesagt, die bei allen Spielen dabei sind. Sagt sie mir, wir sperren die für immer weg. Und die schauten mich an und sagen, wenn wir das tun, sind wir dran. Also haben sie geschwiegen. Die verbreiten Angst. Was sollen wir machen? Nichts, wir können nichts machen. Wir wissen doch auch nicht weiter.''

Stefan Krahl findet, dass der Verein durchaus etwas machen könnte, das aber nicht macht. Auch weil das Geld fehlt. ,,Die brauchen jeden Euro, die sind so knapp, die rechnen in Hundertern.'' Krahl ist seit zwölf Jahren szenekundiger Beamter. Er hat die Zeiten erlebt, als Dynamo nach der Wende in der Bundesliga spielte, den Zwangsabstieg in die Amateurliga und die Erholung seit einigen Jahren. Krahl war immer dabei, bei seinen erlebnisorientierten Fans. Und irgendwie sieht Stefan Krahl selbst nach erlebnisorientiertem Zivilbeamten aus. Sehr kurz geschorene Haare, kurzärmliges, kariertes button-down-Hemd, schwarz-rot-goldenes Armband. Bei den Einsätzen trägt er manchmal eine Thor-Steinar-Jacke. Würde er mit einer solchen Jacke ins Berliner Olympiastadion wollen, käme er nicht rein. Hertha BSC hat letzten Monat per Pressemitteilung bekannt gegeben, dass Leute mit solcher Kleidung nicht ins Stadion dürfen. Thor Steinar gilt als die Lieblingsmarke von Neonazis.

,,Ich habe Fußball nie sonderlich gemocht'', sagt Krahl. Jetzt reist er zu den meisten Spielen, legt Einsatzzahlen fest, schätzt Risiken ab, versucht vorbereitet zu sein. Er sitzt in der Polizeidirektion an einem Sperrholztisch und sagt, der Vorgang in Berlin falle aus der Reihe. Die Gewalt sei in Dresden zurückgegangen. ,,Viele Spiele sind mittlerweile richtig entspannt.'' Auch Krahl kann keine genauen Zahlen nennen. Aber seine sind größer als die von Rudi. Die Erlebnisorientierung wird bei der Polizei in drei Klassen eingeteilt.

A-Fan, B-Fan, C-Fan. Die C-Jungs suchen Gewalt, der harte Kern. Davon hat Dynamo etwa hundert, Durchschnitt. Gruppe B ist gewaltgeneigt, etwa 500, die machen mit, wenn es Keile gibt, und gerade nichts besseres ansteht, Gelegenheitsprügler. Das Problem in Dresden, und das, was diesen Verein von den anderen unterscheidet, sind die A-Fans, die eigentlich friedlich sind, sich aber mit B und C solidarisieren, wenn die Polizei in den Block kommt.

Diese Gruppe hat etwa 1400 Leute, was in der Summe 2000 macht. 2000, die unter bestimmten Umständen völlig durchdrehen. Wie es aussehen kann, wenn 2000 Spinner loslegen, welche Verwüstung sie anrichten können, hat Krahl ein Mal erlebt. September 2002, während des Hochwassers. Dresden war überflutet und mit der Stadt auch das Steyer-Stadion des Lokalrivalen Dresdner SC, der für sein Spiel gegen Dynamo ins Rudolf-Harbig-Stadion umziehen musste. Am Abend vor dem Spiel sägten Dynamo-Fans die Zäune an, um sie vor dem Spiel einzureißen und dem DSC keinen Eintritt zu zahlen. Plötzlich griffen sie die Polizeibeamten an. ,,Wir haben um unser Leben gekämpft'', sagt Krahl. Manche Kollege hätten sich verflucht, weil sie keine Schusswaffe eingesteckt hatten. Später seien sie darüber erleichtert gewesen, sie hätten abgedrückt.

Danach wurde das eingeleitet, was dazu geführt hat, dass sich Krahl jetzt bei manchen Spielen entspannen kann. Die Dresdner Morgenpost war einige Tage nach dem Desaster beim Lokalderby mit Fotos von prügelnden Fans gefüllt. Es wurde genauer hingeschaut, es gab 74 Verfahren, es wurde ruhiger. ,,Der Verein tut aber noch immer nicht alles, um die Gewalttäter zu vertreiben. Mir fehlt die klare Positionierung'', sagt Krah. Wie sei es denn zu verstehen, dass der Präsident Rudi sich nach den Ereignissen von Berlin von den Fans distanziert, und der Geschäftsführer das nicht tut und die Polizei verantwortlich macht?

Volkmar Köster ist der Geschäftsführer von Dresden, der wichtigste Mann im Verein, wichtiger als Rudi. Es dauert einen Weile, bis er erklärt, wie seine Kritik an der Polizei zu verstehen ist. Köster ist ein ruhiger Mann, der immer ein wenig traurig wirkt. Für ihn steht am meisten auf dem Spiel. Köster haftet mit seinem Privatvermögen für den Etat, für die ganzen 5,3 Millionen, und er ist nicht reich. Er war früher Lehrer.

,,Es stimmt, wir müssen sofort wieder aufsteigen, sonst sehe ich schwarz.'' Seit acht Jahren versucht Köster, dem Verein die Vergangenheit zurückzubringen, jene Zeit, in der im Uefa-Cup gespielt wurde, als es einen noch nicht wahnsinnig machte, den Laden am Laufen zu halten. Das Rudolf-Harbig-Stadion ist gemauertes Präkariat. Wenn an diesigen Spieltagen der MDR auf die Idee kommen würde, Flutlicht zu verlangen, müsste Köster sich entscheiden, ob er seine Mannschaft im Fernsehen sehen will oder das Spiel ohne Anzeigetafel und Lautsprecher-Durchsagen auskommen muss. Das Problem Flutlicht oder Bratwurst? hat er mit Notstromaggregaten gelöst. Das neue Stadion wird vieles leichter machen, sagt Köster. Mittlerweile hat die Stadt beschlossen, es zu bauen. Auch das Regierungspräsidium wird zusagen, das bisher gefragt hat, warum ein privat genutztes Fußballstadion öffentlich finanziert werden muss.. Es wird eine Leitzentrale geben, Videoüberwachung, Sicherheitszellen. Dann werde es leichter, die Fans zu kontrollieren, sagt Köster.

,,Es ist Unsinn zu sagen, dass wir lieber hundert Fans behalten, die ein paar Euro für eine Eintrittskarte bezahlen, und wir die DFB-Strafen zahlen, statt die aus dem Stadion zu werfen. In Berlin hat die Polizei überreagiert, ich würde mich wieder vor die Fans stellen.'' Es stimme , dass die Fans der wichtigste Sponsor seien, aber so weit gehe das nicht.

Es ist nicht ganz klar, wie weit es geht, klar ist, dass viele Ultras, auch ehemalige Hooligans direkten Zugang in die Chefetage haben, und Köster verneint das auch nicht. Manchmal kommen sie einfach bei Köster vorbei und unterhalten sich. Er hat Zugeständnisse gemacht, trifft sich mit einigen, lässt sie das Vereinswappen auf ihre Schals drucken und die Schals im Stadion verkaufen, versucht ihnen seine Situation zu erklären, wirbt um Verständnis. Köster reicht gerade den Leuten die Hand, die ihn durch ihre Randale an den Rand des Ruins gebracht haben. Sie sollen helfen, Dynamo zu retten. Die Fans, und zwar nur die gewaltbereiten, entscheiden über die Zukunft ihres Vereins. So ist der Plan. ,,Dadurch, dass sie sich ernst genommen fühlen, sind die kontrollierbar, glaube ich.''

Köster ist ein guter Präsident und ein ehrlicher Mann, und man wünscht im Glück, man wünscht sich vielleicht sogar, dass Dresden es schafft. Wieder international spielt, wie früher. Allerdings ist Dresden gerade international gesperrt. Das letzte internationale Spiel gegen Roter Stern Belgrad wurde abgebrochen. Wegen Ausschreitungen.

© SZ vom 2.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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