Vor dem Spiel:Hitzeschlacht gegen den Igel

Lesezeit: 3 min

Es ist das Spiel gegen den krassen Außenseiter. Doch die Erfahrung zeigt, dass solche Gegner den Deutschen nicht liegen. Völler erklärt das Lettland-Spiel zur Charakterfrage - Leichtsinn fürchtet er mehr als gegnerische Konter.

Von Ludger Schulze

Kurt Langenbein, August Lenz und Herbert Panse. Ist ein Weilchen her, dass sie die drei Fußballer vom VfR Mannheim, Borussia Dortmund und dem Eimsbütteler TV ihre Tore zum 3:0 gegen Lettland schossen, am 13. Oktober 1935, aber: gutes Vorbild.

Hoffen auf ihren Einsatz: Fredi Bobic und Thomas Brdaric (Foto: Foto: ddp)

Achtundsechzigeinhalb Jahre danach wäre das ein glanzvolles Resultat für ihre Nachfolger im schwarz-weißen Trikot der Nationalmannschaft, das denen eine kommode Position für das letzte Spiel der Europameisterschafts-Vorrundengruppe D gegen Tschechien einrichten würde. Jedes Ergebnis mit mehr als einem Tor Differenz hätte zur Konsequenz, dass gegen die Nedveds, Kollers und Rosicky bereits ein Unentschieden ausreicht, um das Ufer des Viertelfinals zu erreichen.

Derlei Spekulationen und Rechenkunststückchen jedoch sind vom DFB-Teamchef Rudi Völler vor der heutigen Partie gegen die Letten in Porto (Samstag, 17Uhr, ARD live) unter Strafe gestellt worden. Aber den Tenor, den sein Kollege Michael Skibbe angestimmt hat, teilt Völler natürlich: "Wir werden das Spiel auf jeden Fall gewinnen."

Dieses Selbstbewusstsein führt jedoch nicht dazu, das Aufeinandertreffen als intensivierte Trainingseinheit zu betrachten. "Das ist ein Gegner, der uns nicht so liegt", sagt Skibbe, und die Erfahrung lehrt, dass er damit Recht behält. Lettland rekrutiert seine Besten aus lediglich 8000 Fußballern unter 2,3 Millionen Einwohnern, was im Vergleich zu den 6,3 Millionen Mitgliedern des Deutschen Fußball-Bundes eine verschwindende Größe darstellt.

Vorsicht vor Leichtsinn

Diese Minderzahl hat eine trotzig-sperrige Verteidigungshaltung hervorgerufen, die ihre Entsprechung im Tierreich beim Igel findet. Aber auch der kann, sobald er die Möglichkeit wittert, blitzschnell seine Beute packen. "Die Letten haben hervorragende Konterspieler", wirft Völler in die Debatte, "die Nummer 9, Verpakovskis, hat sie im Alleingang zur EM geschossen."

Unter anderem in der Relegation gegen die Türkei (1:0/2:2), als der Mann von Dynamo Kiew die entscheidenden Tore erzielte. Diesen Torjäger zu blockieren, anderseits die eigenen Angriffsbemühungen im Vergleich zum Holland-Spiel (1:1) zu verstärken, ist das Ziel der Deutschen: kontrollierte Offensive.

Wie zäh dergleichen aussehen kann, musste Völler leidvoll in den Qualifikationsspielen gegen die Schaf-Insel Färöer erfahren, als sein Team sich mit Ach und Krach zu Siegen (2:1, 2:0) zitterte. Das mag der Teamchef im Hinterkopf haben, wenn er kämpferische Investition und "Laufbereitschaft" anmahnt und Unwilligen vorsichtshalber für das Tschechen-Spiel einen Sitzplatz auf der Reservebank anbietet: "Jeder Trainer hat ein paar Spieler, die man daran erinnern muss", sich vor jeglichem Leichtsinn zu hüten.

Weil: "Fußball ist oft ein Geduldsspiel, man muss auch mal warten können" - auf das erlösende Tor. Dem will Völler diesmal mit zwei Stürmern nachjagen lassen, wobei Fredi Bobic im Konkurrenzkampf mit Miroslav Klose, Thomas Brdaric und Lukas Podolski einen kleinen Vorsprung hat. Für den zweiten Angreifer muss Mittelfeldspieler Frank Baumann weichen.

Mehr als diese personellen Fragen stellt der Teamchef aber die klassischen Fußballtugenden in den Vordergrund. Weil Portugal derzeit von einem Dauerhoch mit extremen Hitzegraden heimgesucht wird, sollte der Fähigkeit, in der nachmittäglichen Sonnenglut an die körperlichen Grenzen zu gehen, neben der Zufuhr von Getränken erhebliche Bedeutung zukommen. Völler: "Das wird eine Charaktersache."

Gerade in dieser Beziehung setzt Völler auf Michael Ballack, dem in seinem Klub Bayern München lange die Eignung abgesprochen wurden, eine Vorbildrolle einzunehmen. In der Nationalmannschaft aber, betont der Teamchef, habe Ballack diesen Part stets wie selbstverständlich angenommen. "Führungsspieler sind bei uns nicht die," sagt er, "die vor der Kamera rhetorisch gute Interviews geben.

Entscheidend ist auf dem Platz

Echte Führungsspieler beweisen das auf dem Platz", wie Zinedine Zidane. "Ähnlich ist auch Ballack." Zu dieser Ansicht scheint nun auch der FC Bayern gelangt zu sein, was Völler einen inneren Seufzer der Erleichterung tun lässt: "Bei Bayern haben sie mittlerweile auch begriffen, was sie an ihm haben."

Kann Ballack seine Leistung aus dem Holland-Spiel nur annähernd wiederholen, dürften sich die Erwartungen der Letten auf einen fröhlichen Abend schnell zerstreuen. In der Zeitung Diena (Der Tag) hat Trainer Aleksandrs Starkovs jedenfalls seine Hoffnung auf einen deutschen Defekt präzisiert: "Jede Maschine hat manchmal Defekte - das deutsche Spiel hat seine Schwächen."

Das sieht das deutsche Trainerteam fundamental anders. "Wir haben die Möglichkeit, weit zu kommen, weil in unsere Gruppe schon einer der Favoriten fallen wird, denn wir kommen ja ins Viertelfinale", trägt Skibbe vor. Danach stünde den Deutschen Europas Fußballwelt offen: "Wir alle haben ein gemeinsames Ziel - wir wollen unser Haut so teuer wie möglich verkaufen."

© Süddeutsche Zeitung vom 19.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: