Völler zurück bei Bayer:Stacheldraht im Blumenbouquet

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Leverkusens neuer Sportchef Rudi Völler erhält große Kompetenzen - und muss künftig Misserfolge erklären.

Von Christoph Biermann

Irgendwann wurde es Rudi Völler mit der ganzen Gefühlsduseligkeit dann doch zu viel. "Ich will hier nicht auf die Tränendrüse drücken", sagte der ehemalige Teamchef der Nationalmannschaft mit abwehrender Handbewegung und erinnerte daran, dass er immer noch Profi sei. Angesichts mancher Sentimentalität bei seiner gestern auch offiziell vollzogenen Rückkehr zu Bayer Leverkusen war das ein deutlicher Hinweis darauf, dass es bei der Besetzung des neuen Postens eines Sportchefs auch um solch schnöde Fragen wie Geld und Einfluss gegangen war. "Es ist nicht so eine brutal emotionale Entscheidung wie die, in Rom einzuspringen", sagte Völler. Beim AS Rom ("Meine Frau hat immer gesagt: 'Mach's nicht!'") hatte er 25 traumatische Tage lang als Trainer erlebt.

Nach der zügigen Korrektur dieses Fehlers hatte Völler, 44, sich zurückgezogen. In dem für ihn "sportlichen Unglücksjahr 2004", in das auch das Scheitern mit der Nationalmannschaft in der Vorrunde der Europameisterschaft fiel, wollte er keine Entscheidung über seine Zukunft mehr treffen. Es wären ihm zwar "viele Angebote aus dem In- und Ausland" unterbreitet worden, aber zu ernsthaften Verhandlungen sei es nirgendwo gekommen. Zugleich stand das Angebot, das Bayer 04 ihm schon vor seinem Rom-Abenteuer unterbreitet hatte. Es kam dieser Tage wieder auf Vorlage, mit all den emotionalen Untertönen. Eine "nicht logische Entscheidung" nannte Völler deshalb sein Engagement als Sportchef bis 2007; er ließ sich mehr von Gefühlen leiten. Offensichtlich machten ihn die richtige Offerte und das richtige Umfeld zum Manager, um damit bis auf weiteres seine Karriere als Trainer zu beenden. Völler lebt seit zehn Jahren in Leverkusen, er kennt fast alle handelnden Personen und hat mit vielen von ihnen bereits zusammen gearbeitet. Er hatte stets ein Büro und eine Sekretärin in der BayArena. "Ich weiß, dass ich mich hier wohlfühlen werde." Und als er vor seiner offiziellen Vorstellung im Trainerzimmer bei Klaus Augenthaler gewesen sei, habe ihn sogar das Gefühl übermannt, "dass man gar nicht so richtig weg war".

"Es sind allerdings noch einige Details zu klären", sagt Sprink. Dabei handelt es sich jedoch wohl um Fragen, die eine Rückkehr Völlers nach Leverkusen nicht mehr verhindern werden. Zum Beispiel: Wie oft wird Völler nicht abkömmlich sein, weil er als WM-Botschafter unterwegs ist? Wo gibt es Überschneidungen oder gar Widersprüche bei den persönlichen Sponsoren oder vertraglichen Verpflichtungen, die Rudi Völler und Bayer Leverkusen unterhalten?

Schon bald dürfte Völler also wieder in der BayArena der Arbeit nachgehen, sein Büro hat er dort sowieso schon seit Jahren, zudem wohnt er in Leverkusen. Für den Klub liegen die Vorteile einer erneuten Liaison mit dem Mann, der just im August 2000 ging, als er zum Nachfolger von Reiner Calmund aufgebaut werden sollte, ohnehin auf der Hand. In einer Phase wirtschaftlicher Konsolidierung hat der Verein deutlich die Kontur verloren.

Zwar mögen der barocke Führungsstil von Reiner Calmund und seine spendable Vertragspolitik entbehrlich bleiben, doch fehlt Bayer seit dem Sommer ein Gesicht. Völler wird dieses Manko mit seiner ungeheuren Popularität problemlos beheben können. Vor kurzem kam er bei einer Umfrage nach den beliebtesten Deutschen auf den vierten Platz.

Römisches Irrenhaus

Geschlagen geben musste er sich nur dem Sieger Günther Jauch, Steffi Graf und Thomas Gottschalk. "Rudi Völler ist ein Aushängeschild des deutschen Fußballs, der für Bayer sehr positiv wirken kann", glaubt Meinolf Sprink. Aber seine Verpflichtung soll einen Wert über reine PR-Effekte hinaus haben.

"Er hat im Laufe der letzten Jahre einen großen Erfahrungsschatz hinzu gewonnen", sagt Sprink. Gerade in Verhandlungen mit Spitzenspielern dürften die sportliche Glaubwürdigkeit und sein Charme helfen. Außerdem wird zweifellos ein anderer Völler zurückkommen als jener, der damals ging.

Drei Jahre und zehn Monate hatte er in 53 Spielen als Teamchef die deutsche Nationalmannschaft geführt, nachdem er in einer kuriosen Findung ("Plötzlich haben alle mich angeschaut") dazu ernannt worden war.

Auch seine Begrüßung durch Wolfgang Holzhäuser fiel nachgerade enthusiastisch aus. "Ich bin heilfroh und sehr glücklich", sagte der Bayer-Geschäftsführer, "ein großer Wunsch ist in Erfüllung gegangen." Wie groß dieser Wunsch wirklich gewesen ist, sei jedoch dahingestellt. Immerhin hatte Holzhäuser im Laufe des letzten halben Jahres immer wieder darauf hingewiesen, wie gut Bayer 04 aufgestellt gewesen sei. Doch nun räumte er plötzlich ein, dass Völler "eine Lücke schließen" werde, und zwar die zwischen Geschäftsführung und sportlicher Leitung. "Für uns, die Fans und die Spieler ist seine Rückkehr von großer Bedeutung", sagte Holzhäuser, "mit ihm ist alles leichter." Ein wenig, so machte es den Eindruck, wand er dem neuen Sportdirektor aber Stacheldraht ins Blumenbouquet. "Die Ikone des Weltfußballs", sprach der Geschäftsführer, werde nun "die Verantwortung für den sportlichen Erfolg und Misserfolg übernehmen". Der Adressat für Nachfragen zu Krisenzeiten ist damit schon frühzeitig benannt.

Ganz so kuschelig wie es bei seiner Vorstellung klang, wird es für Völler in Leverkusen sowieso nicht werden. Zwar wird er mit großen Kompetenzen ausgestattet, aber die Zeit der übervollen Taschen ist bei Bayer vorbei. So wird eine Aufgabe des neuen Sportchefs darin bestehen, in Absprache mit Augenthaler und Sportkoordinator Michael Reschke den Kader in unterschiedliche Leistungsgruppen von deutlich getrennter Bezahlung zu scheiden. Absolute Spitzenspieler sollen nach den Vorstellungen von Holzhäuser zwar nicht unbedingt weniger als bislang verdienen, wohl aber der gehobene Durchschnitt im Team. Carsten Ramelow etwa hatte sich bei der Verlängerung seiner Vertrages schon mit drastisch reduzierten Bezügen arrangieren müssen. Völler sieht sich jedoch nicht als Überbringer schlechter Nachrichten. "Das ist auch im Ausland die Normalität", sagte er, "wenn es alle machen, ist es kein Sparkonzept mehr."

Ein Begleiter auf dem Weg in die gepflegte Mittelmäßigkeit will Völler trotzdem nicht sein. "Der Traum wäre eine Deutsche Meisterschaft, und den sollte man nicht begraben", sagte er und wollte beim aktuellen Punktestand (acht Zähler hinter dem FC Bayern) für diese Spielzeit doch schon einmal die Schüppe herausholen. Und dann verengte sich Völlers Augen für einen kurzen Augenblick zu Schlitzen und man meinte, dass Mist-und-Käse-Gefahr à la Reykjavik aufzog. Der neue Sportchef war gefragt worden, ob denn bei so viel Heimkommen überhaupt eine glaubwürdige Aufbruchstimmung entstehen könne. Rudi Völler guckte finster, bestätigte die Aufbruchstimmung und lächelte auch schon wieder.

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